Betrieb & Gewerkschaft

Ungerechtigkeit nimmt zu: Verteilungsfalle

Durch  die Beschlüsse der großen Koalition werden die ungleiche Entwicklung zwischen den Arbeitseinkommen einerseits sowie den Einkommen aus  Unternehmer- tätigkeit und Vermögen andererseits weiter vorangetrieben. Dies ist eine Schlussfolgerung aus dem neuen Verteilungsbericht 2005 des Wirtschafts- und Sozial- wissenschaftlichen Instituts (WSI). Damit wird Deutschland noch weiter in die Verteilungsfalle geraten, die seit langem auch für die Schwäche von  Wirtschafts- wachstum und Arbeitsmarkt verantwortlich ist. Mit dem Begriff der Verteilungsfalle beschreibt die WSI-Analyse das Auseinanderklaffen von guter  Auslandsnach- frage und schlechter Binnennachfrage sowie deren Hintergrund: eine ungleiche Ein-kommensentwicklung und eine Fiskalpolitik, die diese Ungleichheit noch verstärkt.

Die Netto-Lohnquote, die man mit dem Kaufkraftpotenzial der Arbeitseinkommen gleichsetzen kann, ist drastisch von 48,1 Prozent des privat verfügbaren  Volks- einkommens im Jahr 1991 auf nur noch 41,5 Prozent 2004 gesunken. Wie stark die Arbeitseinkommen seit langem zurückfallen, zeigt der Vergleich über mehrere Jahrzehnte: 1960 betrug die Netto- Lohnquote noch 55,8 Prozent. Zu diesem Rückgang haben zunehmende Arbeitslosigkeit, ein wachsender  Niedriglohnsektor und dauerhaft geringe Lohnzuwächse beigetragen. Aber auch die öffentliche Steuer- und Abgabenpolitik. Das zeigt die durchschnittliche Lohnsteuerbelastung der Arbeitseinkommen. Sie stieg von 6,3 Prozent 1960 auf 16,3 Prozent 1991 und 19,5 Prozent 1998. Aktuell beträgt die durchschnittliche Lohnsteuerbelastung 17,7 Prozent. Parallel stieg die durchschnittliche Belastung der Arbeitseinkommen mit Sozialversicherungsbeiträgen von 9,4 Prozent im Jahr 1960 auf 14,3 Prozent 1991 und 16,5 Prozent 2004.

Im Gegensatz dazu ist die durchschnittliche Belastung der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen mit direkten Steuern durch zahlreiche politische Maßnahmen relativ kontinuierlich vermindert worden. 1960 betrug die Belastung noch 20 Prozent, 1980 waren es 15,3 Prozent und 1991 noch 8,1 Prozent. Bis 1997 sank die Steuerbelastung sogar auf einen Tiefststand von 3,4 Prozent. Unter der rot-grünen Regierung stieg dieser Anteil zunächst moderat, um seit 2002 wieder zurückzugehen. Zwischen 2003 und 2004 sank die Belastung von 5,5 Prozent auf nur noch 5,3 Prozent. Die tatsächliche Steuerbelastung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen in der Bundesrepublik Deutschland ist in den letzten fünf Jahren von durchschnittlich 29 Prozent auf 20 Prozent - sprich: um 9 Prozentpunkte - gesunken. Von 1998 bis 2004 stiegen die Unternehmens- und Vermögenseinkommen spiegelbildlich dazu von 412 Milliarden Euro auf 482 Milliarden Euro. Im gleichen Zeitraum sank der Umfang der auf diese Einkommen abgeführten Steuern von 101 Milliarden Euro auf 96 Milliarden Euro. Der Staat hat also auf Steuereinnahmen verzichtet. Auch der tatsächliche Steuersatz auf Einkommen von Kapitalgesellschaften sank von 21 Prozent im Jahr 1998 auf 15 Prozent im Jahr 2004.

Der reale Steuersatz auf alle Unternehmens- und Vermögenseinkommen sank ebenfalls: von 24 Prozent auf 20 Prozent. Den Staat finanzieren vor allem die Steuern der aktiven und ehemaligen Beschäftigten: Die Lohnsteuer und die größten Verbrauchsteuern, die weitestgehend aus der Entstehung und Verausgabung von  Arbeits- einkommen und Lohnersatzeinkommen anfallen, erbrachten 2004 76,5 Prozent des gesamten Steueraufkommens. Die Summe aller Gewinnsteuern (veranlagte Einkommensteuer, Dividendensteuer, Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer, Zinsabschlagsteuer) macht dagegen nur noch 15,1 Prozent aus. Zum Vergleich: 1960 trugen beide Steuergruppen noch fast paritätisch zur Finanzierung des Staates bei.

„Aus verteilungspolitischer und wachstumspolitischer Sicht sei eine entgegengesetzte Akzentsetzung der Politik sinnvoll, so Schäfer: Eine deutliche Wiedererhöhung des privaten Spitzensteuersatzes oder eine Wiedereinführung der Vermögensteuer könnten der öffentlichen Hand konjunkturunschädlich den notwendigen Spielraum verschaffen. Angesichts einer im EU-Vergleich unterdurchschnittlichen Abgabenquote und der ungleichen deutschen Einkommensverteilung lasse sich auf diese Weise ein Einbruch bei der öffentlichen Nachfrage vermeiden, ohne die private Nachfrage zu belasten. Die private Nachfrage werde sogar gestärkt, wenn Teile der Steuererhöhungen genutzt würden, um die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen zu senken. „ (Klaus Schäfer, WSI)

hg