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Kontrollfreaks und Datensammler ausgezeichnet:

Big Brother Awards

Noch nie gab es so viele Nominierungen für die Big Brother Awards wie in diesem Jahr. Finanzämter, Strafverfolger, Telefonfirmen, Hotels und die Bahn, viele trachten nach den Daten ihrer Kunden. (Die Verleihung war bereits Mitte Oktober, aberwir denken, dass das Thema nichts an Aktualität verloren hat, der Layouter.)

Jeden Tag hinterlassen wir überall Fingerabdrücke. Zum Glück sammelt sie keiner, sonst ließe sich viel über unsere Vorlieben erfahren. Mit unseren elektronischen Daten ist das anders. Es scheint jedoch, dass das Problem immer mehr Menschen bewusst wird. Ein Indiz dafür sind die Big Brother Awards. Jedes Jahr werden einige der übelsten Datensammler mit diesem Negativpreis markiert, und noch nie gab es so viele Nominierungen. Mehr als 500 Firmen, Behörden und Menschen waren vorgeschlagen worden. Hier sind die ‚Gewinner’:

Generalbundesanwältin Monika Harms erhält den Big Brother Award in der Kategorie Behörden und Verwaltung für ihre Aktionen rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm. Zwei Dinge waren es vor allem, die die Jury überzeugten. Zum einen die Anordnung der  Bundes- anwaltschaft Ende Mai 2006, in Hamburg systematisch die Post eines ganzen Briefzentrums zu kontrollieren. Drei Tage lang wurden alle im Zentrum 20 in Hamburg aufgegebenen Sendungen überprüft und ein Brief geöffnet. Man suchte Brandstifter. Als Begründung diente der Paragraf 129a, der Verdacht der Gründung einer terroristischen Vereinigung. Zum anderen die Tatsache, dass auf Anordnung von Harms bei mindestens fünf Gegnern des Gipfels sogenannte Geruchsproben genommen wurden. Ebenfalls im Rahmen von Ermittlungen, in denen es letztlich um Sachbeschädigung ging.

Die Deutsche Bahn AG, vertreten durch Hartmut Mehdorn, verdiente sich ihren Preis mit dem Bestreben, „systematisch anonymes Reisen auf vielfältige Art und Weise unmöglich“ zu machen. Dabei gehe es nicht um das „alltägliche Genervtsein im Umgang mit einem servicefremd agierenden Konzern“, heißt es in der Laudatio. Es gehe darum, dass dank Automaten, Internet und Preispolitik die Bahn ihre Kunden systematisch ausforsche. So werde ohne Grund und auch ohne Berechtigung das Geburtsdatum beim Kauf der Bahncard erhoben und gespeichert. Oder in die Bahncard 100 gar ein RFID-Chip eingebaut – wer damit Bonuspunkte sammelt, gibt Daten weiter. Unwissentlich, denn Informationen darüber bekämen die Kunden nicht.

Die Novartis Pharma Gmbh überzeugte die Jury durch ihre konsequente Überwachung der eigenen Mitarbeiter. „In großem Stil“ würden Außendienstlern Detektive hinterhergeschickt, um zu überprüfen, wie viele Ärzte und Apotheken sie im Namen des Unternehmens täglich abklappern. Außerdem erhielten Novartis-Mitarbieter die Ergebnisse einer Befragung, für die ausdrücklich Anonymität zugesichert worden war, von der Personalabteilung bewertet zurück. Der Lohn: der Big Brother Award 2007 in der Kategorie Arbeitswelt.
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück gehört zu den Ausgewählten dank seiner Idee einer lebenslangen Steueridentifikationsnummer. Von der Geburt bis lange nach den Tod soll alle Deutschen bald eine Nummer begleiten. Dank diverser Daten, die Meldeämter zuliefern müssen, entsteht die wohl umfangreichste Datensammlung aller Einwohner - in Widerspruch zur Verfassung. Denn die verbietet laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, „den Menschen zwangsweise in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren“. Denn dank der Steuer-ID lassen sich jedoch nicht nur alle finanziellen Transaktionen verfolgen. Problemlos kann sie dank Biometrie und Handydaten zu einem lückenlosen Profil der Menschen verwoben werden. „Herzlichen Glückwunsch“ daher vom Verein Foebud an Peer Steinbrück, den Sieger in der Kategorie Politik.

Eine Art Sammelpreis geht in diesem Jahr in der Kategorie Verbraucherschutz an internationale Hotelketten in Deutschland, zum Beispiel Hyatt, Mariott, Intercontinental. Nach Meinung der Jury haben sie sich diesen dank ihres großen Interesses für die persönlichen Vorlieben ihrer Gäste verdient. Ohne deren Wissen würden Telefonate, Ess- und Trinkgewohnheiten, Kreditkartennummern, Sonderwünsche, Beschwerden und beispielsweise auch Allergien zentral gespeichert. Nicht um bestmöglichen Service gehe es dabei, sondern um „Ranking an Discrimination“. Man wolle, so heißt es in der Laudatio, die lukrativen von den anderen Gästen unterscheiden. Und die Daten möglicherweise auch verkaufen, wie die Jury fürchtet: „Und wo all diese Informationen schon einmal vorhanden sind, könnten sich schnell weitere Interessenten dafür finden.“

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries erhält den diesjährigen Award in der Kategorie Kommunikation. Ihr Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ignoriere ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, sagte Anwalt und Laudator Fredrik Roggan. Dies habe im Volkszählungsurteil 1983 festgelegt, dass die Sammlung nicht anonymisierter Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz unvereinbar ist. Man sei sich durchaus bewusst, dass es sich bei dem Gesetz um einen Rechtsakt der Europäischen Union handele, so die Jury. Auch sei vermerkt worden, dass nur die von der EU geforderte Mindestspeicherzeit von sechs Monaten im Entwurf stehe. Doch entlaste das die Justizministerin „nur begrenzt“. Der Widerstreit zwischen europäischer und deutscher Rechtsprechung hätte für Zypries ein Grund sein können „auf einen Beitritt Deutschlands zur irischen Klage hinzuwirken“. Zumindest aber hätte es Anlass sein müssen, mit einem deutschen Gesetz zu warten, bis auf europäischer Ebene über die Klage Irlands gegen die Novelle entschieden ist.

Den Big Brother Award im Bereich Technik verleiht Foebud an die PTV Planung Transport Verkehr AG. Besserer Service für die Kunden ist häufig die Begründung dafür, so viel wie möglich über Menschen erfahren zu wollen. Sehr oft aber hat dieser Service Nachteile, über die dann vergessen wird zu informieren. Ähnlich der Maut funktioniert ein System von PTV, das Versicherungen Meldung über den Fahrstil ihrer Kunden erstattet. Wer vernünftig fährt, so die Idee, bekommt bei Pay-as-you-drive Rabatt. Für die Ersparnis jedoch muss der Kunde eine nahezu lückenlose Überwachung über sich ergehen lassen. Interessieren könnten sich für die Daten – vom Reifendruck bis zum Alkoholspiegel im Blut – auch Ermittler. Immerhin waren die Mautdaten ursprünglich auch strikt zweckgebunden und könnten bald sehr viel mehr Interessenten offen stehen. Der monetäre Anreiz macht die Jury dabei nur noch besorgter. Immerhin Zeige das Payback-System, „dass viele Bürger bereits für wenig Gegenleistung bereit sind, ihre Privatsphäre aufzugeben“.

(csk)