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Leserbrief:
Berliner Scheuklappen?

Eigentlich lese ich die Kommentare von wop in der LinX immer wieder gern und in den meisten Fällen stimme ich ihm sogar zu. Wenn er allerdings die Bildung der neuen Linkspartei kommentiert, frage ich mich schon, welcher Teufel ihn reitet? Was treibt ihn dazu, derart hasserfüllt und undifferenziert auf WASG und L.PDS einzuprügeln?

Dass die L.PDS sich in Berlin nahezu bedingungslos der SPD und ihrer neoliberalen Politik unterworfen hat, ist unbestritten. Das muss man kritisieren, das muss man bekämpfen und besonders die L.PDS hat dafür bei der letzten Wahl die Quittung von den WählerInnen bekommen. Ehrlicherweise muss aber auch zur Kenntnis genommen werden, dass die WASG Berlin die Enttäuschung der BerlinerInnen über die rot-rote Senatspolitik nicht genutzt hat. Sie konnte zwar mit 2,8% der Stimmen einen gewissen Achtungserfolg erzielen, diesen aber nicht in konkrete Politik umsetzen. Glaubt man der Linken Zeitung, dann tut die WASG Berlin jetzt das, was die bundesdeutsche Linke in den letzten 40 Jahren bis zum Überdruss getan hat: Intern erklären sich die Linken wechselseitig, wann, wo und wieso sie falsch gehandelt haben; die in der Debatte unterlegenen Linken verlassen frustriert die Veranstaltung und über lang oder kurz wird man sich wohl in Einzelteile aufspalten. Ein Modell für die gesamte Linke kann das nicht sein!

Nun ist Berlin nicht der Nabel der Republik, sondern – die BerlinerInnen dürfen das anders sehen – nur ein relativ unbedeutendes Bundesland. Politik findet nicht nur im Berliner Senat statt und wer die neue Linkspartei beurteilen will, sollte ohne Scheuklappen über den Berliner Tellerrand hinausblicken. Wenn die WASG/L.PDS-Fraktion im Bundestag die Koalition der Sozialräuber und Kriegstreiber gemeinsam u. a. mit den Themen Mindestlohn, Rentenkürzung, Hartz IV und Bundeswehreinsätze vor sich hertreibt und entlarvt, zeigt dies tendenziell, welche Wirkung die neue Linkspartei entfalten kann.

Natürlich ist auch das nur ein Aspekt, aber es ist ein wichtiger und, ja, die Bundestagsfraktion besteht mehrheitlich eher aus linken SozialdemokratInnen als aus lupenreinen SozialistInnen. Wir sollten uns jedoch erinnern, wer die WASG auf den Weg gebracht hat: Überwiegend enttäuschte (Ex) SPD-Mitglieder und GewerkschafterInnen! Diese Leute haben ein Projekt gestartet, in dem SozialistInnen und SozialdemokratInnen gemeinsam um und für eine andere, bessere Gesellschaftsform streiten konnten und können. Etwas  Vergleich- bares hat die radikale Linke in den vergangenen 40 Jahren nicht einmal im Ansatz geschafft. Sie hat lieber das getan, was sie am Besten kann, nämlich sich selbst immer weiter zerlegt, um der ‚Reinen Lehre’ Willen. Die wenigen Zusammenschlüsse von Splittergruppen zählen nicht, denn wenn sich zwei Zwerge zusammentun, wird daraus noch kein Riese.

Immerhin haben einige linke Gruppen die Chance erkannt, die sich in diesem Projekt bot, und sind der WASG beigetreten. Wenn sie sich beim Parteibildungsprozess nicht oder nicht im angestrebten Umfang durchsetzen konnten, so liegt das wesentlich an ihrer eigenen Schwäche; sich darauf zu beschränken, die ‚bösen Bürokraten’ und deren Tricksereien allein verantwortlich zu machen, wäre einfach, aber zu kurz gedacht. Sich jetzt aus der Organisation zurückzuziehen und auf ein neues (natürlich lupenreines) linkes Projekt zu bauen, halte ich für den falschen Weg. Der Kampf um die Positionierung der gemeinsamen Linkspartei hat noch gar nicht richtig begonnen, geschweige denn wird er in absehbarer Zeit entschieden. Links von der WASG/L.PDS mag Potenzial für Aktionen sein, für eine weitere Partei reicht es sicher nicht.

Wenn wop schreibt, unter dem Dach der Linkspartei bilde sich eine „unheilige Allianz“ aus „westdeutschem Gewerkschafts-Stalinismus“ und „aus London ferngesteuerten Linksruckis“, was will er uns damit vermitteln? Sind die Gewerkschaftsmitglieder in WASG und L.PDS Stalinisten? Warten die LinksruckerInnen jeden Morgen gespannt vor ihrem Kurzwellenempfänger auf die Anweisungen der Londoner Zentrale? Lieber wop, das ist doch nicht dein Niveau, das passt nicht einmal mehr in die unterste Schublade!

Zum Schluss: Nein, ich ziehe mich trotz des Kommentars nicht beleidigt zurück, ich kündige auch nicht mein Abo, denn, wie eingangs gesagt, eigentlich lese ich die Kommentare von wop (und auch die übrige LinX) ja ganz gerne und bin meistens der gleichen Meinung. Entscheidend ist nicht das, was uns trennt, sondern das, was uns eint.

In diesem Sinne mit solidarischen Grüßen
Karl-Heinz Sünkens