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Wissenschaftler legen UN-Klimabericht vor:

Tropische Aussichten

Norddeutschland, Winter 2100: Küstenbewohner der Nordsee sehen dem nächsten Wintersturm mit mulmigem Gefühl entgegen. Auch die mittlerweile erhöhten Deiche bieten keinen sicheren Schutz vor der zu erwartenden schweren Sturmflut. Nordseeinseln wie Sylt befürchten weitere massive Landverluste. Was sich Anfang des Jahrhunderts schon abzeichnete, ist jetzt grauer Alltag. Die Winter sind fast immer mild, regenreich und stürmisch, der Meeresspiegel ist im Durchschnitt fast einen Meter höher als noch vor 100 Jahren. Mit teuer erkauften Küstenschutzmaßnahmen ist es gelungen, größere Landverluste zu vermeiden, anderswo in der Welt mussten dagegen tiefer gelegene Gebiete und flache Eilande evakuiert werden.

Solche Szenarien malen Wissenschaftler am IFM-GEOMAR aus. So könnten die Konsequenzen dessen aussehen was Anfang Februar in Paris als vierter Klimabericht der Vereinten Nationen vorgestellt wurde, in dem der aktuelle Stand der Klimaforschung zusammengefasst wurde. „Was wir jetzt feststellen müssen ist, dass es keinen Zweifel mehr an dem vom Menschen verursachten Klimawandel gibt“, so Jürgen Willebrand von IFM-GEOMAR, Hauptautor des Kapitels zum Verhalten der Ozeane und des Meeresspiegels in dem erwähnten Bericht.

Der Bericht räumt die letzten Zweifel aus, dass wir uns bereits mitten im Klimawandel befinden und dass dies eine Folge der gestiegenen Treibhausgaskonzentrationen ist. In den letzten 100 Jahren (1906 bis 2005) ist die globale Durchschnittstemperatur der bodennahen Atmospähre, die gewöhnlich als Maß der Erwärmung des Klimasystems zitiert wird, um 0,75 Grad Celsius gestiegen. Weitere Anzeichen für den globalen Wandel sind der Rückgang des Sommerminimums des arktischen Treibeises, das Schrumpfen der Gebirgsgletscher in aller Welt, der Rückgang des Permafrostbodens und der kontinuierliche Masseverlust der Gletscher in der Antarktis und auf Grönland. Der Meeresspiegelanstieg hat sich bereits beschleunigt und beträgt derzeit drei Millimeter pro Jahr. Auch der globale Temperaturanstieg ist in den letzten beiden Jahrzehnten erheblich schneller geworden und beträgt nunmehr 0,2 Grad pro Jahrzehnt.

Ursache dafür ist unter anderem die Konzentration des wichtigsten Treibhausgases, des Kohlendioxids (CO2), das bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe (Kohle, Ölprodukte, Gas) entsteht. Von 280 ppm (Teile pro Million) in vorindustrieller Zeit ist seine atmosphärische Konzentration inzwischen auf 379 ppm gestiegen. Damit ist heute in der Atmosphäre mehr CO2, als zu irgend einer anderen Zeit in den letzten 650.000 Jahren. Derzeit ist zudem der Anstieg der CO2-Konzentration so rasch wie seit 50 Jahren nicht mehr.

Die Wissenschaftler haben verschiedene Emissionsszenarien durchgerechnet, um eine Vorstellung von der künftigen Klimaentwicklung zu bekommen. Würde man die Emissionen sofort stoppen, dann würde sich aufgrund der bisher emittierten Treibhausgase die Atmosphäre in den nächsten Jahrzehnten noch um weiter 0,6 Grad Celsius erwärmen. Der Meeresspiegelanstieg braucht sogar einige Jahrhunderte, bevor er zum Stillstand kommt.

Doch dieses Szenario scheint leider derzeit ziemlich unrealistisch. Das nächst günstigere geht davon aus, dass man die Emissionen so weit begrenzen kann, dass sie nicht viel weiter als auf 450 ppm steigen. In dem Falle könnte die Erwärmung höchstwahrscheinlich auf ein bis 2,7 Grad beschränkt werden. Schon die obere Grenze liegt deutlich über der Schwelle von etwa zwei Grad Celsius, die den meisten Forschern als gerade noch tolerabel gilt. Jenseits des Bereichs von plus zwei Grad liegen Klimabedingungen, wie sie zuletzt vor einigen Millionen Jahren geherrscht haben, bevor der aktuelle Zyklus der Eis- und Warmzeiten einsetzte.

Solche Bedingungen könnten unsere Urenkel erleben, sollten wir so weiter machen wie bisher. Die Business-as-usual-Szenarien, die der IPCC zitiert, werden in den nächsten 90 Jahren zur Erwärmung um vier Grad führen. Das ist zumindest der Wert, den die Simulationen als den wahrscheinlichsten angeben. Es könnte aber auch ein bisschen mehr werden. Die Obergrenze sehen die Simulationen bei 6,3 Grad.

Das auf dem Ostufer geplante neue Kohlekraftwerk wird Kiels Ticket in diese tropische Zukunft werden. 


 (wop)