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Abwasser unterm Hammer:

Käufer gesucht

Nach dem Teilverkauf der Kieler Trinkwasserversorgung (die Stadtwerke Kiel wurden zu 51% an MVV verkauft) hat die  Ratsver- sammlung (Mehrheitsfraktion von CDU und GRÜNEN) am 12. Oktober beschlossen, für den Betrieb des Abwassersystems einen privaten Investor einzuwerben:

„Die LH Kiel überträgt die 'Stadtentwässerung Kiel' mit allem Anlagevermögen in die Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts (AÖR). Parallel dazu wird zur Unterstützung der Betriebsführung eine Betriebs-GmbH gegründet, an der sich ein privater Partner mit bis zu 49 % beteiligen kann.

Die Verwaltung wird beauftragt, den an der Hauptkläranlage (HKA) angeschlossenen Umlandgemeinden das Angebot zu unterbreiten, sich an dieser Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) 'Stadtentwässerung Kiel und Umland' und/oder an der Betriebs-GmbH zu beteiligen. AöR und Betriebs-GmbH stehen in einem Besteller-Ersteller-Verhältnis. Die Umlandgemeinden werden gebeten, ihre Position bis zum 01.11.06 darzulegen. Die Verwaltung leitet unverzüglich alle zur Gründung von AöR und Betriebs-GmbH notwendigen Schritte ein.“
Bisher ist die Abwasserentsorgung (AWE) eine Abteilung des Tiefbauamtes der Stadt. Die AWE wird durch Gebühren der Bürger finanziert. Die Gebührenhöhe wird von der Ratsversammlung beschlossen und deckt sowohl die laufenden Kosten als auch notwendige Rücklagen für Sanierungs- und Erweiterungsarbeiten. Nach Aussage von Ratsherrn Tovar wurden die Rücklagen von ca. 100 Millionen Euro bisher für andere Aufgabenbereiche der Stadt eingesetzt. Das sei legal, das Geld müsse aber bei Bedarf der Abwasserentsorgung wieder zur Verfügung gestellt werden. Dieser Fall scheint jetzt eingetreten zu sein. Da die Stadt trotz des Verkaufs der Stadtwerke ihre Schulden nicht abbauen konnte, will sie, um nicht weitere Kredite aufnehmen zu müssen, durch den Teilverkauf der  Abwasserent- sorgung ihr Finanzproblem lösen. Um einen Verkauf zu ermöglichen, beschloss die Mehrheitsfraktion gegen die Stimmen der SPD die Umwandlung der AWE in eine AöR und die Ausgliederung des Betriebs, für den ein Privatinvestor gesucht werden soll. Nach Aussage von OB Volquartz sollen jedoch nicht mehr als 49% verkauft werden.

Auswirkungen

Die Gebühren für die Instandhaltung und Bedarfsanpassung der AWE sind zweckgebundene kommunale Mittel, für die daher zur Zeit keine Mehrwertsteuern anfallen. Privatisierte Abwasserbetriebe wären dagegen mehrwertsteuerpflichtig. Ein privater Investor müsste in seiner Kalkulation berücksichtigen, dass sowohl die Kosten für die ca. 80 bis 100 Mio. Euro Rückstellungen (Sanierungsbedarf), die auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen sind, als auch die 16 bzw.19% MWST auf die Abwasserkosten umgelegt werden müssen. Da im  Regel- fall eine Kommune günstigere Kreditkonditionen erhält als private Investoren, ist dadurch eine zusätzliche Verteuerung der Abwasserkosten für die Bürger zu erwarten.

Mit der von den GRÜNEN (Conrad Hansen) geäußerten Annahme, dass private Betreiber ca. 10% Einsparungen erreichen könnten, wird dem zuständigen Tiefbauamt vorgeworfen, sich nicht um Einsparmöglichkeiten zu bemühen.

Diese Einsparvolumen wurde durch die Gutachter Kienbaum errechnet, was die Stadt hat anfertigen lassen, um eine Privatisierung der Stadtentwäserung vorzubereiten. In diesem Gutachten wird mit einem Braunschweiger Modell verglichen, wo völlig andere Bedingungen vorhanden sind. Z.B. verfügt Kiel über eine Trennkanalisation. Braunschweig hat im Wesentlichen ein Mischwassersystem. Hierdurch allein entsteht bei der Bearbeitung der Fälle in Kiel eher ein erhöhter Aufwand durch zwei Anschlüsse für Schmutz- und Regenwasser. Auch wird in dem Kienbaum-Gutachten z.B verlangt, bei der Kläranlage von 3-Schicht- auf 2-Schicht-Dienst umzustellen. Dies ist in der Anlage nicht möglich, weil sie zur Zeit nicht vollautomatisch betrieben werden kann. Die Einleitung von ungeklärtem Schmutzwasser durch Ausfall der Anlage würde zu einem Schaden in Millionenhöhe durch entsprechend hohe Abwasserabgabe führen. Durch die Zeitverzögerung bei Einsatz einer Rufbereitschaft können bereits erhebliche Schmutzwassermengen ungereinigt in die Ostsee gelangen, bevor eine Gegensteuerung greifen kann. Die derzeitige Verfahrenstechnik bei der Schlammentwässerung erfordert einen  3-Schicht- Betrieb mit entsprechendeer personeller Besetzung. Insgesamt wird durch das Kienbaum-Gutachten der Betrieb der Kieler  Stadtent- wässerung unter Druck gesetzt, Personaleinsparungen vorzunehmen und es gab sie bereits schon. Weitere Personalkürzungen sind bereits vorgesehen, z.B. bei der Modernisierung im Bereich der Pumpwerke. Die Ratsvertreter haben die Einwendungen des  Tiefbau- amtes nicht zur Kenntnis genommen, die zu dem Gutachten den Eindruck gewonnnen hatten, dass sich die  Organisationsvorschläge weniger am Bestenvergleich orientieren, sondern eher die Personalminimierung mit größtmöglicher Verlagerung der Aufgaben nach außen im Vordergrund stehen, ohne die Auswirkungen auf die betroffenen Bürger und die kurz- und langfristigen Kostenfolgen für Steuer- und Gebührenzahler genauer zu betrachten.

Dies war wohl von den Auftraggebern des Gutachtens so gewollt, denn schließlich soll ja privatisiert werden. Es muss also angenommen werden, dass die Koalition CDU/GRÜNE diese Einsparungen über Personalabbau einkalkuliert hat und sie beschlossen im Rat die Privatisierungsabsicht.

Laut Ratsbeschluss soll es aber betriebsbedingte Kündigungen nicht geben, eben so wenig wie Gebührenerhöhungen. In der Antragsbegründung von CDU und GRÜNE heißt es:

„Entscheidender Grund für die Rechtsformänderung und die Hinzunahme eines privaten Partners ist, dass der Gebührenzahler davon profitiert, dass Gebührensteigerungen langfristig vermieden werden. Gebührenstabilität ist ein wichtiger Standortfaktor für die LH Kiel. Daher ist es erforderlich, Effizienzsteigerungen durch eine Betriebsführung durch private Unternehmen zu ermöglichen. Daher soll neben der AÖR „Stadtentwässerung Kiel und Umland" eine Betriebsgesellschaft gegründet werden, an der ein privater Betriebsführer maximal 49 % der Anteile erhalten soll.“

Wie eine Kalkulation unter diesen Umständen jedoch aussehen soll, wurde nicht gesagt. Man muss aber davon ausgehen, dass der Investor den Kaufpreis plus die 80 bis 100 Mio Euro Sanierungskosten plus MWST plus Gewinnentnahmen für die Aktionäre über die Gebühren längerfristig zu erwirtschaften hofft. Die Sanierung soll über die 10%igen Personaleinsparungen finanziert werden. Gelingt dies nicht, so dürfte diesem ersten Verkauf der AWE wie beim Verkauf der Stadtwerke die Insolvenz folgen. Die am Abwasserbetrieb beteiligten Umlandgemeinden sind skeptisch bis ablehnend. Und auch der Gesamtpersonalrat kritisierte die geplante Privatisierung: Die 180 Mitarbeiter könnten den Betrieb ebenso gut führen wie private Betreiber. Ob eine AöR den Anfang einer weiteren Verkaufsabsicht darstellt, ist ungewiss, der erste Schritt in die Privatisierung weiteren öffentlichen Eigentums scheint jedoch damit vorbereitet.

Wie auch bei den Stadtwerken soll nach Auskunft von Conrad Hansen (Grüne) die genaueren Konditionen im Verlauf des  Vergabever- fahrens festgelegt werden und wenn sich herausstellt, dass ein privater Anbieter leistungsfähiger ist (Nach Beratung durch den  Gut- achter?), als die jetztige Stadtentwässerung, dann wird vergeben. Die Verhandlungen werden dann, wie auch bei den Stadtwerken unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden und in geheimen Verträgen dann möglicherweise Bedingungen festgelegt, die sich Jahre später als unhaltbar und teuer erweisen.

Was ist mit den Gebühreneinnahmen der letzten 10 Jahre, die in den städtischen Haushalt geflossen sind? Die hat der Bürger doch für den Erhalt und die Sanierung der Abwasserkanäle bezahlt und für nichts anderes! Das Geld muss für den kommunalen Zweck eingesetzt werden, für den die Bürger bezahlt haben! Dafür ist auch in Zukunft Sorge zu tragen!

Private machen das Problem noch schlimmer. Sie übernehmen das Know How und das Netz mit dem Vorwand es besser zu können. Das bedeutet praktisch, der Kommune das Geschäft und die Fähigkeiten zu entziehen. Die Kommune und die Bürger werden ohne Entscheidungsbefugnis von privaten Betreibern abhängig und diese zwingen die Stadt wegen der Renditeerwartung zur  Gebührener- höhung.

Zu geringe Gewinnerwartung oder Unterschätzung des Sanierungsbedarfs kann Folgen haben. So führt dann die Kostenreduzierung bei der Sanierung zu unzureichenden bzw. hinausgezögerten Wartungsarbeiten, wie wir es bereits von den Privaten aus der Wasserwirtschaft kennen (siehe Berlin, London). Gelingt es nicht über Gebühren die Sanierungskosten und die Gewinne zu erwirtschaften, wird dem ersten Verkauf, wie bereits bei den Stadtwerken die Insolvenz folgen. Bis schließlich der nächste Konzern das gesamte Abwassernetz weit unter Wert aufkauft und dann die Preise bestimmt.

Die Kieler Ratsmehrheit hat die Betriebsgesellschaft "Stadtentwässerung Kiel und Umland" mit Privaten beschlossen und will damit die eigenständige städtische Abwasserentsorgung in kommunaler Hand auflösen, ohne sich über die Auswirkungen und Folgen ein genaueres Bild zu machen und ohne die betroffenen Umlandgemeinden und Bürger in die Entscheidung einzubeziehen. Dies ist zutiefst  undemo- kratisch. Der Beschluss muss aufgehoben werden und mit allen Umlandgemeinden eine zukunftssichere kommunale Lösung gefunden werden.

(uws/wbu)