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Mit der Kohle in die Klimakatastrophe:

Nach uns die Sintflut?

Manchmal hat man den Eindruck, Journalisten sehen ihre wichtigste Aufgabe darin, Nebelgranaten zu werfen. Jahrelang bot man immer wieder gerne Wirtschafts-Lobbyisten, die sich als „Klimaexperten“ präsentierten, eine Plattform. Der Konsens der Klimawissenschaftler, die seit langem vor der globalen Erwärmung warnen, hatte nämlich keinen Neuigkeitswert mehr. Also mussten Skeptiker und Leugner her, die für Schlagzeilen sorgen konnten. Doch nach dem Anfang Februar das UN-Wissenschaftlergremium IPCC (Zwischenstaatlicher Ausschuss für Fragen des Klimawandels) den ersten Teil seines neuesten Berichts vorgelegt hat, funktioniert dieses Spiel nicht mehr.

Also wird eine neue Platte aufgelegt. Nach dem die Financial Times Deutschland Ende Februar einen Blick in den Entwurf des nächsten IPCC-Teilberichts hat werfen können und alle anderen von ihr abschreiben, heißt es nun: „Klimawandel nicht mehr aufzuhalten“. Da paart sich der Stille-Post-Effekt mit dem journalistischen Pisa-Syhndrom. Agenturen schreiben bei Zeitungen ab und Redakteure bei Agenturen ohne dabei auch nur im geringsten von irgendeinem Fachwissen behaucht zu sein. Zurück bleibt ein desorientiertes Publikum, genau das also, was Konzerne wie E.on oder der Stadtwerke-Mehrheitseigner MVV brauchen, die mit ihrem neuen Kraftwerk in Dietrichsdorf einfach so weiter machen wollen wie bisher, nach dem Motto „Nach uns die Sintflut!“

Was ist also dran an dem „unaufhaltsamen Klimawandel“. Kann man tatsächlich nichts mehr machen? Wahr ist, dass sich das globale Klima bereits zu ändern begonnen hat. Wahr ist auch, dass das Klimasystem träge reagiert und die globale Erwärmung noch um einige Zehntel Grad zunehmen würde, wenn man die Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre von heute auf morgen auf dem aktuellen Stand einfrieren könnte. Der Meeresspiegel wird sogar noch einige Jahrhunderte weiter um insgesamt einige Dutzend Zentimeter steigen. Nur: Jedes bisschen Mehr an Treibhausgasen in der Atmosphäre wird diesen Wandel verschlimmern und kann ihn leicht zur Katastrophe werden lassen. Die Frage ist also nicht “Klimawandel ja oder nein?”, wie die Schlagzeilen in den ersten Märztagen nahe legten, sondern wie viel.

Die Bundesregierung hat als Ziel ausgegeben, den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad Celsius zu beschränken. Das ist einerseits ehrgeizig, könnte aber andererseits auch schon zu viel sein, um alle gefährlichen Klimaveränderungen zu verhindern. Auf jeden Fall sind diese zwei Grad wirklich das obere Ende dessen, was gerade noch vertretbar sein könnte, und werden dennoch für viele Menschen, besonders in den ärmeren Ländern, die keine Mittel für Küstenschutz haben und keine Vorsorge gegen Ernteverluste treffen können, viele Härten bedeuten.

Es gibt zum Beispiel Wissenschaftler, die meinen, schon diese zwei Grad (im globalen Mittel) werden reichen, das grönländische Eis zu destabilisieren. Das würde bedeuten, dass dieser mehrere Kilometer dicke Riesengletscher in den nächsten Jahrhunderten gänzlich  ab- schmelzen und der Meeresspiegel um ca. sieben Meter steigen würde. Das wird ein Prozess sein, der sich über Generationen erstreckt, aber im Endeffekt würde in 200, 300 oder 400 Jahren Rendsburg zur Küstenstadt. Weite Landstriche an der Nordsee müssten  aufge- geben werden, und auch in Kiel würde wahrscheinlich noch mancher nasse Füße bekommen. Man versuche sich einmal vorzustellen, was es für die menschliche Gesellschaft bedeutet, wenn innerhalb von zwei oder drei Generationen rund um den Globus etliche 100 Millionen Menschen umgesiedelt werden müssen, wenn Megastädte wie New York, Shanghai oder Jakarta in den Fluten versinken und wenn unzählige Müllkippen, Chemieanlagen und ähnliches überspült werden, um ihre Giftfracht im Weltmeer zu verteilen.

Das ist wie gesagt kein Szenario, das morgen, oder in 50 Jahren eintreten wird, es geht vielmehr um eine Hypothek, die wir künftigen Generationen aufbürden. Aber es ist auch nur das untere Ende des Möglichen, und bei einem stärkeren Temperaturanstieg drohen noch viel drastischere Veränderungen. Dabei wird es alles andere als einfach sein, die globale Erwärmung tatsächlich auf zwei Grad Celsius zu beschränken.

An dieser Stelle wird für gewöhnlich gerne auf andere verwiesen, zum Beispiel auf die USA oder China. Wahr ist, dass Klimaschutz nur gelingen kann, wenn die meisten Länder sich dran beteiligen. Wahr ist allerdings auch, dass in Deutschland pro Kopf noch immer jährlich rund zehn Tonnen des wichtigsten Treibhausgases Kohlendioxid in die Luft geblasen werden. Weltweit muss der Pro-Kopf-Ausstoß auf unter zwei Tonnen pro Jahr gedrückt werden. Wenn wir aber, jetzt überall neue Stein- und Braunkohlekraftwerke bauen, wie es nicht nur in Kiel, sondern auch in zahlreichen anderen Städten geschehen soll, dann werden wir dieses Ziel in Deutschland in den nächsten 30 bis 40 Jahren nicht erreichen können.

Die Bundesregierung tut zwar immer gerne so, als sei Deutschland Vorreiter im internationalen Klimaschutz, und findet dafür auch reichlich Nachplapperer in den Medien, aber im Ausland wird es durchaus wahrgenommen, dass es damit nicht so weit her ist. Jedes Kohlekraftwerk, das hier verhindert werden kann, wird also andernorts Umweltbewegungen und   vielleicht sogar Regierungen, die weniger von den fossilen Industrien abhängig sind als die deutsche, ermuntern, ihrerseits auf Energiewende und Klimaschutz zu setzen.
 

 (wop)