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Bundeswehr in Afghanistan:

Moralische Beutelschneider

Wenn Soldaten mit Skelettteilen hantieren, in welcher Weise auch immer, dann ist das sittlich zu verurteilen und politisch allemal töricht. Das gehört sich nicht, das macht man nicht, auch nicht unter Stress, nicht in Deutschland, nicht in Afghanistan, nirgendwo! Dies sollten alle im Hinterkopf haben, um die nun folgenden Bemerkungen zur hysterischen Diskussion in Presse und Politik einzuordnen.Um was immer es sich bei den makabren Spielen rechtlich handeln mag, es handelt sich jedenfalls strafrechtlich nicht einmal um die Störung der Totenruhe, denn weder wurden diese Skelettteile aus dem „Gewahrsam eines Berechtigten“ entfernt (sie befanden sich ja weder in irgendeinem Gewahrsam noch gab es einen Berechtigten) noch aus einer Totengedenkstätte, denn sie waren ja offenkundig in einem Massengrab verscharrt. Wer den Beteiligten mit dem Staatsanwalt ans Leder will (und sei es der Verteidigungsminister selber) tut sich schwer, über den „groben Unfug“ hinauszukommen, den es heute im Strafrecht nicht mehr gibt und dessen Äquivalent inzwischen unter die Ordnungswidrigkeiten fällt. Das sollten auch diejenigen wissen, die hier den Eindruck erwecken, alle beteiligten Soldaten würden in Deutschland auf das schwerste bestraft.

Das nur mal so – zur deutsch-rechtlichen Einordnung! Auch von einer Schändung zu reden, ist zumindest grob übertrieben. Geschändet worden waren – zu deren Lebzeiten – offenbar jene Menschen, von denen es heute nur noch die Skelettteile zu besichtigen gibt, die aber zuvor – möglicherweise getötete sowjetische Soldaten, so genau weiß das niemand – in einem Massengrab (und eben nicht in einer Totengedenkstätte, s.o.) verscharrt worden waren.

Es sollten also die Dimensionen – trotz allen Tadels – gewahrt bleiben. Zum einen ist das Possieren mit Totenschädeln nicht mit Orten zu vergleichen an denen lebende Menschen in ihrer Menschenwürde tatsächlich geschändet und an denen das Recht hier und heute mit Füßen getreten wurde. Und zum anderen: Bisher zwanzig, möglicherweise irgendwann fünfzig Soldaten sind nicht die ganze Bundeswehr, zumal diese Ungehörigkeiten eben nicht – wie in Abu Ghraib und Guantanamo – zurückzuführen sind auf Anordnung und Billigung von militärischer und politischer Führung. Und das heißt, diese skandalisierten Vorgänge sind in keinem Fall gleichzusetzen mit Abu Ghraib und Guantanamo.

Es geht hier nicht um Verharmlosung, beileibe nicht. Es kann aber auch nicht um eine übertriebene, ja regelrechte Pseudo-Moralisierung gehen. Die Medien spielen den Skandal so hoch es geht – und man wird den Verdacht nicht los, dass ein Teil dieser Medien durchaus auch bewusst mit der Lust der LeserInnen an morbiden Bildern spielt. Die PolitikerInnen hingegen wollten nicht hinter der moralischen Erregung zurückbleiben, sich schon gar nicht dem Verdacht aussetzen, sie seien moralische Weicheier, und sei es, indem sie auch nur ansatzweise etwas differenzieren würden. Und so eskaliert die Moral- und Empörungsmaschine bis hin zu der Gefahr, die man angeblich abwenden will: Dass der militärische Gegner in Afghanistan jetzt erst recht deutsche Soldaten gefährdet. Und die Bild-Zeitung immer vorneweg, der man ja inzwischen alles zutraut, sogar die Rolle der Anstandsdame. Aber Gnade uns Gott, wenn Bild erst zur Messlatte unserer Moral und Wahrheitsliebe wird – unter den JournalistInnen und in der Gesellschaft insgesamt…

Aber wie gebannt starrt die Politik widerstandslos auf diese „Aufklärer“. Auch wenn man uns weismachen will, die Bundeswehr in Afghanistan sei nur eine Art THW oder Arbeitersamariterbund im Tarnanzug, sie ist Teil der Besatzertruppe und gibt damit Grund genug für Angriffe. Verantwortlich hiefür wären diejenigen, die erst jetzt wieder für die Verlängerung des Mandates gestimmt haben. Mit anderen Worten: Es gibt eine Art der moralischen Windbeutelei und Beutelschneiderei, die nur eines gefährdet – die Moral selber.

 (csk)