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Buchbesprechung:
Wenn Flüsse versiegen

Flüsse sind die Lebensadern der Nationen. Sie dienen oft als günstige Transportwege, versorgen Menschen und Felder mit Wasser, bieten – sofern sie nicht bereits zu Industriekanälen verkommen sind – Flussfischern ein Einkommen und den Anwohnern Nahrung. In früheren Zeiten haben sie auch oft die Felder mit ihren regelmäßigen Überflutungen gedüngt, aber das hat inzwischen auf allen Kontinenten der technische Fortschritt in Gestalt zahlloser Staudämme unterbunden.

Flüsse sind also für den Menschen ein Segen, doch manchmal auch ein Fluch, wenn sie mit großer Gewalt an ihren Dämmen rütteln und über die Ufer treten. Dann sind große Verheerungen die Folge, gegen die sich die Menschen seit dem sie sesshafte wurden zu erwehren versuchen. Tatsächlich haben sich die meisten frühen Zivilisationen und ersten Staatsgebilde von den Küsten Perus über den Nil, Mesopotamien und das Industal bis zu den beiden großen Strömen Chinas in der Auseinandersetzung mit diesen Naturgewalten gebildet. Durch Bewässerungssysteme und Deichbauten ließen sich die Ernteerträge vervielfachen, doch erforderten sie auch ein diszipliniertes, meist sehr despotisches Regime zu ihrer Aufrechterhaltung. Nicht nur das Schicksal der Völker, auch das der Herrscher hing oft von deren Fähigkeit ab, Schutzbauten und Kanäle sinnvoll zu planen und im Schuss zu halten. Schaften sie es nicht, waren Katastrophen, Hungersnöte und manchmal große Rebellionen die Folge.

Doch nicht nur in historischen Zeiten waren die Flüsse immer wieder Stoff großer Geschichte. Auch heute, in Zeiten zunehmender Wasserknappheit und megalomanischer Dammbauten spielen sich entlang der Flussufer rund um den Globus, mal in aller Stille, mal im Licht der Weltöffentlichkeit kleine und große Dramen ab. Und so ist der britische Wissenschafts- und Umweltjournalist Fred Pearce ausgezogen, um deren Protokollant zu sein, um alte mit neuen Geschichten zu verweben, um die vertrockneten Flußtäler und versalzenen Felder, eingefallenen Bewässerungsanlagen und leeren Stauseen in Augenschein zu nehmen. Herausgekommen ist ein überaus lesenswerter Band.
 


Den Rio Grande in Nordamerika hat Pearce besucht, die Flüsse Zentralasiens, die einst den Aralsee speisten, die Zubringer des Tschadsees im Herzen Afrikas und Chinas Gelben Fluss den Huang He. Die Diagnose ist überall die gleiche: Eingriffe des Menschen und ein Ausbleiben der Niederschläge, zwei Faktoren, die manchmal zusammengehören wie Henne und Ei, haben überall gewaltige Veränderungen hervorgerufen und zu zum Teil überaus prekären Situationen geführt. Für die kommenden Jahrzehnte sind schwere Krisen zu erwarten.

Verschärft wird die Lage noch durch die Klimaveränderungen, die sich bereits am Horizont abzuzeichnen beginnen. Mit der globalen Erwärmung, das zeigen alle Projektionen der Geowissenschaftler, werden sich auch die regionalen Niederschlagsverhältnisse drastisch verändern. Insbesondere im Mittelmeerraum müssten die europäischen, nordafrikanischen und vorderasiatischen Anrainer mit großen Dürren rechnen, wenn der Ausstoß der Klimagase nicht bald nachhaltig eingedämmt wird. Ähnlich wird es auch großen Teilen Mittelamerikas und der Karibik ergehen, aber auch dem südlichen Afrika und dem Westen Australiens. Der östliche Teil des Amazonas-Regenwaldes würde vermutlich zu einer trockenen Savanne.

Das besonders Fatale dabei ist, dass große Trockenheit nicht vor Überschwemmungen und Hochwasser schützt. Wie der Leser von Reisetagebüchern aus der Sahara weiß, kann man in Wüsten durchaus ertrinken, wenn man sein Zelt zur falschen Zeit in einem Wadi aufstellt. Und so wird nach den Projektionen der Klimaforscher mit Dauer und Intensität der Trockenperioden in den erwähnten Regionen und macher anderen Weltgegend auch die Wahrscheinlichkeit von extremen Niederschlägen zunehmen, wie jenem, der 1997 die Oder über ihre Ufer treten ließ.

Diese Situation wird die Planer auf allen Kontinenten vor enorme Probleme stellen. Pearce: „Der Großteil der Weltbevölkerung lebt gegenwärtig dort, wo die Wasserversorgung historisch gesichert war. Das ist kein Zufall, um zu leben und sich zu entwickeln, braucht die Menschheit zuverlässige und berechenbare Wasserressourcen. Die modernen hochtechnischen Methoden der Wassernutzung stellen die Zuverlässigkeit oft bis an ihre Grenze auf die Probe. Nun unterhöhlt der Klimawandel auch die Berechenbarkeit.“
Mit den „ hochtechnischen Methoden“ meint der Autor nicht zuletzt die Unmengen von Staudämmen, mit denen inzwischen fast alle großen Flüsse außer der arktischen Ströme  Eurasiens und Nordamerikas reguliert sind. In der Theorie sieht alles so schön aus. Staudämme sollen Wasser für die Bewässerung der Felder Speichern, Strom liefern und gleichzeitig die Anwohner flussabwärts vor Hochwasser schützen.

In der Praxis ist davon jedoch oft wenig zu merken. Unter anderem, weil sich die Aufgaben widersprechen. Wenn Wasser für die Bewässerung verkauft und Strom produziert werden soll, dann müssen die Reservoirs möglichst voll sein. Für den Hochwasserschutz müsste man sie jedoch im Vorfeld der Regenzeiten jeweils leerlaufen lassen. So zitiert Pearce das Beispiel der schweren Hochwasser im Februar 2000 in Mosambik. Schwerer Monsunregen hatte die Flüsse des südostafrikanischen Landes über die Ufer treten lassen und Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Was weniger oft zu hören war, ist, dass flussaufwärts in Südafrika, Simbabwe und Botswana die Stauseen nicht rechtzeitig geleert worden waren.

Und auch mit den anderen Versprechen ist es oft nicht weit her: Der Assuan-Staudamm hat in der flachen nubischen Wüste den zweitgrößten künstlichen See der Welt geschaffen, auf dessen riesiger Oberfläche Wasser in großen Mengen ungenutzt verdunstet. 25 bis 40 Prozent des kostbaren Nass gehen so verloren, schreibt Pearce. Und wozu? Damit pro Hektar überschwemmter Fläche etwa fünf Kilowatt elektrischer Leistung bereit gestellt. Selbst im sonnenarmen Deutschland ließe sich auf der gleichen Fläche mit Photovoltaik ein Vielfaches an Strom erzeugen. Aber das ist nur eine von zahllosen Absurditäten aus der Welt der größenwahnsinnigen Dammbauer. Wer mehr darüber und über viele andere Aspekte der Wasserbewirtschaftung erfahren möchte, dem sei dieses ausgesprochen lesbar geschriebene Buch wärmstens empfohlen.

            (wop)