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Flüchtlingsrat feierte Jubiläum:

Beratung in Gefahr

Mit einem gut besuchten Sommerfest hat am 2. September der Flüchtlingrats Schleswig-Holstein (FRSH) sein 15jähriges Bestehen gefeiert. Wir sprachen aus diesem Anlass, mit FRSH-Sprecher Martin Link. (wop)

LinX: Wie sieht nach 15 Jahren die Bilanz des FRSH aus?. Hat sich die Arbeit gelohnt, oder war es eher eine Sisyphos-Arbeit?

Martin Link (M.L.): Beides. Sie hat sich gelohnt, aber es war auch eine Sisyphos-Arbeit, wenn man sich die heutige Rechtslage und die Abschottung Europas ansieht. Immerhin haben wir in Schleswig-Holstein Strukturen geschaffen, die die Solidarität von unten gut vernetzen und immer wieder erfolgreich eingreifen konnten, wenn es um die schlechte Behandlung von Flüchtlingen oder drohende Abschiebungen ging.

LinX: Der FRSH hat sich in den letzte Jahren unter anderem auch für minderjährige Flüchtlinge engagiert, die ohne Eltern oder andere Verwandte eingereist sind. Was konnte erreicht werden?

M.L.: Wir haben zunächst einmal dafür gesorgt, dass es bei den kommunalen und Landesbehörden ein Bewusstsein der besonderen Probleme der Kinder und Jugendlichen gibt. Außerdem wurde ein Netz ehrenamtlicher Vormünder aufgebaut und Schulung für sie durchgeführt. Schließlich wurde vor drei Jahren den Verein lifeline gegründet, der zunehmend erfolgreich bei kommunalen Jugendämtern und Landesbehörden einen kindgerechten Verwaltungsumgang durchsetzt. Inzwischen gibt es in Schleswig-
Holstein für die unter 18jährigen unbegleiteten Flüchtlinge in der Regel keinen Ausreisedruck mehr. Das ist in einigen Bundesländern durchaus anders.

LinX: Als der Flüchtlingsrat gegründet wurde, regierte in Kiel eine sozialdemokratische Landesregierung. Später kamen die Grünen mit ins Regierungsboot, heute gibt es eine große Koalition. Was bedeuten diese Regierungswechsel für den FRSH?

M.L.: Flüchtlingssolidaritätsarbeit ist allen Parteikonstellationen suspekt. Die Gründung des Flüchtlingsrates war zunächst weniger eine Reaktion auf die Landespolitik, als auf die Situation vor Ort. Anfang der 1990er Jahre gab es überall in den Kommunen große Gruppen von Flüchtlingen, und es bildeten sich vielerorts Initiativen, die helfen wollten und sich gegen die Verschärfung in der Asylpolitik wehrten. Diese Gruppen merkten schnell, dass es ohne eine landesweite Vernetzung und Lobbyarbeit auf der Landesebene nicht geht. Also wurde der Flüchtlingsrat gegründet. Als dann im Land der Wechsel zu Rot-Grün erfolgte waren mit dem sogenannten Asylkompromiss auf der Bundesebene, der seither das einstige Asylgrundrecht entkernt, die Weichen bereits gestellt. So konnten im Land nur noch die repressiven bundespolitischen Ergebnisse im Rahmen kreativen Behördendialogs und aktiver Solidarität gestaltet werden.

Unter der großen Koalition, die seit Frühjahr 2005 in Kiel regiert, hat sich der Umgang mit Flüchtlingen ähnlich dem Bundestrend verschlechtert. Derzeit wird  versucht, langjährig Geduldete auszuweisen. Regelmäßig betrifft das voll integrierte Familien, deren Kinder hier geboren und aufgewachsen sind und ihre sogennaten Heimatländer gar nicht kennen. Ende des Jahres soll es eine bundeseinheitliche Bleiberechtslösung für dieses Gruppe geben, doch es hat den Anschein, als wollten viele Ausländerbehörden im Vorfeld Betroffene abschieben.

LinX: Viele Organisationen, die sich um Flüchtlinge kümmern, werden mit öffentlichen Geldern bezuschusst. Doch die Kassen von Ländern und Kommunen sind klamm. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

M.L.: Wir machen uns große Sorgen. Ganz aktuell wird die Landesförderung für Migrationssozialbe-
ratung zusammengestrichen. Von vollständiger Streichung betroffen sind insbesondere kleine, unabhängige Stellen wie das Lübecker Flüchtlingsforum oder die ZBBS und TIO in Kiel. Das ist in mehrfacher Hinsicht fatal: Flüchtlinge brauchen Beratung, wenn sie den vom Land ausdrücklich gewünschten  Zugang zur Härtefallkommission oder der Anwendung humanitären Bleiberechts gemäß Aufenthaltsgesetz finden, oder sie in den Genuss der erwarteten und von Rot wie Schwarz gleichermaßen angekündigten Bleiberechtsregelung kommen sollen. Darüber hinaus werden mittelfristig für 250 000 bis 300 000 anerkannte Flüchtlinge und ihre Angehörigen, in deren Heimatländern jetzt angeblich ungefährliche Zustände herrschen, Widerrufverfahren beginnen. Auch diese Menschen brauchen dringend Beratung.

Info im Internet: www.frsh.de