PDS-Parteitag in Berlin:

Inszenierung statt Diskussion

Die "Linkspartei.PDS" hat am 27. ihr Wahlprogramm verabschiedet, aber eigentlich war der dazu einberufene Parteitag eher so etwas wie eine aufwendige Kundgebung zum Wahlkampfauftakt (Kostenpunkt: 150.000 Euro). Fernsehen und Presse aus In- und Ausland waren reichlich vertreten und der Parteitag wurde ganz von den Reden der beiden Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi dominiert. Aber wer nimmt es schon ernst, wenn eine Partei drei Wochen vor der Wahl ihr Programm verabschieden will. Der Bundesvorstand der Linkspartei jedenfalls nicht. Er hatte seinen Entwurf längst in ein Auflag von etwa 220.000 unters Volks gebracht, und zwar in einer Form, die nur auf den zweiten Blick erkennen ließ, dass es sich noch um einen Entwurf handelt. Entsprechend sah die Parteitagsregie für die Abstimmung über Änderungsanträge nur eine Stunde vor. Auch die Delegierten waren nicht recht in Diskutierlaune: Mit überwältigender Mehrheit stimmten sie einen Antrag nieder, der Debatte über das Programm eine halbe Stunde mehr Zeit zu widmen.
 
Im Vorfeld des Parteitages hatte es bereits einige Aufregung gegeben, weil der Vorstand seinen eigenen Entwurf an einer entscheidenden Ende verändern wollte. Der geforderte gesetzliche Mindestlohn für eine Vollzeitbeschäftigung sollte nun nicht mehr 1400 Euro brutto, sonder 1000 Euro netto betragen. (Zum Vergleich: Die Forderung der Wahlalternative lautet 1500 Euro brutto). Je nach Steuersystem, so die Argumentation des Vorstandes, könne 1400 brutto sogar weniger als 1000 netto sein. Dem hielten im Vorfeld wie auch auf dem Parteitag diverse Kritiker vor, dass erstens sich alle Mindestlöhne immer auf brutto beziehen und zweitens auch die Rentenansprüche aufgrund des Bruttoverdienstes berechnet würden. Letztendlich verteidigte der Parteivorstand seinen Vorstoß nur lauwarm. Gregor Gysi ließ wissen, dass es ihm eigentlich egal sei, wie abgestimmt würde aber nach der Medienaufmerksamkeit für den Streit bei der Linkspartei nun immerhin die ganze Republik, dass die Partei einen gesetzlichen Mindestlohn fordert. Also alles nur Inszenierung? Auszuschließen ist es nicht. Auch sonst stimmte die Parteitagsregie. Die verschiedenen  Kurzreden von jeweils fünf Minuten, die die Delegierten und Gäste zwischen den Reden der Stars zugestanden bekamen, 
demonstrierten vor allem das PDS-übliche Harmoniebedürfnis, in dem kein Platz ist für Kritik an den Parteioberen oder gar an der Regierungsbeteiligung in Schwerin und Berlin.  Allein der Ehrenvorsitzende Hans Modrow ließ in seiner Eröffnungsrede eine kleine Spitze gegen den Landesverband Berlin fallen. Dort sei man "nicht auf der Höhe der historischen Erfahrungen und der Erwartungen der Linken" gewesen. In Berlin, wo man gemeinsam mit der SPD eine Politik betreibt, die sich vor allem durch Schließung kultureller Einrichtungen, massiven Lohnabbau, Personalabbau in den Krankenhäusern und Erhöhung von Kitage- bühren auszeichnet, ist man auf die örtliche WASG nicht gut zu sprechen. Die unterstützt zwar den Bundestagswahlkampf, ha aber bereits beschlossen, im nächsten Jahr af der Landesebene gegen die Linkspartei antreten zu wollen. Ent- sprechend rächte man sich bei der Regierungspartei damit, dass man WASGler erst auf hinteren Listenplätzen berücksichtigte. Statt dessen hievte man auf Platz vier den umstrittenen türkischen Nationalisten Hakki Keskin von der Türkischen Gemeinde in Deutschland e.V., und zwar trotz ausführlicher und heftiger Kritik von diversen linken Einwandererorganisationen, die es bereits im Vorfeld geben hatte.
Doch von all dem war auf dem Parteitag im Berliner Nobelhotel Estrel - einige Tage nach Redaktionsschluss wird auch die SPD dort ihren Parteitag abhalten - nichts zu hören. Außer eben der kleinen Seitenhieb von Modrow, der jedoch so nett verpackt war, dass er den anwesenden Medien nicht auffallen konnte. Immerhin ging es darum Einheit und Aufbruch zu demonstrieren, und auch die anwesenden Gäste der WASG hielten sich brav an die Regie und WASG- Mitinitiator Klaus Ernst hatte der "Linkspartei.PDS" bereits versprochen, dass ma das Berliner Problem schon regeln werde, notfalls mit "sanfter Gewalt", wie er auf einer Pressekonferenz gesagt haben soll. Im Linkspartei-Bundesvorstand hatte übrigens Sarah Wagenknecht von der kommunistischen Plattform zu den eifrigsten Kritikern einer Berliner WASG-Kandidatur gehört.Doch das waren die Dinge hinter den Kulissen. Im Scheinwerferlicht legte unterdessen Oskar Lafontaine mit einem feinen Gespür für das, was das Publikum hören will, eine rhetorisch brillante Rede hin. Er geißelte die "Enteignung älterer Arbeitnehmer" durch Hartz IV, griff die US-Kriegspolitik und die Beteiligung der Bundes- regierung an, erinnerte daran, dass deutsche Soldatenin Afghanistan noch immer 
Krieg führen und forderte die Reform des "hoffnungslos veralteten Staatsbürgerrechts, das von Abstammung und Blut" ausgehe. Neben Lafontaine sprachen noch eine Reihe weiterer Mitglieder der  Wahl- alternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), die unisono die Zusammenarbeit begrüßten. Der eingeleitete Vereinigungsprozess der beiden Parteien, so zum Beispiel  WASG-Vorständler Thomas Händel, müsse so schnell wie möglich, aber so langsam wie nötig verlaufen. Der Linkspartei-Ehrenvorsitzende Hans Modrow hatte in seiner Eröffnungsrede von einem "Prozess der Bildung der sozialistischen Linken" gesprochen, der mehr als die beiden Parteien umfassen müsse.

Eine kleine Überraschung gab es beim Programmentwurf. Seit mindestens sechs Jahren schreibt der PDS-Vorstand in seine Entwürfe, dass es bei  Arbeitszeitver- kürzung keinen vollen Lohnausgleich geben müsse. Regelmäßig haben bisher knappe Parteitagsmehrheiten dies wieder korrigiert. Am Samstag gelang es der  Links- partei-Führung zum ersten Mal, die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich in einem offiziellen Parteidokument zu relativieren. "Solange dies nicht durchsetzbar ist", heißt es nun im Wahlprogramm, "muss zumindest für Beschäftigte in den unteren Einkommensgruppen ein voller Lohnausgleich gewährleistet weren." Da half kein Hinweis aktiver Gewerkschafter, dass so nie ein Streik für Arbeitszeitverkürzung zu gewinnen sein wird. Aber ansonsten will man natürlich Partei der sozialen Bewegungen sein.

(wop)