WTO-Verhandlungen:

Deindustrialisierungsprogramm

Lieber kein Vertrag, als ein schlechter Vertrag“, meint der philippinische Soziologe Walden Bello zu den laufenden Gesprächen in der Welthandelsorganisation WTO. Die sollen mit der sechsten WTO-Ministerkonferenz Mitte Dezember in Hongkong neuen Schwung bekommen, was rund um den Globus die Kritiker des Freihandels und der Globalisierung auf den Plan ruft. Bello, der im thailändischen Bangkok das globalisierungskritische Institut „Focus on the Global South“ leitet, sprach Anfang Oktober in Stuttgart vor rund 250 Menschen. Dorthin hatten Greenpeace, der örtliche ver.di Ableger, die ATTAC-Netzwerke Deutschlands, der Schweiz und Österreichs sowie diverse entwicklungspolitische Organisationen der genannten Länder zu einer Fachtagung geladen.

Die Europäische Union und die USA versuchen seit Jahren, in und über die WTO eine weitere Liberalisierung des Welthandels durchzudrücken, stoßen dabei aber oft auf hinhaltenden Widerstand vieler Entwicklungsländer. Noch vor zwei Jahren hatte auf der letzten Ministertagung im mexikanischen Cancún eine einzigartig geschlossene Front der wichtigsten Länder des Südens die Verhandlungen scheitern lassen. Doch von der damals von Brasilien initiierten Gruppe der 20 hat man seitdem nichts mehr gehört. Schon bald nach dem Scheitern in Cancún haben sich sowohl Washington als auch Brüssel – die dortige Generaldirektion Handel führt die Verhandlungen in enger Absprache mit den Mitgliedsregierungen – wichtige Schwellenländer wie Indien, Brasilien und Südafrika diplomatisch bearbeitet, damit sich eine derartige Schlappe nicht wiederholt.

Daher werde sich aller Voraussicht nach Cancún in Hongkong nicht wiederholen, meinte in Stuttgart Daniel Mittler von Greenpeace International. „Die Entwicklungs länder wollen nicht wieder den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen.“ Es komme daher diesmal auf die Proteste in Europa an, so Mittler und auch die meisten anderen Referenten. Die EU übe enormen Druck aus bei der Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen und dem Abbau von Zöllen für alle Produkte, die nicht aus der Landwirtschaft stammen, berichtete zum Besipiel Alexandra Strickner von ATTAC Österreich, die am Sitz der WTO im Schweizer Genf laufend die Verhandlungen beobachtet. Entgegen aller entwicklungspolitischen Rhetorik fordert die EU inzwischen von allen Ländern, auch den ärmsten, ein gewisses Minimum an Marktöffnung bei den Dienstleistungen. Dahinter stecken zum einen die Interessen der großen Strom- und mehr noch Wasserversorger in Deutschland und Frankreich. Zum anderen möchte auch die europäische Bank- und Versicherungswirtschaft besseren Zugang zu den sich zum Teil sehr schnell entwickelnden Märkten.

Aber auch in Sachen der sogenannten nicht-agrarischen Produkt verfolgt Brüssel im Auftrag der hiesigen Exportwirtschaft ein aggressives Programm zum Abbau von Zöllen. Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst befürchtet daher ein massives Deindustrialisierungsprogramm für den Süden. Der Grund: Zölle dienen meist dazu, heimische Produzenten vor der übermächtigen ausländischen Konkurrenz zu schützen. Die meisten Industriestaaten haben ihre heimische Wirtschaft zu Beginn ihrer Entwicklung hinter Zollmauern geschützt, bis sie weit genug war, um es mit der Konkurrenz aufzunehmen. Diese Möglichkeit, die die meisten Entwicklungsländer schon heute nur noch im sehr begrenzten Rahmen haben, soll ihnen mit den EU-Forderungen ganz genommen werden.

An derlei Fragen waren seinerzeit in Cancún die Verhandlungen gescheitert. Mitverantwortlich waren sowohl massive Demonstrationen vor dem Tagungsort, als auch die nicht besonders energische Konferenzleitung des mexikanischen Außenministers Luis Ernesto Derbez. In Hongkong soll das anders laufen, hofft man in Brüssel. Zum einen erwartet man vom Handels- und Industrieminister der Metropole, John Tsang Chun-Wah, dass er ein glücklicheres Händchen haben wird. Schon aufgrund des Eigeninteresses der örtlichen Wirtschaftslobby. Zum anderen ist Honkong einer der größten Umschlaghäfen der Welt und zudem internationales Börsen- und Finanzzentrum, weshalb die Freihandelsideologie die öffentliche Meinung so stark wie kaum an einem anderen Ort des Globus dominiert. Mit einiger Berechtigung hofft man daher in den Handelsministerien zwischen Berlin und Washington, dass die lokalen Proteste gering ausfallen werden. Auch die örtlichen Organisatoren der Gegenaktivitäten sind, was die Beteiligung angeht, eher verhalten. Zumindest hofft man, unter den rund 220.000 Frauen die in der Stadt in Privathaushalten für oft weniger als 400 Euro im Monat arbeiten, gut mobilisieren zu können. Daher, so Ramon Bultron, der die Hongkonger Organisatoren in Stuttgart vertrat, wäre es wichtig, wenn die Ministerkonferenz auch in anderen Länden von Protesten begleitet würde. Damit stieß er bei den Anwesenden auf offene Ohren. Ein internationaler Aktionstag am 10. Dezember, wurde beschlossen, soll den Höhepunkt der dezentralen Protestaktivitäten bilden. (wop)