Nach dem Hurrikan “Katrina” in New Orleans:

Zynismus ohne Ende

Das zurückliegende Jahr ist das zweitwärmste je gemessene gewesen und hat wiederum einen Rekord an wetterbedingten Naturkatastrophen mit sich gebracht. Zugleich hat sie uns mit „Katrina“ eine erschreckende Vorahnung davon gegeben, wie die Mächtigen dieser Erde künftig mit solchen Katstrophen umgehen könnten, deren Opfer vor allem die Armen sein werden. Sowohl im reichen Norden, als in den Ländern des Südens. Wir dokumentieren im Folgenden einen Artikel aus der schweizer Wochenzeitung Vorwärts, die von der dortigen Partei der Arbeit herausgegeben wird. (wop)

Samuel Huntington, der Hetzer für den „Zusammenstoß der Zivilisationen“, hatte als junger Stratege die Tugenden der Flächenbombardierungen im Vietnamkrieg begrüßt: So würden rückständige Bauern und BäuerInnen zur Landflucht in die Moderne „flexibilisiert“. Was sich heute in den von den Stürmen „Katrina“ und „Rita“ betroffenen Südstaaten der USA abspielt, hat ebenfalls eine bevölkerungspolitische Stoßrichtung.

Radikale schwarze Organisationen warnen, dass grosse Teile der schwarzen, teils noch ländlichen Unterklasse im Süden zur Emigration in die Slums der Großstädte getrieben werden sollen (Vorwärts, 28.10.05). In New Orleans werden sie systematisch an der Rückkehr gehindert. Seit Wochen ergehen sich Demographen in Erörterungen über die neue Bevölkerungszu- sammensetzung; Bürgermeister Ray Nagin stellte im September in Aussicht, dass im neuen New Orleans nur noch eine um die (Armuts-)Hälfte geschrumpfte Bevölkerung leben werde. Der Bundesminister für Wohnungswesen und Stadtentwicklung, Alphonse Jackson, wusste: „New Orleans wird für lange Zeit, falls überhaupt je wieder, nicht mehr so schwarz sein wie zuvor.“ (Washington Post, 14.10.05)

Ökonomie der Vertreibung

Der Vorwärts berichtete in den letzten Nummern über Momente dieser „ethnischen Säuberung“. Politische Entscheide für Wiederaufbauprioriäten und Mittelvergabe und eine militarisierte Repression sind entscheidende Mittel für ihre Durchsetzung. Eine Reihe von Konzernen, die der Bush-Administration nahe stehen, und das Bodenspekulationskapital von New Orleans sind die unmittelbaren Profiteure dieser Politik.

Das für die Hafenanlagen, Kanäle und Deiche zuständige Army Corps of Engineers (ACE) und die Katastrophenschutzbehörde FEMA haben die gleichen Multis, die in Afghanistan und im Irak beim „Wiederaufbau“ abräumen, mit Großaufträgen bedacht: Zu ihnen gehören unter anderem Halliburton, Bechtel, Fluor. Das so verteilte Bundesgeld soll über weitere radikale Kürzungen des Sozialetats eingespart werden.

Auf der anderen Seite hat die „Small Business Administration“ der US-Regierung von 116.000 Anträgen für „Katrina“-Beihilfe bisher nur deren 1700 positiv beantwortet (95 Prozent gingen zugunsten von Hauseigentümern) und insgesamt nur lächerliche 2,2 Millionen Dollar ausbezahlt. In Louisiana haben nur gerade 22 KMUs (Kleine und mittlere Unternehmen) einen positiven Bescheid erhalten (Wall Street Journal, 18.10.05). Die Staatsgelder fließen an der lokalen Wirtschaft vorbei – und das ist ein „überzeugender Anreiz“ zum Weggehen.

Bechtel ist für einen Großteil der von Washington angeforderten 120.000 Wohnwagen für „Katrina“-Opfer zuständig. Wenn diese 120.000 Wagen aufgestellt würden, könnten viele Vertriebene in ihre Community zurückkehren. In der zweiten Oktoberhälfte verfügte FEMA aber nur über 6500 solcher Unterkünfte. Für die „Katrina“-Flüchtlinge heißt das: „No coming home“.

Aufräumarbeiten werden von auswärtigen Buden ausgeführt beziehungsweise den von ihnen angeheuerten Migranten aus Mexiko und Zentralamerika (mit und ohne Aufenthaltsbewilligung). Über die Lage dieser Trümmer-Arbeiter schreibt Associated-Press-Journalist Justin Pritchard: „Während das Aufräumen im Mississippi-Küstengebiet in den Multimilliarden-Wiederaufbau übergeht, schält sich ein Muster heraus: Am Zahltag werden zahllose dieser hispanischen Arbeiter gelegt.“ (AP, 5.11.05: Immigrants often unpaid for Katrina work) Die Leute hausen auf der Straße, in überfüllten Wohnwagen oder in von Privatsicherheitsfirmen bewachten Lagern. Einige von ihnen sind aufgrund der giftigen Substanzen, die sie ohne Schutzvorkehrungen aufräumen mussten, erkrankt. Als in Mississippi eine solidarische Anwältin einigen Arbeitern zu ihrem Lohn verholfen hatte, ärgerte sich eine involvierte Unternehmerin: „Für mich kommt das einer Abfindung an verdammte Terroristen gleich“ (AP, siehe oben). Viele der für die Aufräumarbeiten angeheuerten Unternehmen stehen im Untervertragsverhältnis, zum Beispiel mit Halliburton.

Zu den Aufräum-MigrantInnen fiel New Orleans’ Bürgermeister eine besonders passend formulierte Frage ein: „Wie stelle ich sicher, dass New Orleans nicht von mexikanischen Arbeitern überflutet wird?“ (La Jornada, Mexiko, 18.10.05). Doch auch in seiner Vision einer von der bisherigen – vowiegend schwarzen – Unterklasse weitgehend „befreiten“ Themenpark-Stadt braucht es Arbeitskräfte. Und auch dazu gibt es bereits Vorstellungen: Die neuen MigrantInnen „könnten die neue Dienstleistungsklasse in New Orleans sein. Es reicht, dass einige von ihnen sich hier niederlassen, um die neue Migrationskette zu initiieren“, meinte Lawrence Powell, Historiker an der New-Orleans-Universität Tulane, zu La Jornada.

Elitäre Gesellschaftsplanung

Die Think Tanks, die radikale Kongressgruppe „Republican Study Group“ und die Bush-Administration sind auf Kurs. Ihr Ziel ist die Schaffung einer „Gulf Opportunity Zone“ unter Leitung der Bourgeoisie (samt „Investitionsanreizen“ wie Steuergeschenken).

Der Weg ist die faktische Abschaffung des Klagerechts gegen im Wiederaufbau involvierte Multis, die Suspendierung von arbeits-, umweltsrechtlichen und Antidiskriminierungsgesetzen, die forcierte Privatisierung der öffentlichen Schulen (die in New Orleans nicht vor Sommer 2006 ihre Tore öffnen sollen, während Privatschulen dank „Katrina“-Subventionen wieder funktionieren), die Konfessionalisierung der Sozialverwaltung.

Selbst der gescheiterte demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry meinte: „Der Plan, den sie für die Golfküste entwerfen, verwandelt die Region in ein großes Laboratorium für rechte ideologische Experimente.“ (Counterpunch, 21.10.05, Madis Senner: Abusing Katrina) Seine (demokratische) Parteifreundin, die Gouverneurin von Louisiana, allerdings vertraut das Coachen des Wiederaufbaus von Louisiana dem Consulting-Unternehmen McKinsey an.

Die Gesellschaftsdesigner sehen im „Katrina“-Gebiet wie im Irak nach dem „Sieg“ eine Plattform für eine radikale kapitalistische Erschließung von „Null auf“. Natürlich gibt es eine solche soziale Tabula rasa trotz den „Shock-and-Awe“-Bombardierungen (im Irak) und den Wirbelstürmen (im US-Süden) in der Realität nicht, wohl aber den Willen zum entfesselten Sozialkrieg von oben. Ein Ausdruck ist die Militarisierung in den „Katrina“-Gebieten, speziell in New Orleans.

Die erste Phase der Militarisierung bestand in der bewaffnet durchgesetzten Unterbindung von Hilfe an die Leute in den überfluteten Quartieren von New Orleans und der Unterbindung einer eigenständigen Flucht aus der Stadt (Vorwärts, 16.9.05). Parallel wurden Gerüchte über das „tierische“ Wesen (Bürgermeister Nagin) der in der Stadt Gefangenen verbreitet. Mittlerweile ist ein Großteil der Horrorgerüchte von den Plünderern auch offiziell dementiert. Zu spät: Die angebliche Bandengefahr hatte ihren Dienst als Propaganda getan – erst für die späte oder nicht eingeleiteten Hilfsmaßnahmen des Staats, danach für den Ersatz der Hilfe durch eine faktische Besatzung der von „Katrina“ zerstörten Stadt.

In den Wochen nach „Katrina“ „begründeten“ PolitikerInnen und Mainstreammedien das tagelange Warten von Einheiten der Streitkräfte vor New Orleans mit einem angeblichen Missverständnis zwischen der Gouverneurin von Louisiana und dem Weißen Haus. Das Inlandministerium DHS (Departement of Homeland Security) habe tagelang über der Frage gebrütet, ob die Gouverneurin vom Präsidenten den Einsatz der Streitkräfte angefordert habe oder nicht. Die bereitstehenden Einheiten der Streitkräfte hätten aus Gründen der Einzelstaatshoheit keinesfalls Hilfe leisten dürfen, bevor nicht die National Guard von Louisiana ihren Einsatz geleistet hätte. Die Bundesregierung habe ohne Einladung der Gouverneurin nicht zur „Föderalisierung“ der National Guard schreiten wollen. Eine Seelenqual, die der im Pentagon für Homeland Security zuständig Paul McHale folgendermaßen auf den Punkt gebracht hat: „Hätten wir ohne Einwilligung der Gouverneurin Kampfeinheiten in eine amerikanische Stadt bringen können, zu Zwecken der Ordnungssicherung?

Ja.“ Aber: „Hätten wir das mit unserem Gewissen vereinbaren können?“ (New York Times, 11.9.05: Breakdowns Marked Path From Hurricane to Anarchy). Da war das Sterbenlassen der Menschen leichter mit dem Gewissens zu vereinbaren.

Für McHale und die ihm aus der Hand fressenden Mainstreammedien ging es um einen militärischen Ordnungseinsatz, nicht etwa um einen simplen Wassertransport zum Convention Center oder den Einsatz des untätig vor New Orleans verankerten großen Militärspitalschiffs USS Bataam. Tatsache ist: Als Präsident Bush einen Tag, bevor „Katrina“ das Festland erreicht hat, eine „federal emergency“ ausrief, war damit der „National Response Plan“ des Inland-Ministeriums DHS automatisch in Kraft gesetzt, wonach ebenso automatisch alle in die Katastrophenantwort eingegliederten Regierungsagenturen, von der Gemeinde bis zur Bundesebene, inklusive der Streitkräfte, dem DHS-Chef unterstellt waren.

Intervention – nicht Hilfe

Die von FEMA und der DHS rund um New Orleans koordinierten Sicherheitskräfte auf lokaler, staatlicher und Bundesebene waren nur in Sachen Hilfe untätig, nicht aber, was die Verhinderung von Hilfe anbelangte. Zwei Tage nach den Deichbrüchen hatte ein „Sicherheitsring“ rund um die Stadt jegliche Selbstevakuation nach draußen beziehungsweise Hilfe nach drinnen unterbunden – eine veritable militaristische „Quarantäne“-Übung (Vorwärts, 21.10.05). Inkompetenz oder auch ein Automatismus reaktionärer Gesinnung reichen hierfür nicht als Erklärung. (Wie relevant für die Verhängung der Quarantäne allenfalls der Sachverhalt gewesen sein mag, den die Abgeordnete Cynthia McKinney am 8. September vor dem RepräsentantInnenhaus angesprochen hat, entzieht sich meinem Wissen. Laut McKinney hatte die Bush-Administration in der überfluteten Tulane-University ein Kriegsbiolabor unterhalten.)

Nach Beginn der Evakuierungs- beziehungsweise der Kampfoperationen, wie vor Ort anwesende Militärs sagten, war New Orleans eine durch und durch militarisierte Stadt – und ist es, mit quantitativen Abstrichen, noch heute. Der Gewerkschafter Jordan Flaherty hatte seine Eindrücke von der Besatzung von New Orleans festgehalten: „Die Polizei von Chicago campiert in einer Bar an der Bourbon Street. Sicherheitskonvois der [privaten] Wackenhut gehen andauernd in die Stadt rein und wieder raus. Israelische [Privat-]Sicherheit patrouilliert im [Nobel-] Audubon Place Uptown.

Weiße Vigilante-Banden patrouillieren in der West Bank. National Guard und [die private Sicherheitsbude] Blackwater sind in der ganzen Stadt auf Patrouille, zusammen mit der [Drogenpolizei] DEA, der [Migrationspolizei] INS, der State Police, der Polizei von New Orleans, New York und zahlreichen andern Orten.

Beim Schreiben jetzt sitze ich in der River-Notunterkunft von Baton Rouge, umgeben von National Guards, mit einem vor mir geparkten Virginia ‚Police Command Center’ und im Rücken ein Missionszentrum der Scientology.“ (leftturn.org, 18.9.05: Disasters)

(Dieter Drüssel. Aus Vorwärts 47/05)
 
 

Während in den USA die Naturkatastrophen zur Vertreibung der Armen genutzt werden, steigt die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre immer weiter an. Seit Mitte der 50er Jahre wird auf Hawais Vulkan Mauna Loa die Kohlendioxid-Konzentration (CO2) gemessen. Wegen ihrer isolierten Lage gilt diese Station als Refferenz für den CO2-Gehalt der Atmosphäre. CO2 ist für etwa 60% des Treibhauseffektes verantwortlich.
 
 


Die mittlere Temperatur des Planeten steigt besonders seit Ende der 70er Jahre stark an. 1998 war das bisher wärmste je gemessene Jahr. 2005 (noch nicht in der Grafik) war das zweitwärmste. 2005 war auch das bisher aktivste Hurrikan- Jahr. Die Intensität der Hurrikane hängt von der Temperatur in ihren  Entstehungs- gebieten ab: Je wärmer, desto stärkere Hurrikane.

Prokopfemissionen