Nächste Seite
Sozialrichter sieht zahlreiche Regelungslücken:

Hartz-IV-Klageflut

Bei den umstrittenen Hartz IV-Gesetzen gibt es nach Ansicht von Bundessozialrichter Peter Udsching zahlreiche Regelungslücken, die noch höchstrichterlich gefüllt werden müssen. "Der Klärungsbedarf ist groß", sagte der Senatsvorsitzende in Kassel.

Klageflut wird 2007 noch ansteigen

Beim Bundessozialgericht (BSG) seien derzeit rund 70 Revisionsverfahren anhängig, die sich mit Fragen der Anfang 2005  zusammen- gelegten Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II befassen. “Ich gehe davon aus, dass die Zahl der eingehenden Verfahren in der ersten Jahreshälfte 2007 noch weiter ansteigen wird”, sagte der Richter. Die Klageflut sei aber nicht unbedingt auf handwerkliche Fehler des Gesetzgebers zurückzuführen. Vielmehr handele es sich um eine Gesetzgebung, die große Teile der Bevölkerung betreffe und “von existenzieller Bedeutung ist”, sagte Udsching. Da sei es den Klägern wichtig, “auch Details zu klären”.

Vor allem um Einzelfragen

Nach den ersten Grundsatzurteilen des BSG, mit denen Deutschlands oberste Sozialrichter im November 2006 unter anderem die Höhe des Regelsatzes von 345 Euro im Monat billigten und Kriterien für die Angemessenheit von Unterkunftskosten aufstellten, seien  wesent- liche Maßstäbe gesetzt worden. “Jetzt geht es vor allem um Einzelfragen, nicht mehr um Klagen, die die Grundlagen des ganzen Systems in Frage stellen”, sagte Udsching.

Für neue Grundsatzstreits könnten allerdings die 2006 in Kraft getretenen Verschärfungen der Hartz IV-Gesetze sorgen, fügte der Bundesrichter hinzu. “Ob man junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren faktisch zwingen kann, im Elternhaus zu bleiben, ist eine Frage, die uns beschäftigen wird.” Außerdem dürften in Kürze die ersten Verfahren zu den Ein-Euro-Jobs eingehen. "Und wir werden die grundsätzliche Frage zu klären haben, ob ganze Personengruppen, wie etwa die Auszubildenden, komplett aus dem  Grundsicherungssystem ausgeschlossen werden durften.”

Klärungsbedarf bei Heiz- und Mietkosten

Daneben würden wohl auch weiterhin Streitigkeiten um die Übernahme von Miet- und Heizkosten die zentrale Rolle spielen. "Das sind sehr viele Einzelfälle, da steckt Zündstoff drin", betonte der Richter. So müssten die Bundesrichter beispielsweise entscheiden, ob Empfänger von Arbeitslosengeld II Anspruch auf die Befüllung eines Heizöltanks haben oder nur auf die monatlichen Heizkostenraten. Auch das Urteil vom November 2006, mit dem das BSG den Job-Centern konkrete Ermittlungen über das Mietniveau in ihrem  Einzugsbereich aufgetragen und die Anwendung der bundeseinheitlichen Wohngeldtabelle abgelehnt hatte, werde in weiteren Entscheidungen genauer ausgeführt werden müssen. So sei zu klären, welche Kriterien ein lokaler Mietspiegel erfüllen müsse und unter welchen  Voraussetzungen Arbeitslose auch auf billigere Wohnungen außerhalb ihrer Gemeinde verwiesen werden können. Peter Udsching ist  Vorsitzender des 7b-Senats, eines der beiden für Hartz IV-Verfahren zuständigen Spruchkörpers des BSG. Wegen der wachsenden Zahl der Klagen soll in diesem Jahr möglicherweise ein dritter Senat für dieses Rechtsgebiet eingerichtet werden. 


(csk)