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Kommentar:
Ganz demokratisch

Der jüngst EU-Gipfel war mal wieder eine überaus lehrreiche Veranstaltung: Zunächst fällt das beachtliche Missverhältnis zwischen  allgemeinem Desinteresse und Medienrummel auf. Während Zeitungen und Nachrichtensendungen voll mit dem Gipfel-Thema waren, ging es den meisten Bürgern am Hinterteil vorbei. Zweitens wurde uns erneut demonstriert, dass mit der EU und dem partiellen  Zusammenwachsen der Nationalstaaten der Nationalismus keinesfalls obsolet wird. Vielmehr wird dieser bei Bedarf eingesetzt, um Kampagnen gegen Kontrahenten zu fahren und die eigenen Absichten zu vernebeln. Besonders perfide diesmal: Als Zielscheibe suchte man sich ausgerechnet ein Land aus, das wie kein anderes in den letzten 250 Jahren unter Deutschland und seinen Vorgängerstaaten gelitten hat. Drittens sind wir es zwar mittlerweile gewohnt, dass Journalisten, Nachrichtensprecher und Fernsehmoderatoren eine Schere im Kopf haben, die eine Gleichschaltung auch ohne Zensurbehörde ermöglicht. Schließliche hatten wir es gerade erst im Falle des G-8-Gipfels erlebt. Bemerkenswert ist es dennoch immer wieder, allein schon, weil es die Wahl am Zeitungsstand zur Qual macht, wenn alle den gleichen unausgegorenen und nachgeplapperten Mist schreiben. Viertens war der ganze Trubel mal wieder eine wunderschöne Lektion in Sachen real existierender parlamentarischer Demokratie. Undemokratisch ist es, wenn Deutschland mit seinen 82 Millionen Einwohnern nicht ein deutlich größeres Stimmengewicht bekommt, als Polen mit 38 Millionen Bewohnern. Unverschämt ist es, wenn der polnische Regierungschef darauf hinweist, dass das vergleichsweise große Land auch aufgrund der von Deutschen dort verübten  Völkermorde so dünn besiedelt ist. Demokratisch ist es hingegen wenn man rund sieben Millionen der deutschen Einwohner die  Bürgerrechte vorenthält und sie selbst dann noch ggf. ausweist, wenn sie hier geboren wurden oder aufwuchsen. Und besonders  demokratisch ist es, eine Verfassung, die von den Wählern in den Niederlanden und Frankreich abgelehnt wurde, umzubennen, um sie mit kosmetischen  Veränderungen erneut zu verabschieden.

       (wop)