Kommentar:

Freihandel und Armutsflüchtlinge

Am Sitz der Welthandelsorganisation WTO in Genf laufen dieser Tage die Vorbereitungen für die nächste Ministerkonferenz der 147 Mitglieder auf Hochtouren. Auch bei den Globalisierungskritikern rund um den Globus sitzt man bereits in den Startlöchern. Wenn sich die Handelsminister aus aller Welt Mitte Dezember in Hongkong treffen, soll es nicht ohne gebührende Proteste abgehen. Für die Verhandlungen der Minister sieht es allerdings auch so nicht besonders gut aus. Wenige Tage vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe scheiterten in Genf hochkarätige Vorbereitungsgespräche.

Zum Glück, muss man sagen, denn die Liberalisierung des Welthandels, der Abbau von Zollmauern und Einfuhrbeschränkungen, auf den die Deutschland und die EU so scharf ist, erweist sich für viele Entwicklungsländer oft als Fluch. Auf Einladung von ATTAC schilderte unlängst Tilder Kumichii Ndichia, wie Billig-Importe halb verdorbenen Hühnerfleisches aus der EU in Kamerun die Gesundheit der Verbraucher und die Existenz von Kleinbauern gefährdet haben. (Siehe Interview auf Seite 9.) Hühnerfleisch ist allerdings nur ein Beispiel von vielen. Andere wären Rindfleisch und Tomaten in Westafrika, Milchprodukte in der Karibik oder auch Plastikmüll in Indonesien. Dort war Ende der 90er Jahre mit Entwicklungshilfegeldern ein Recycling-Netzwerk aufgebaut worden, dass anschließend durch die Importe deutschen Plastikmülls ruiniert wurde. Die Müllsammler konnten nicht mit den deutschen Schleuderpreisen mithalten.

Das Muster ist immer das gleiche und alles andere als Neu: Die großen Handelsnationen wie Deutschland, die USA, Japan oder Frankreich zwingen schwächere Staaten mit Erpressung und Bestechung – manchmal auch mit Krieg –  dazu, ihre Grenzen für Importwaren zu öffnen. Für den Norden ist das ein gutes Geschäft, doch für die betroffenen Länder bedeutet es vor allem Armut. Ihre heimische Wirtschaft kann meist nicht mit der wesentlich weiter entwickelten Industrie und Landwirtschaft in den reichen Ländern konkurrieren. Die Unterentwicklung wird folglich zementiert statt überwunden. Unterdessen baut Europa für die mit dieser Politik produzierten Armutsflüchtlinge immer höhere Zäune und schließt Verträge mit nordafrikanischen Despoten ab, damit diese für die feinen Herren in Berlin und Paris das blutige Geschäft erledigen. (wop)