Mar del Plata:
 

Interview

Im argentinischen Mar del Plata trafen sich Anfang November die Präsidenten und Regierungschefs Amerikas (Kuba war mal wieder ausgeladen) zu einem Gipfel. Für die sozialen Bewegungen Amerikas war das ein Grund für eine massive Mobilisierung gegen geplante Freihandelsabkommen, gegen die von der USA betriebene Militarisierung Lateinamerikas und gegen den Besuchs des US-Präsidenten, den die Mehrheit der argentinischen Bevölkerung eindeutig ablehnte. Mehrere tausend Menschen besuchten einen Gegengipfel, auf dem auch das Thema Privatisierung eine herausragende Rolle spielte. Argentiniens militanter Gewerkschaftsdachverband CTA gehörte zu den Organsiatoren der Konferenz. Die CTA hat in den vergangenen 15 Jahren im Gegensatz zu ihrer sozialpartnerschaftlichen Konkurrenz gegen den Ausverkauf der argentinischen Staatsbetriebe gekämpft. Leider mit wenig Erfolg. Wasser, Eisenbahn, Erdöl, U-Bahn und so weiter befinden sich inzwischen in Hand ausländischen, zumeist europäischen Kapitals.

Die CTA war auch stark auf der Demonstration gegen den Gipfel vertreten, an der etwa 40.000 Menschen teilnahmen. LinX sprach am Rande des Gegengipfels mit George de Peana, dem Generalsekretär des Gewerkschaftsdachverbandes Caribian Congress of Labour, der in den niederländisch- und englischsprachigen Ländern der Karibik 30 Mitgliedsorganisationen hat und 600.000 Arbeiter vertritt.(wop)

LinX: Sie haben auf dem Gipfel der Völker Amerikas, der derzeit im argentinischen Mar del Plata abgehalten wird, ihre Gewerkschaftskollegen aufgefordert, sich mehr um die Politik der Europäischen Union zu kümmern. Welche Folgen hat diese für die Länder der Karibik?

George de Peana (G.P.): Die Entscheidungen der EU haben in unseren Ländern viel Armut erzeugt, zum Beispiel durch die Zerstörung der Bananen-Industrie auf St. Lucia und Dominika, die im großen Maße vom Bananenexport abhängig sind. Die EU hat sich mit den USA über den Bananenhandel gestritten, aber die Folgen hatten die Arbeiter in der Karibik zu tragen. Eine anderes Problem ist der Zucker. Die EU plant in den nächsten vier Jahren, die Subventionen der Zuckerimporte drastisch zu kürzen. Das wird in Jamaika, Guayana sowie in meinem Land, in Trinidad und Tobago, katastrophale Konsequenzen für die Menschen in der Zuckerindustrie haben.

LinX: Die EU subventioniert also nicht nur die eigene Zuckerindustrie, sondern auch Importe?

G.P.: Ja. Betroffen sind nicht nur die karibischen Staaten, sondern auch einige in Afrika und im Pazifik, die so genannten AKP-Staaten. In einigen der Länder, wie in Jamaika oder Trinidad und Tobago ist die Zuckerindustrie ein wichtiges Standbein der Ökonomie, das ohne die Subventionen wegbricht. Zuckerrohranbau und -verarbeitung sind aus unterschiedlichen Gründen bisher nur wenig mechanisiert worden. Sie sind also eine arbeitsintensive Angelegenheit, weshalb aufgrund der EU-Politik sehr viele Arbeitsplätze verloren gehen. In St. Kitts und Nevis zum Beispiel ist die Zuckerwirtschaft bereits vollständig zusammengebrochen.

LinX: Nun ist die Zuckerindustrie ein Musterbeispiel für koloniale Wirtschaftsstrukturen, die sich dadurch auszeichnen, dass es kaum wirtschaftliche Kooperation zwischen den Staaten der Karibik gibt, da diese ganz auf den Handel mit den reichen Ländern fixiert sind. Wären die aktuellen Probleme nicht ein Anlass, dass zu ändern?

G.P.: Das ist nicht einfach, denn diese Strukturen sind sehr tief in unseren Gesellschaften verwurzelt. Wir hätten schon vor langer Zeit anfangen müssen, unsere Produktion zu diversifizieren, um nicht länger so sehr von einem einzigen Produkt abzuhängen. Heute verfällt der Weltmarktpreis für Zucker, und wir spüren die Konsequenzen.

LinX: Was bedeutet angesichts dieser ungleichen Handelsbeziehungen das geplante panamerikanische Freihandelsabkommen FTAA oder ALCA, wie man es in Argentinien abkürzt?

G.P.: Man muss sich einmal die Relationen vor Augen führen: Die 34 Staaten, die dieses Freihandelsgebiet ausmachen sollen, haben zusammen eine Bevölkerung von 800 Millionen. Die Bevölkerung der englischsprachigen Länder der Karibik beträgt gerade sieben Millionen; wenn wir Haiti noch mitrechnen, sind es 14 Millionen Menschen. Unsere Länder sind einfach Ministaaten, und zwar nicht nur in puncto Bevölkerung, sondern auch in puncto Wirtschaftsleistung und Handelsvolumen. Wir sind also wie Sardinen in einem Meer voller Haie, und Sie wissen, wer normaler Weise gefressen wird.

LinX: Schon, aber wenn die Sardinen sich einig wären, könnten Sie den Haien Probleme bereiten. Sind die Diskussionen in Mar del Plata ein Schritt in diese Richtung?

G.P.: Ich habe meinen Kollegen gesagt, wenn wir nicht gemeinsam in diesem Meer schwimmen, dann werden wir in diesem Meer der Globalisierung, des Freihandels und der multinationalen Konzerne einzeln ertrinken. Jeder für sich. Ich denke, dass die Plattform, die wir hier auf unserem Gewerkschaftsforum ausarbeiten, ein guter Anfang ist. Wenn sich die Gewerkschaftsverbände des Kontinents in wichtigen Fragen auf einen gemeinsamen Standpunkt einigen, dann bringt uns das sicherlich einen Schritt weiter. Darauf können dann gemeinsame Aktionen aufbauen. Aber auf die kommt es letztendlich an: Wir haben schon viel geredet, es wird wirklich Zeit, dass wir gemeinsam handeln.