AntiAKW

Castor-Transporte in Gorleben:

Verfassungsbeschwerde gegen Demonstrationsverbote

Während diese Ausgabe der LinX produziert wird, rollt mal wieder hochgefährlicher Atommüll durch die Lande ins niedersächsische Zwischenlager nach Gorleben. Und wie immer hat sich die dortige Bevölkerung noch immer nicht mit Polizeistaat und Strahlenmüll abgefunden. 1.500 Menschen demonstrierten am  Sonntag- nachmittag im Dörfchen Gusborn. Dabei waren auch 300 Traktoren und eine Percussion-Truppe französischer Atomkraftgegner, die  ihre Solidarität zeigten. (Der Atommüll kommt aus der französischen „Plutoniumfabrik“ – in Deutschland verharmlosend Wiederaufbereitungsanlage genannt – und Noch-Umweltminister Trittin hatte seine Rücknahe einst als Solidarität gegenüber den Franzosen bezeichnet.) Francis Althoff von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg meinte dazu: „Wir fordern die endgültige Aufgabe des Atomstandortes Gorleben. Der Koalitionsvertrag und der Atomkonsensvertrag aus dem Jahre 2000 hält der zukünftigen Kanzlerin Angela Merkel, ihrem designierten Umweltminister Gabriel und eben auch den Energieversorgern alle Handlungsspielräume offen. Bei einer geschickten Übertragung von Reststrommengen von einem AKW auf das andere muss in der nächsten Legislaturperiode kein einziges rentables AKW vom Netz gehen. Und: Das Moratorium für den heimlichen Ausbau des löchrigen Salzstockes Gorleben zum Endlager kann jederzeit aufgehoben werden.“



Die Bürgerinitiative wird Sigmar Gabriel an seinen Worten in einem Spiegel-Interview von 2001 messen: „Weitere Transporte nach Gorleben gefährden den Landfrieden und lassen die früheren Mahnungen von Robert Jungk wahr werden, dass ein solcher Atomstaat die Demokratie zerstört.“ Dipl. Physiker Udo Jentzsch, Vorsitzender des Ausschusses Atomanlagen, Katastrophen- und Zivilschutz im Kreistag Lüchow-Dannenberg kommentierte auf einer Pressekonferenz der BI die Politik der Zwischenlagerbetreiber wie folgt: „Politik und Stromkonzerne wollen ein Endlager bei uns – um jeden Preis! Nach wie vor ist kein einziger Castor im Experiment entsprechend der internationalen Sicherheitskriterien der IAEO geprüft worden. Trotzdem werden die Castoren benutzt und in die Wellblechhalle über dem Salzstock Gorleben gebracht, um vollendete Tatsachen zu schaffen. Die Betreibergesellschaft des Zwischenlagers Gorleben, BLG, hat dem Atomausschuss bereits im April 2005 mitgeteilt, dass die Pilotkonditionierungsanlage (PKA) zur endlagerfähigen Konditionierung der Abfälle in den Castoren spätestens 2020 in Betrieb gehe. Vorab werde der entsprechende Antrag gestellt, die entstehenden radioaktiven Emissionen bei uns in die Elbe einzuleiten. Im September 2005 hat das Bundesumweltministerium (BMU) dem Atomausschuss des Kreistages geschrieben, dass die Barrierefunktion des Deckgebirges keine Rolle für die Sicherheit eines möglichen Endlagers spiele, obwohl das  gleiche BMU zuvor eine Veränderungssperre zur Sicherung gegen Eingriffe anderer in das Deckgebirge durchgesetzt hatte. Fazit: Die Veränderungssperre und die gleichzeitige Aufgabe des lange gültigen Mehrbarrierensystems für ein mögliches Endlager zeigen die unbedingte Festlegung, abseits von allen logischen Sicherheitsargumenten, auf Gorleben als Endlagerstandort.“

Dass nicht nur unverantwortlich mit der Gesundheit der Bevölkerung, sondern auch mit den Bürgerrechten umgegangen wird, machte auf der gleichen  Pressekonferenz Rechtsanwältin Ulrike Donat deutlich: „Seit zehn Jahren wird  in Gorleben bei jedem Castortransport eine Sonderrechtszone mit umfangreichen Versammlungsverboten per Allgemeinverfügung und darüber hinaus geschaffen. Weil das Bundesverfassungsgericht (BVG) der Versammlungsfreiheit einen hohen Rang einräumt und die Eingriffsschwelle der Exekutive sehr hoch angesetzt hat, bildet die so genannte Gefahrenprognose das Kernstück jedes  Versammlungsver- botes. Die Gefahrenprognose müsste eigentlich auf kollektive Gewalt oder konkreten polizeilichen Notstand  begründet sein. Nur: Seit 2001 gibt es aber im Gorleben-Konflikt gerade mal eine strafrechtliche Verurteilung von Demonstranten (Störung öffentl. Betriebe, 35 Tagessätze Geldbuße). Der stehen zwei Verurteilungen von Polizeibeamten wegen Körperverletzung gegenüber. Ca. 2.000 Freiheitsentziehungen durch die Polizei wurden seit 2001 von Gerichten für rechtswidrig erklärt. Die Versammlungsverbote verhindern also einen legalen Bürgerprotest und verschaffen lediglich der Polizei Eingriffsmöglichkeiten gegen Bürger, die sie ohne Verbot nicht hätte. Und: Sie beinhalten ein Verbot aller medienwirksamen Orte für die Protestbewegung. Zusätzlich befindet sich das Medienzentrum hinter polizeilichem Stacheldraht, der Zugang für die Protestbewegung ist nicht gewährleistet.
 




Durch Steuergelder finanziert, betreibt die Polizei mit einem ganzen Stab von Pressesprechern und einem eigenen Portal bei der Presseagentur dpa einseitige und teilweise falsche  Propaganda zur Rechtfertigung ihrer Einsätze und der Gefahrenprognose. So schließt sich der Kreis wieder. Die so genannte Gefahrenprognose kann juristisch im Eilverfahren nicht  überprüft werden, im Hauptsacheverfahren verweigern die Gerichte eine Beweisaufnahme zur Richtigkeit der polizeilichen Behauptungen. In der  Brokdorf-Entscheidung von 1985 wurde die Versammlungsfreiheit als notwendiges Korrektiv der Bürger gegenüber politischen Fehlentwicklungen in einer parlamentarischen Demokratie gewürdigt. Wir erhoffen uns jetzt, 20 Jahre später, eine ähnliche Grundsatzentscheidung des BVG, denn die Verfassungswirklichkeit hat sich seitdem zugunsten der polizeilichen Eingriffsbefugnisse und zu Lasten der Bürger verändert. Die Atomenergie leidet an einem unheilbaren, demokratischen Legitimationsdefizit. Die Reaktion darauf sollte nicht sein, auf die Bürger einzuprügeln, sondern den  Konflikt politisch und nicht polizeilich zu lösen.“ (wop, nach einer Pressemitteilung der BI Lüchow-Dannenberg)