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Novemberrevolution:

Aus der Geschichte lernen

Am 19. November wurde wie in jedem Jahr am Gedenkstein für die Opfer der Novemberrevolution und den Gräbern von in den Revolutionskämpfen 1918 und im Widerstand gegen den Kapp-Putsch 1920 gefallenen Menschen auf dem Eichhof-Friedhof einen Kranz und zahlreiche Gestecke niedergelegt. Im Folgenden geben wir den Manuskripttext einer dort gehaltenen Ansprache wieder.

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

ich begrüße Euch hier an den Gräbern einiger der in der Revolution 1918 und in den Kämpfen gegen die Kapp-Putschisten gefallenen Menschen.Ich begrüße Euch auch im Namen der Deutschen Kommunistischen Partei, der ich vor kurzem beigetreten bin. Das mag einige von Euch überraschen – wir kennen uns zum Teil schon sehr lange. Hier ist nicht der Platz für persönliche Erklärungen, nur soviel dazu: Aus meiner Sicht gibt es für die Zersplitterung der kommunistischen Bewegung in Deutschland keine Rechtfertigung mehr. Auf der Grundlage eines marxistischen Programms für die Einheit der KommunistInnen zu wirken, scheint mir eine Lehre aus der Geschichte zu sein, und es wäre wohl auch im Sinne aller Opfer, die in den Kämpfen der deutschen ArbeiterInnenbewegung bisher zu beklagen waren.

Wohl hatte Erich Mühsam Recht, der in den Revolutionskämpfen zum gemeinsamen Vorgehen aller linken Kräfte aufrief und dazu schrieb: „Schöpft nur aus allen Quellen Mut / Ein jedes Kampfsystem ist gut / das nicht versagt vor den Gewehren …“ Wenn wir heute die Opfer der vergangenen Kämpfe ehren und daran arbeiten, ihr Hoffen zu erfüllen – „Wollt ihr denen Gutes tun / die der Tod  getroffen, / Menschen, lasst die Toten ruhn / und erfüllt ihr Hoffen!“, schrieb ebenfalls Erich Mühsam -, wenn wir uns also dieser  Ver- pflichtung stellen, wissen wir doch nicht, ob unser Mut vor den Gewehren ausreichen würde. Darüber lohnt es nicht zu spekulieren. Wir müssen uns den Erfordernissen des Tages gewachsen zeigen, wir müssen Klarheit über diese Erfordernisse gewinnen, und das heißt nicht, sich auf Tagesarbeit zu beschränken. Im Gegenteil. Wir können diese Arbeit nur gut bewältigen, wenn wir eine Perspektive haben, ein Ziel, auf das wir hinarbeiten, und dieses Ziel, dessen konkrete Bedingungen programmatisch zu fassen sind, ist immer noch dasselbe, für das 1918 und 1920 unsere Genossinnen und Genossen ihr Leben gelassen haben: Die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft mit ihren verheerenden Krisen und Kriegen.

Am 9. November haben der SPD-Kreisvorsitzende Fischer und der DGB-Vorsitzende der KERN-Region am Mahnmal im  Ratsdiener- garten einen Kranz niedergelegt. Vormittags an einem Wochentag, eine Veranstaltung für Hauptamtliche und Freigestellte. Im Nachhinein war ich ganz froh, nicht dabeigewesen zu sein - die Hartz-IV-Kriegspartei, die für millionenfache Armut in diesem Land  mitverant- wortlich ist, die deutsche Soldaten in alle Welt schickt, „ehrte“ die RevolutionärInnen, die KämpferInnen  gegen den Krieg und für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Militarismus... In meinen Augen eher eine Verhöhnung ihres Kampfes und ihrer Opfer. Wieder einmal bestätigen sich die Worte Carl von Ossietskys: „Ein verlorener Krieg kann schnell verwunden werden. Eine verspielte Revolution … ist die Niederlage eines Jahrhunderts.“

Der Kieler DGB hingegen hat, ganz unabhängig von seinem jeweiligen Führungspersonal, die Verpflichtung, in unserem Auftrag der Kämpfer und Opfer der Revolution ehrend zu gedenken; eine andere Form wäre dabei sicherlich angebrachter; das geht besser – aber nicht von allein.

Unser Kieler Gewerkschaftshaus hat im kommenden Jahr 100jähriges Jubiläum. An diesem Haus hängt seit einiger Zeit eine Metalltafel, die darauf hinweist, dass hier in den Revolutionstagen von 1918 der Arbeiter- und Soldatenrat tagte. Das  Haus steht in der Legienstraße, Namensgeber ist Carl Legien, nach dem Krieg Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes. Er hatte nun mit der Erhebung der Arbeiter und Soldaten gar nichts zu tun. Er hatte vielmehr alles getan, um die Organisationskraft der deutschen Gewerkschaften der deutschen Kriegsführung und der Sicherung der Ruhe an der Heimatfront zur Verfügung zu stellen. Er begründete eine Arbeitsgemeinschaft mit den Unternehmern, auf die diese sich nach dem Krieg nach zum Teil langem Zögern um so lieber einließen, als sie befürchten mussten, sonst ihres gesamten Besitzes und ihrer politischen Macht verlustig zu gehen. Während so in den Massen der Arbeiterschaft die Illusion der Sozialpartnerschaft Raum fand, wurden viele von denen, die sich das Ergebnis der Revolution anders vorgestellt hatten, mit Hilfe führender Sozialdemokraten umgebracht.

1920 wähnten sich bestimmte Fraktionen der Reaktion stark genug, der Republik schon wieder den Garaus zu machen. Gegen den Putsch der Kapp und Lüttwitz rief Carl Legien die Arbeiterschaft zum Generalstreik, während die Kommunisten zunächst – wenn auch nur kurz – noch zweifelten, ob die Arbeiterschaft zu solcher Aktion überhaupt die Kraft finden würde. Sie fand diese Kraft, und sie beschränkte sich nicht auf passiven Widerstand, sondern griff vielerorts zu den Waffen. Ohne die Bereitschaft zum bewaffneten Kampf – hier muss man mit bürgerlich-sozialdemokratischen Legenden aufräumen – wäre der Widerstand nicht erfolgreich gewesen. Hier wiederum bewährte sich der Kampfesmut der Revolutionäre. Nach dem Scheitern des Putsches brachte Carl Legien der die Idee einer Arbeiterregierung ins Spiel, für ihn ein eigentlich ungeheurer Gedanke – denn  das hätte geheißen,  die parlamentarischen Spielregeln außer Kraft zu setzen. Schließlich aber wurden mit Hilfe der SPD gegen diejenigen Arbeiter, die sich mit dem Sturz Kapps nicht zufrieden gaben und die endgültige Niederschlagung des Militarismus erreichen wollten, die für die Arbeitermacht kämpften, das Militär losgelassen, und Einheiten, die kurz zuvor mit Kapp und Lüttwitz gegen die Republik gekämpft hatten, traten jetzt als Retter der Republik auf und ertränkten die Freiheit im Arbeiterblut. Und in der Gewerkschaftspresse, auch im Korrespondenzblatt des ADGB, wurden die KämpferInnen bespieen und verhöhnt.

Wir stehen hier nicht nur als historisch Interessierte. Wir wollen lernen aus unserer Geschichte. Wir werden uns auch 2007 keine Märchen darüber erzählen lassen, sondern der Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen. Wir wollen kämpfen gegen Sozialkahlschlag, Imperialismus und Krieg, gegen den erstarkenden Faschismus in unserem Land, gegen Rassismus und Überwachungsstaat. Wir wollen dazu beitragen, dass unsere Gewerkschaften kämpfende Organisationen werden. Wir setzen auf die Kraft der Solidarität. Auch Solidarität muss man organisieren. Und in diesem Bewusstsein gehen wir von dieser Stelle zurück in unseren Alltag in Arbeit, Schule oder Universität, in unsere Gewerkschafts- und Parteigruppen.

     (D.L.)