Privatisierung in Kiel:

Nach dem Wasser jetzt das Abwasser?

Die Stadt Kiel hat ein Gutachten erstellen lassen um die Privatisierung der Stadtentwässerung prüfen zu lassen. Gutachter (FBD, Hamburg) haben vorgeschlagen, die Umwandlung des Tiefbauamtes mit ca. 180 Beschäftigten in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) und die Betriebsführung in Form einer GmbH unter Trägerschaft der Stadt Kiel (mit 51 % Anteil) und einem privaten Investor mit 49 Prozent zu beteiligen. Dies solle zu einer gewinnorientierten Form mit der Stadt als Mehrheitseigner führen, der gleichzeitig das Kontroll- und Weisungsrecht eingeräumt werden soll. Die Stadt brauche wegen des rotten Kanalsystems dringend einen Investor, der etwa 75 Mio. Euro „frisches Geld“ mitbringen soll. Allerdings ist laut Gutachter bei dem starken Einfluss, den die Stadt behalten soll fraglich, welcher Investor dann einen hohen Kaufpreis zu zahlen bereit ist. Die SPD-Fraktion mahnte immerhin, dass sich eine Rechtsformänderung im Ergebnis auf die Mitarbeiterschaft und die Gebühren auswirke. Sie beschwerte sich darüber, dass der Grüne Bürgermeister Todeskino das Thema schon in der Öffentlichkeit erwähnt habe und die Belegschaft der Stadtentwässerung bereits über das Vorhaben der Stadt informiert hat. Der nachfolgende, sinngemäße Bericht aus einer ver.di-Veranstaltung mit der Belegschaft der Stadtentwässerung, dem Betriebsrat der Stadtwerke, dem Gesamtbetriebsrat der Stadt Kiel und Ratsvertretern der Parteien wirft ein Licht auf das Denken und die Absichten der Kieler Ratspolitiker. (uws)

Ver.di-Veranstaltung mit der Belegschaft der Kieler Stadtentwässerung am 7.09.2005 im Gewerkschaftshaus.

Dieser Veranstaltung geht eine Vormittagsveranstaltung voraus, in der der grüne Bürgermeister Peter Todeskino (Nachfolger von Ronald Klein-Knott) der Belegschaft der Stadtentwässerung mitgeteilt hat, dass die Stadt Kiel die Rechtsformänderung in eine Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) mit Beteiligung Privater umsetzen will.

Es wurde zu Beginn der Film „Wasser unter´m Hammer“ in der Langfassung gezeigt und den Filmemachern Leslie Franke und Hermann Lorenz ein Dank für die Vorabvorführung ausgesprochen und auf die Kinopremiere am 14.09. in der Pumpe hingewiesen.

Es folgte eine Podiumsdiskussion mit: SPD-Ratsherrn Alexander Möller und Hans-Werner Tovar, Lutz Oschmann, Ratsherr der Grünen, CDU-Ratsherr Henning Nawotki, ein Betriebsrats-Mitglied der Stadtwerke Kiel und der Gesamtpersonalrat und der Landeshauptstadt Kiel Volker Rudnik.

Die Position von Allexander Möller (SPD):

1. Stadtwerke:
• Damals hat niemand das Wasser im Blick gehabt, das war kein Thema.
• Wir haben an den Wettbewerb bei den Stadtwerken geglaubt....
• Wir wollten den Verkauf so früh wie möglich, um als einer der ersten den höchsten Verkaufserlös zu erhalten.
• Hat es sich gelohnt? Für die Mitarbeiter nicht, für die Landeshauptstadt in Form von Mitbestimmungsrechten schon.
• Mit MVV haben wir ein Unternehmen, das erfahren ist im Wassersektor.
• Die SPD wollten die schwierigere Lösung mit dem Macquarie-Fonds, weil dieser Fonds keine solche Synergieeffekte gehabt hätte wie nun mit MVV
2. zur Stadtentwässerung:
• man muss sich vergegenwärtigen: es gibt keinen Wettbewerb.
• Die SPD will die Privatisierung vorerst (!) nicht, aber ist lernfähig.
• Andererseits wird immer gesagt, welche Nachteile die Privaten bringen, aber es hat ihm noch niemand erklärt, welche Vorteile das Betreiben in kommunaler Hand hat.
• Z. Zt. steht eine Rechtsformänderung an für den ABK und Stadtentwässerung, er bittet darum, uns den Prozess erst einmal abschließen zu lassen und danach darüber zu diskutieren.
 

Die Position von Lutz Oschmann (GRÜNE):

1. Stadtwerke:
• Er findet es ungerecht, Kiel mit London zu vergleichen, wir hätten schließlich nicht die Probleme mit der Qualität und wir sind mit 49% noch in kommunaler Hand.
• Die Grünen wollten eigentlich ... gar nicht privatisieren, sie waren für eine stand-alone-Lösung, aber sie bekamen von niemandem Rückhalt für ihre Position und als drei Bieter (Schleswag, Wattenfall und TXU) auf dem Tisch lagen, wollten die Grünen schließlich mit aussuchen, deshalb haben sie zugestimmt.
• Nicht zu vergessen, dass selbst der Betriebsrat für die Privatisierung gewesen sei (Anmerkung vom Betriebsrat: Ja, weil wir von den Politikern erpresst wurden ...)
• Er wundert sich, dass die Berliner Abgeordneten den Konsortialvertrag nicht gelesen haben. Er kenne unseren: Es muss im Aufsichtsrat immer ein Einvernehmen hergestellt werden zwischen der LHS und MVV. Die LHS Kiel ist mit 33% und MVV mit 66% vertreten.
2. zur Stadtentwässerung:
• Die schleswig-holsteinische Gemeindeordnung lässt Private in der Entwässerung nicht zu (!), wegen den Umlandgemeinden, die sich in die Infrastruktur mit eingebracht haben.
• Aber gegen eine Umwandlung in eine AÖR ist nichts einzuwenden.
• Ein Privater würde die 16% Mwst. (nach der Wahl vielleicht 18%) plus Gewinn auf den Preis abwälzen, also kann ein Privater nicht billiger sein.

Die Position von Henning Nawotki (CDU):

1. Stadtwerke:
• Erst einmal zum Film: er fragt sich, was eigentlich eine Kommune besser kann als ein Privater? Das Wasserproblem in England ist schon älter und könne so nicht mit Deutschland verglichen werden, auch weil hier ein anderer rechtlicher Rahmen besteht.
• Die CDU wollte die sichere Lösung mit MVV, denn Macquarie erinnerte als Fonds sehr an TXU.
2. Stadtentwässerung:
• Es gibt folgende Aspekte:
• Der Ökologische wegen des maroden Abwasserneztes.
• Die Wirtschaftlichkeit hinsichtlich der Gebühren und der Beschäftigten.
• Es ist egal, was (Firmenlogo) draufsteht, wichtig ist, wem es gehört.
• Wir haben z. Zt. einen Sanierungsrückstau von vermutlich 100 Mio. Euro fürs Abwassernetz, (pro Kieler Bürger 500 Euro) und die Stadt hat kein Geld ...
• Nur weil wir einen Privaten beteiligen, sagen wir noch lange nicht, dass wir die Führung aus der Hand geben.

Ein Betriebsratsmitglied der Stadtwerke:

• Wir haben uns für MVV entschieden, weil wir genug hatten von den „Ausländern“ und endlich wieder deutsch sprechen konnten ...
• Wir sind aber von dem Regen in die Traufe gekommen ...wegen der Synergieeffekte von MVV und den Kieler Stadtwerken.
• MVV ist genauso ein börsennotiertes Unternehmen, das renditeorientiert arbeitet.
• Sie reduzieren genauso die Sachkosten.
• Das Unternehmen wird filitiert – es ist inzwischen möglich, unabhängig von der geographischen Nähe virtuelle Netzgemeinschaften aufzubauen zwischen aufgekauften Stadtwerken.
• Es werden Geheimverhandlungen am BR vorbei gemacht, wenn es beispielsweise um Verkaufsabrechnungen geht, Arbeitsplätze werden dauerhaft abgebaut und bonusorientierte Grundgehälter für Vorstandsmitglieder eingeführt.
• Dem Betriebsrat liegt bis heute der neue Konsortialvertrag nicht vor!
• Und die MVV-AG hat eine zugesicherte Put-Option, die besagt, dass sie jederzeit wann sie wollen, weitere Anteile der Kieler Stadtwerke aufkaufen dürfen.
(Steht das wohl im Konsortialvertrag?).
• Wo werden künftig noch Entscheidungen über das Trinkwasser getroffen?
• „Ich bin gerne zu einer kämpferischen Auseinandersetzung bereit“

Der Gesamtpersonalrat der Stadt Kiel, Volker Rudnik:

Welche Optionen stehen überhaupt zur Diskussion?

Warum stehen sie überhaupt zur Diskussion?
1. Müssen die Kostenrechnungen ehrlich aufgestellt werden
2. Werden wir keine Experimente mit uns machen lassen
3. Werden wir die Politiker nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.
Die Diskussion:
Frage: Woher kommen die Sanierungszahlen von 100 Mio Euro?

Henning Nawotki: Die Zahlen liefert die Verwaltung. Genauer gesagt, spricht die CDU von 100 Millionen Euro und er selbst vermutet 80 Millionen. Ein anderer CDU-Ratsherr sagte einmal wörtlich: „Laßt uns das Ding verkloppen“

Alexander Möller: Mit dem Investitionsstau wird ein richtiges Szenario aufgebaut! Die bisherigen Zahlen werden nicht bekannt gemacht. Das würde den Verkaufserlös reduzieren. Auch eine Kommune könnte die Investitionen wuppen.

Hans-Werner Tovar: Er rechnet die Zahlen aus Verkäufen vor und was sie (nicht) gebracht haben. Die Prophezeiungen sind nicht eingetreten. Ihn ärgert, wie mit dem Investitionsrückstau umgegangen wird. Die Stadtentwässerung wird über Gebühren finanziert.
• Die Bürger zahlen Abwassergebühren - in der Kostenkalkulation für diese Gebühr sind die Abschreibungen für Neuinvestitionen bereits enthalten!
• Den Investitionsstau haben die Bürger also schon bezahlt.
• Nach dem Kommunalen Abgabegesetz (KAG) gilt das Kostendeckungsprinzip, das bedeutet, dass ein Betrieb, der sich über Gebühren finanziert, keine Gewinne machen darf!
• Nach einer Privatisierung würden die BürgerInnen doppelt bezahlen!

Volker Rudnik:

Zum angeblichen Investitionsstau: 80 Millionen Euro sind nichts Außergewöhnliches.
• Wenn die Bürger die Investitionen schon bezahlt haben, stellt sich die Frage, wo das Geld abgeblieben ist, es hätte zurückgelegt werden müssen!
• Wenn die Kommunalpolitiker es aber zweckentfremdet ausgegeben haben, müssen sie in die Verantwortung dafür genommen werden!
• Die Arbeitsverhältnisse mit einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber sollen erhalten bleiben
• Zusätzlich zur Anstalt des öffentlichen Rechts (AÖR) soll eine Betreibergesellschaft gegründet werden? Was soll das?
• Dann gelten alle Wettbewerbsregeln wie das EU-Recht, mit dem wir uns dann rumschlagen müssen, das kostet wieder juristische Arbeit, die wieder unnötig Arbeit und Geld frisst.
• Das ist zu kompliziert und Unfug, davor sollten wir die Entscheidungsträger schützen!

Lutz Oschmann:

• Die Verantwortung für die Einnahmen aus Abwassergebühren, die zweckentfremdet ausgegeben wurden, trägt die gesamte Ratsversammlung. Dieses Geld fließt in den allgemeinen Haushalt.
• Hat die Betreibergesellschaft wirklich mehr Know-How? Man sollte hinterfragen, welches Interesse sie selbst dabei hat und wieviel Geld sie anteilig von den Gebühren haben will. Und auf diese Dienstleistung kommt dann wieder Mehrwertsteuer, und der Preis steigt weiter.
• Frage: Wieso soll überhaupt verkauft werden? Die Stadtentwässerung hat mit fehlenden Steuern nichts zu tun, denn wir finanzieren uns aus Gebühren und die müssen nach dem Kommunalen Abgabegesetz kostendeckend sein.
• Die Stadt kann genauso wie Private Kredite aufnehmen und bekommt sie sogar günstiger!
• Sie wollen uns nicht verkaufen, weil wir den Investitionsrückstau haben, sondern weil Sie auf Teufel-komm-raus den Haushalt kurzfristig stopfen wollen!

Alexander Möller:

Wir als SPD müssen bedacht handeln, denn wir stehen unter der Beobachtung von zum Beispiel attac ... ! Er hatte am Wochenende Zeit, die beiden Gutachten zu lesen für das ABK und die Stadtentwässerung. Er hat die Nase voll und will auf der nächsten Ratsversammlung einen Antrag stellen, um zu erfahren, wie hoch der Investitionsrückstau tatsächlich ist, denn es kann nicht sein, dass die CDU von vermutlich 100 Millionen spricht und keiner weiß, wieviel es wirklich kostet...

Der Betriebsrat der Stadtwerke:

Es gibt keine rationale Entscheidung, die Entscheidungen werden von wenigen dominanten Stimmungsmachern getroffen. Die Stadtwerke Kiel haben ein Anlagevermögen von 600 Millionen Euro und damit sind wir allemal kreditwürdig, um wenigstens die zwei Prozent zurückzukaufen.

Lutz Oschmann:

Er kommt auf die Idee, einen Antrag stellen zu wollen, um herauszufinden, wieviel Geld eigentlich aus den Gebühren für Abschreibungen da sein müssten ...
• Er erfährt, dass Dezernent Todeskino von den Grünen heute Morgen gesagt hat, er wolle die Rechtsform ändern und einen privaten Partner suchen, was Oschmann offenbar verwundert.
• Was kosten denn die ganzen Gutachten? Die 22 Gutachten für die Startbahnverlängerung haben mal eben drei Millionen Euro gekostet.
• Es gab bereits ein Gutachten von Lischke zur Stadtentwässerung. Warum ist das versickert und nun gibt es neue?
• Oschmann erklärt, dass ihn die Gutachten anöden und schlägt vor, dass jeder Gutachter, dessen Ergebnisse sich später als grob falsch herausstellen, zur Verantwortung gezogen und haftbar gemacht werden müsste ...

Dazu ein Zwischenruf aus dem Publikum: “... und Politiker auch!”