Bauernproteste:

Roll Back befürchtet

Anfang September demonstrierten in Kiel etwa hundert Bauern gegen die Agrarpolitik der CDU. Wir sprachen über die Hintergründe mit Bernd Voß, Mitglied im Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Kurz nach Redaktionsschluss organisierte die AbL in Kiel mit ATTAC und anderen eine Informationsveranstaltung gegen die Agrarexporte der EU, die in Westafrika die Kleinbauern ruinieren. (wop)

LinX: In Schleswig-Holstein hat die AbL Anfang September gemeinsam mit Umweltschützern und Verbänden der Öko-Bauern gegen die neue CDU-SPD-Landesregierung demonstriert. Was war der Anlass?

Bernd Voß (B.V.): Wir befürchten einen agrarpolitischen Roll Back. Die alte Landesregierung hatte in wichtigen Bereichen zukunftsweisende Entscheidungen gefällt, die gut sind für die Entwicklung des ländlichen Raumes und für eine nachhaltige, zukunftssichere Landwirtschaft. Nun sollen die Direktbeihilfen für die ökologische Landwirtschaft eingeschränkt werden, was ein Novum in Deutschland wäre. Das würde schleswig-holsteinische Ökobauern im Wettbewerb mit ihren Kollegen aus anderen Bundesländern, aber auch aus anderen EU-Staaten benachteiligen. Ein anderer Kritikpunkt dreht sich um Förderprogramme, die die alte Landesregierung in Brüssel angemeldet hatte. In enger Abstimmung mit Bauern vor allem auf Eiderstedt waren Konzepte entwickelt worden, wie die bäuerlichen Interessen mit dem Naturschutz unter einen Hut gebracht werden können. Diese Anträge müssen in Brüssel noch genehmigt werden, aber die neue Landesregierung verfolgt das derzeit nicht intensiv genug, so dass wir befürchten, dass wir zwei bis drei Jahre auf neue Förderprogramme warten müssen.

Der dritte Punkt ist, dass Agrarinvestitionsprogramm. Bisher werden zum Beispiel Stallneubauten gefördert, wenn sie tiergerecht konzipiert sind, wie es der Verbraucher heute fordert. Diese Auflage soll gestrichen werden, was wir bedenklich finden, weil Landwirte motiviert werden, das Rad zurückzudrehen. Des Weiteren werden kleinere Investitionen nicht mehr begünstigt, was auf eine gezielte Förderung von Großbetrieben hinausläuft. Der entscheidende Punkt aber ist folgender: Im Zuge der EU-Agrarreform haben die Bundesländer die Möglichkeit bekommen, über die Verteilung der Mittel zu bestimmen. Dadurch gab es in Schleswig-Holstein zum ersten Mal Direktbeihilfen für Grünland, das heißt für die Weidewirtschaft. Das stellte eine gewisse Umverteilung dar, die die  Landes- regierung kein Geld gekostet hat, aber mehr Mittel in arbeitsintensive Betriebe in Regionen fließen ließ, die oft erhebliche Strukturprobleme haben. Diese Entscheidung ist aufgrund des Drucks des Bauernverbandes zurückgezogen worden.

LinX: Das hört sich ein bisschen nach Klassenkampf auf dem Land an. Die CDU, die dies alles durchsetzt, ist ja vor allem mit bäuerlichen Stimmen wieder in die Landesregierung eingezogen.

B.V.: In der CDU setzen sich oft die Vorstellungen des Bauernverbandes durch, und dieser vertritt die Interessen größerer Betriebe und der Agrarindustrie. Dabei berücksichtigen die Christdemokraten wenig, wie wenig Arbeitsplätze es in diesen Betrieben nur noch gibt.

LinX: Wie kommt es, dass sich immer nur die Großbetriebe durchsetzen? Es sind doch fast alle Landwirte im Bauernverband.

B.V.: Sicher, ich bin auch Mitglied. Das ist eine Frage alter, gewachsener Strukturen und hat auch damit zu tun, wer sich die Zeit nehmen kann, seine Interessen im Verband durchzusetzen. Die Demonstration, die wir neulich hatten, war ja im Bündnis mit Verbänden von Biobauern und dem Bundesverband für Umwelt- und Naturschutz BUND organisiert worden. Ich denke, dass gerade diese Zusammenarbeit mit anderen an der ländlichen Entwicklung Interessierten diese Strukturen etwas aufbrechen und die Dinge vorantreiben kann.

LinX: Viele Bauern klagen, dass sie ihre Betriebe nicht an ihre Kinder werden übergeben können. Keiner will mehr Landwirtschaft betreiben. Gelegentlich kann man den Eindruck bekommen, dass auf dem Land ein wenig Weltuntergangsstimmung herrscht.

B.V.: Diese Stimmung wird zum Teil auch von der Agrarpresse produziert. Aber es ist richtig, dass es zum Beispiel im Zusammenhang mit der  Welthandels- organisation WTO erhebliche Unruhe gibt. Wir sind nicht unbedingt gegen die Öffnung der Märkte, aber wir wollen nicht, dass anderswo unter sozial und ökologisch sehr fragwürdigen Bedingungen billig produziert wird und wir damit noch weiter an die Wand gedrängt werden. Zum anderen sind einfach die Agrarsubventionen falsch verteilt. 1,9 Prozent der Betriebe bekommen 30 Prozent des Geldes, oder – um eine andere Relation zu nennen – 80 Prozent des Geldes geht an lediglich 20 Prozent der Betriebe. Die Einkünfte der Bauern werden gestützt, aber die Verteilung orientiert sich nicht an den Arbeitskräften. Die AbL fordert hingegen, dass in die Vergabe die Zahl der Arbeitsplätze als Kriterium einfließt.