Atomausstieg ?

Letzte Woche herrschte Verwirrung im deutschen Lande. Es ging um einen offenen Brief, gemeinsam unterzeichnet von Energie-Konzernen und den Gewerkschaften Ver.di und IGBE. Den Gewerkschaften wurde vorgeworfen sie verlassen damit ihre Positionen gegen den Atomausstieg. Wir veröffentlichen einen Brief von Frank Bsirske, Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, und Erhard Ott, Leiter des ver.di-Fachbereichs Ver- und Entsorgung. (hg)

Brief vom 27. Oktober 2005 an Angela Merkel, gleichlautend an Sigmar Gabriel, Franz Müntefering, Edmund Stoiber und Peter Struck.

Sehr geehrte Frau Merkel,

wir nehmen die aktuelle öffentliche Diskussion zum Anlass, unsere Erwartungen an die Energiepolitik der neuen Bundesregierung darzulegen. Wir gehen davon aus, dass der Ausstieg aus der Kernenergie nicht zur Disposition steht. Auch der von den vier Vorstandsvorsitzenden der großen deutschen Energieunternehmen und den Vorsitzenden der Gewerkschaften ver.di und IGBCE unterzeichnete Brief zur Energie- und Umweltpolitik an die Vorsitzenden von SPD und CDU basiert darauf, dass der Atomkonsens von 2000 nach wie vor gilt und weiter gelten soll.

Bestandteil des Konsenses zum Atomausstieg ist auch die Prüfung alternativer Standorte für die Endlagerung von abgebrannten Brennelementen und anderem hochradioaktivem Atommüll. In dem gemeinsamen Brief von Unternehmensvorständen und Gewerkschaften wird die Entscheidung darüber in der kommenden Legislaturperiode für notwendig erachtet.

Dies ist aus unserer Sicht erforderlich, damit der vom Deutschen Bundestag beschlossene Zeitplan eingehalten und die Entscheidung über einen Endlagerstandort bis 2010 getroffen werden kann. Dazu müssen die im Atomgesetz enthaltenen Prüfaufträge auch tatsächlich umgesetzt werden.Die Prüfung anderer Standorte für die Endlagerung muss forciert werden – umso mehr, als beträchtliche Zweifel an der Eignung von Gorleben als Standort für das deutsche Endlager bestehen. Würde die Suche nach einem geeigneten anderen Standort von der neuen Bundesregierung „ausgesessen“, bestünde die Gefahr, dass mangels Alternativen Gorleben gleichsam automatisch zum Endlager wird, obwohl die erheblichen Zweifel an der Eignung des Standorts nicht ausgeräumt wurden.

Angesichts steigender Energiepreise und sinkender Reserven ist es unabdingbar, ein schlüssiges nationales Energiekonzept zu entwickeln. Dieses muss dynamisch angelegt sein, den Einsatz vorhandener Energieträger – soweit diese verantwortbar zu nutzen sind – optimieren und gleichzeitig Wege aufzeigen, zukunftsträchtige Innovationen schnell und effizient zu integrieren.

Dabei können wir ansetzen an Erfolg versprechenden Bausteinen, die in den vergangenen  Jahren entwickelt wurden. So ist Deutschland weltweit führend bei der Markteinführung der erneuerbaren Energien im Stromsektor, und bei der Energieeffizienztechnik sind große Fortschritte zu verzeichnen, die in Zukunft in Breite umgesetzt werden müssen, beispielsweise bei Maschinen oder der Gebäudeisolierung.

Bis aber fossile und nukleare Energieträger vollständig ersetzt werden können, brauchen wir einen Energiemix, der die Versorgung sichert. Dabei sehen wir Kohle als geeignete „Brücke ins solare Zeitalter“. Soll diese „Brücke“ begangen werden, sind innovative Techniken wie beispielsweise die effiziente Kraft-Wärme-Kopplung unverzichtbar, denn Kohleverbrennung hat hohe spezifische CO2-Emissionen. Hier ist die Industrie – Kraftwerkshersteller wie Energieversorger – gefordert.

Um den CO2-Ausstoß weiter wie erforderlich zu reduzieren, kann es allerdings für eine begrenzte Zeit erforderlich sein, verstärkt Atomenergie zur Stromerzeugung in der Grundlast einzusetzen. Dies wäre im Rahmen des Atomkonsenses mit dem in ihm fest geschriebenen Restlaufzeiten möglich, wenn vereinbarte Produktionsrechte und den damit verbundenen Restlaufzeiten zwischen einzelnen Kraftwerken übertragen würden.

Bei der Entscheidung über die Übertragung dürfen aus unserer Sicht nicht Alter oder Wirtschaftlichkeit im Vordergrund stehen, sondern nur die jeweils höchsten Sicherheitsstandards. Ausschließlich Kernkraftwerke mit den optimalsten Sicherheitsstandards sollten zusätzliche Produktionsrechte mit den damit verbundenen Restlaufmengen übertragen bekommen.

ver.di hat sich für die Einhaltung des inzwischen völkerrechtlich verbindlichen Kyoto-Protokolls eingesetzt, denn Umweltschutz muss einen hohen Stellenwert einnehmen. Deshalb hält ver.di an der Umsetzung der Ziele von Kyoto fest. In dem gemeinsamen Brief an die Parteivorsitzenden ist diese Position nochmals bekräftigt.

Um aber im Rahmen der Weiterentwicklung des Kyoto-Protokolls für die Zeit nach 2012 die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen vorantreiben zu können, sollte alles daran gesetzt werden, dass auch große Emittenten, die bisher das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet haben – wie die USA, Australien, China und Indien – zur Unterzeichnung bewegt werden.

Wir bitten Sie, diese Gesichtspunkte bei der Formulierung der künftigen Energiepolitik der neuen Bundesregierung aufzugreifen.

Mit freundlichen Grüßen
Frank Bsirske, Erhard Ott