Kulturfest Gipsy Vision:

Mer war ketni – wir kommen zusammen

Ein Wochenende lang war der Hamburger Stadtteil Winterhude das Zentrum der zeitgenössischen europäischen Swing-Musik. Vom 24. bis 26. Juni fand dort im Goldbekhaus das Kulturfest Gipsy Vision statt, mit vier Konzerten, einem Tanzabend und weiteren Veranstaltungen. Das Motto des Festes auf Romanes: „Mer war ketni“ – wir kommen zusammen. Romanes wird von Roma und Sinti in vielen Ländern gesprochen, so auch in Hamburg.

Die Idee für das Kulturfest hatte Wolkly Rosenberg, der vor 30 Jahren mit seinem Bruder Tornado Rosenberg die Formation Swing Gipsy Rose gründete. Beide gemeinsam nutzen ihre Kontakte für „Gipsy Vision“. Ihr Vater Lani brachte ihnen früh das Spielen auf der Gitarre nahe. Bei Auftritten lernte Wolkly den damals schon bekannten Swing-Gitarristen Haens‘che Weiss kennen. Im Schnuckenack Reinhardt Quintett spielte Haens‘che Weiss mit Verwandten von Django Reinhardt zusammen, der für den Swing Jazz stilbildend war mit seinem Hot Club de France in den dreißiger Jahren in Paris. Bis heute formieren sich die Bands des Swing-Jazz ähnlich wie der Hot Club de France: Drei Gitarren, Violine und Kontrabaß. Gesang gibt es kaum. Neben Haens’che Weiss und der Swing Gipsy Rose standen bei den beiden anderen Konzerten Geigenspieler im Mittelpunkt: Der „Teufelsgeiger“ Wedeli Köhler spielte schnelle Swing-Stücke, aber auch ungarische Folklore. Letztere stand bei der Kapelle Tutus Florian Lakatos im Mittelpunkt. Angekündigt wurden sie im Programm als „Die Könige der Zigeuner“. Sie spielten osteuropäische Musik mit Cimbalom und Akkordeon in rasantem Tempo.

Wer die Werke des jugoslawischen Regiseurs Emir Kusturica („Underground“, zuletzt „Das Leben ist ein Wunder“) mag, war hier im richtigen Film und konnte vergessen, dass im Flyer, mit dem für das Kulturfest geworben wurde, ständig vom „Zigeuner-Jazz“ die Rede war. Obwohl sie zu Recht die Vorurteile der deutschen Mehrheitsgesellschaft kritisieren, die Roma und Sinti seit Jahrhunderten als „Zigeuner“ stigmatisiert, ausgrenzt und verfolgt, benutzten die Veranstalter, die Brüder Rosenberg und der Verein Cinti e. V. das Etikett „Zigeuner-Jazz“, um auf sich aufmerksam zu machen. Das ist Ausdruck des Dilemmas, entweder ignoriert oder stigmatisiert zu werden.
 
 

Auch der wohlmeinende sowjetische Spielfilm „Das Zigeunerlager zieht in den Himmel“, der im Rahmen von Gipsy Vision lief, kommt nicht ohne romantisierende Zuschreibungen aus. Das Leben von Roma im 19. Jahrhundert wird einerseits als sozial marginalisiert, andererseits aber auch folkloristisch dargestellt. Ein Drama um Liebe, Stolz und patriarchale Normen. Das kann nicht gut enden. Auf dem Kulturfest waren die Gadje, das heißt die Nicht-Roma oder -Sinti, aber nicht auf diesen vor allem wegen der Musik sehenswerten Film angewiesen, wenn sie eine Vorstellung davon bekommen wollten, wie Roma und Sinti leben. Im Anschluß an den Film gab es bei „Cinti im Gespräch“ die Möglichkeit, Wolkly Rosenberg und Alfred Lora zu befragen. Die Eltern von Wolkly und Tornado lernten sich im KZ in Polen kennen, die Rosenbergs lebten zuvor in einer Wohnwagensiedlung für „Zigeuner“ am Gängeviertel (vermutlich in Hamburg, die Red.), in einer der unwirtlichsten Gegenden der Stadt.

60 Jahre später haben Roma oder Sinti, die sich als solche zu erkennen geben, im neuen Deutschland noch immer im Alltag Nachteile: „Tagtäglicher Rassismus“, nennt das Marko S. Knudsen, Vorsitzender des neugegründeten Zentrums für Antiziganismusforschung an der Uni Hamburg. Knudsen: „80 bis 90 Prozent der Roma-Kinder gehen auf Förderschulen, das verbaut die Möglichkeit, Berufe zu erlernen von vorneherein.“ Er findet es deswegen auch zweischneidig, ein Kulturfest unter dem Label „Zigeuner“ zu veranstalten: „Deswegen sind politische Rahmenveranstaltungen wichtig.“ Auf die Frage nach einem aktuellen Beispiel für Diskriminierung musste Kundsen nicht lange überlegen: „Die Roma- und Cinti-Union, RCU, sucht seit einem Jahr Büroräume. Sobald die Vermieter Roma und Sinti hören, ist es vorbei, obwohl die Behörde die Miete garantiert. Es heißt dann, Zigeuner, das passt unseren anderen Mietern nicht.“ Und obwohl in Hamburg laut Behörde inklusive der noch geduldeten Flüchtlinge aus dem Kosovo 37.000 Roma und Sinti leben, bekommt die RCU nur einen Sozialarbeiter von der Stadt finanziert.

(Gaston Kirsche)