Argentinien und Brasilien:

Freikauf vom IWF

Seit den 80er Jahren schnürt die internationale Schuldenkrise vielen Entwicklungsländern die Luft zum Atmen ab. Um der Zahlungsfähigkeit zu entgehen, bleibt vielen keine andere Möglichkeit, als an die Tür des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu klopfen. Mit fatalen Folgen. Der Fonds gibt Geld, um aus akuten  Zahlungs- schwierigkeiten zu helfen, doch werden die Kredite an Bedingungen geknüpft, die tief in die Ökonomien und sozialen Sicherungssysteme der  Gläubigerstaaten eingreifen. In  Brasilien und Argentinien hat man damit besonders bittere Erfahrungen gemacht und nützt jetzt die Gelegenheit außergewöhnlich starken Exportwachs- tums, um sich aus der IWF-Umklammerung zu befreien. Der Schritt ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil die beiden Länder in letzter Zeit ihre  Zu- sammenarbeit verstärken, um gemeinsam eine unabhängigere Entwicklungspolitik zu verfolgen. Insbesondere haben sie Anfang November auf dem Gipfel der amerikanischen Staats- und Regierungschefs den USA die Stirn geboten und zusammen mit ihren Nachbarn Paraguay, Uruguay und Venezuela die Wiederaufnahme der Gespräche über die panamerikanische Freihandelszone ALCA (englische Abkürzung FTAA) blockiert.

Anfang November demonstrierten im argentinischen Mar del Plata 40.000 Menschen gegen Bush und Neoliberalismus. Mit dabei die Gerwerkschaft der Kraftwerksarbeiter, Mitglied im kämpferischen Dachverband CTA. Eine der  Vorkämpferinnen gegen die Privatisierung.

Mitte Dezember haben die Präsidenten der beiden Länder, erst Luis Inácio Lula da Silva in Brasilia, zwei Tage später Néstor Kirchner in Buenos Aires, bekannt gegeben, dass sie die ausstehenden Schulden noch bis zum Jahresende begleichen wollen. Im Falle Argentiniens handelt es sich um 9,81Milliarden US-Dollar, Brasilien muss 15,5 Milliarden Dollar berappen. In Brasilien war zuvor Präsident Lula, der 2002 als große Hoffnung der Gewerkschaften und der Arbeiterpartei PT das Amt angetreten hatte, wegen seiner nachgiebigen Haltung gegenüber dem Fonds von Basiskirchen, der starken Bewegung der Landlosen MST und von Linken inner- wie außerhalb seiner eigenen Partei scharf kritisiert worden. Im größten Land Lateinamerikas ist immer noch der Hunger weit verbreitet. Bildungswesen und Gesundheitsversorgung sind extrem unterfinanziert und doch geht ein erheblicher Anteil des Staatshaushaltes in Zins und Tilgung für die inzwischen über 200 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden.

“Es lebe die Einheit der Völker Lateinamerikas” Transparent auf der  Demonstration gegen Bush und Freihandel in
Mar del Plata, Anfang November. Von Links nach rechts sind die Präsidenten Kubas, Venezuelas, Argentiniens, Brasiliens und Uruguays abgebildet.

In Argentinien ist unterdessen die frühe Tilgung der IWF-Schulden ein weiteres Zeichen für die unglaublich rasche Erholung der Volkswirtschaft nach der tiefen Krise, in die das Land Ende der 1990er Jahre gefallen war. Nach einem Jahrzehnt neoliberaler Reformen und dem nahezu vollständigen Ausverkaufs der öffentlichen Betriebe, gepaart mit blühender Korruption der herrschenden Eliten war das Land vor vier Jahren am Boden zerstört. Vom Wasser über die Eisenbahn, den staatlichen Erdölkonzern YPF, die Telefongesellschaft bis hin zur U-Bahn in Buenos Aires war so ziemlich alles unter den Hammer gekommen, was sich verkaufen ließ. Profiteure waren meist spanische und französische Unternehmen. Die feste Bindung des Pesos an den US-Dollar bescherte ihnen quasi garantierte Gewinne, da sie kein Wechselkursrisiko zu tragen hatten. Der argentinischen Exportwirtschaft brach die Dollarbindung allerdings das Genick, als die US-Währung ab 1998 zu Höhenflügen ansetzte. Argentiniens Exportwaren wurden unerschwinglich und Touristen konnten sich kaum noch einem Aufenthalt im Land leisten. Ende 2001 kollabierte schließlich die ganze Volkswirtschaft. Die Landeswährung, der Peso, wurde abgewertet und die Sparguthaben des Mittelstandes entwertet. Millionen Menschen stürzten in bittere Armut ab.

In Argentinien machen heute viele Beobachter und Ökonomen den IWF für den Zusammenbruch mitverantwortlich. Bis zum Schluß hatte er die Regierung des im Dezember 2001 gestürzten Präsidenten Fernando de la Rúa gedrängt, die Dollarbindung zu halten. Die Schulden Argentiniens beim IWF stammen größten Teils aus den Jahren 2000 und 2003, als der Fonds mit Krediten einsprang um die Zahlungsfähigkeit des Landes zu gewährleisten. Zuvor hatte sich der Devisenschatz des Landes bei dem Versuch in Luft aufgelöst, den Peso-Kurs an den Märkten zu stabilisieren.

Präsident Krichner, der sein Amt im Mai 2003 antrat, hatte von Beginn an eine Politik betrieben, die das Land aus der Schuldenfalle und dem Auflagen-Diktat des IWF befreien sollte. Dabei halfen ihm vor allem die stark expandierenden Exporte. Durch die Abwertung des Pesos konnte Argentinien endlich wieder Industriegüter im nenneswerten Umfang in seinen Nachbarländern absetzen. Außerdem profitiert das Land, das zehn Mal mehr Nahrungsmittel produziert, als seine Menschen verbrauchen können, von den Höhenflügen der Weltmarktpreise für Rohstoffe und Agrargüter, die der Boom in China ausgelöst hat. Daher wuchsen Argentiniens Devisenreserven wieder auf zu letzt rund 27 Milliarden US-Dollar an. Ein gutes Drittel soll nun in den nächsten Wochen eingesetzt werden, um die IWF-Schuld zu begleichen. Damit werden die Verbindlichkeiten des Pampa-Staates gegenüber Banken, Regierungen und Privatpersonen außerhalb der Landesgrenzen um rund neun Prozent abnehmen. 2006 wären ohnehin über fünf Milliarden Dollar fällig gewesen, so dass das Land rund eine Milliarde Dollar an Zinszahlungen sparen wird. Kirchner machte seine Ankündigung vor über 700 Geschäftsleuten, Parlamentariern und Regierungsbeamten, die die Nachrichten mit Begeisterung  aufnahmen. Man wolle „einen gewissen Grad an Freiheit für nationale Entscheidungen zurückgewinnen“, so Kirchner. Seine Regierung hatte sich zuvor ergebnislos um eine  Um- schuldungsabkommen mit dem IWF bemüht. Die Schwierigkeiten in den Verhandlungen mit dem Fonds bestanden zum einen in dessen Forderungen an eine striktere Begrenzung der öffentlichen Ausgaben. Zum anderen nutzten einige westliche Regierungen ihren Einfluss im IWF, um Druck auf Buenos Aires auszuüben. Paris unterstützt zum Beispiel den französischen Konzern Suez in Auseinandersetzungen mit der argentinischen Regierung. Dieser hatte den Wasserversorger Aguas Argentinas erworben, doch Buenos Aires wirft ihm vor, nicht genügend in das Unternehmen zu investieren. Außerdem will Suez die Wasserpreise stärker anheben, als die Regierung genehmigt. Mit dem Wegfall der IWF-Schulden hat der frankophone Multi ein Druckmittel weniger in der Hand, und die Gewerkschaften Argentiniens sind ihrem strategischen Ziel, die Privatisierungen rückgängig zu machen, einen winzigen Schritt näher gekommen.

(wop)