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Kommentar:

Durchatmen

Einige bürgerliche Kommentatoren meckern schon rum: Die Arbeitslosigkeit sinkt, aber die Deutschen können sich nicht so recht freuen. Aber ist das so verwunderlich? Vielleicht liegt es daran, dass sie trotz Pisa ganz passabel rechnen können: 350.000 Erwerbstätige mehr als im November 2005 gibt es derzeit. Das heißt, bei immer noch knapp vier Millionen Erwerbslosen müsste der gegenwärtige Boom rund elf Jahre anhalten, um die Erwerbslosigkeit auf Null runterzufahren. Und dabei wären noch nicht einmal die vielen hunderttausend Arbeitslosen mitgerechnet, die in unsinnigen „Fortbildungsmaßnahmen“ schikaniert werden. Ein zehnjähriger Aufschwung? In Deutschland? Ziemlich unwahrscheinlich.

Doch natürlich ist es für jene, die nun nach langer Arbeitslosigkeit vielleicht wieder eine Chance haben, sehr erfreulich, wenn es ein paar mehr Jobs gibt. Und auch für die Arbeiterklasse – egal ob noch halbwegs anständig bezahlter Facharbeiter, Malocher in der Zeitarbeitsfirma oder Scheinselbständiger – ist es ganz angenehm, wenn der Druck der drohenden Arbeitslosigkeit etwas nachlässt. Vielleicht könnte man denn mal durchatmen und über ein paar Dinge nachdenken.

Da ist zunächst die Tatsache, dass die Reallöhne seit zehn Jahren eher fallen als steigen; im Gegensatz übrigens zu allen anderen westlichen Industriestaaten. Während hier noch über chinesische Dumpinglöhne gejammert wird, hat sich Deutschland still und heimlich zum EU-internen Lohndrücker entwickelt, wie gerade die Kollegen bei VW in Brüssel zu spüren bekommen.

Andererseits wären die Gewerkschaften aber sehr schlecht beraten, wenn sie in den anstehenden Lohnrunden nicht dafür sorgen, dass sich die vielfältigen Gräben in der Arbeiterklasse, die sich mit Deregulierung, Outsourcing, Leiharbeit, betrieblichen Vereinbarungen und anderen Dingen aufgetan haben, wieder schließen. Es gibt viel zu verteilen in diesem Land, aber wenn die Gewerkschaften vom Kuchen nur ein Stück für die Stammbelegschaften abschneiden, dann beschleunigen sie Absinken in die Bedeutungslosigkeit.

Schließlich ist eine stärkere internationale Zusammenarbeit das Gebot der Stunde, wie man nicht zuletzt am Beispiel der belgischen VW-Arbeiter sieht, die unter den Konsequenzen des Abschluss der IG Metall in Deutschland zu leiden haben.

(wop)