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Die Verhandlung am Bundesverfassungsgericht zur 5%-Hürde bei den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein

Karlsruhe, Kiel. Das Bundesverfassungsgericht hat mit der Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der nur noch in wenigen Bundesländern existierenden Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen begonnen. Der Zweite Senat prüft eine Klage der Grünen und der Partei DIE LINKE in Schleswig-Holstein gegen die Beibehaltung der Sperrklausel. Die nächsten Kommunalwahlen sind im Mai 2008.

Gerichtsvizepräsident Winfried Hassemer sagte gleich zu Beginn der Verhandlung, die Klausel sei „ohne Zweifel ein zentraler Einschnitt in das Wahlrecht eines jeglichen Landes“  und könne zu einer „erheblichen Verzerrung“ bei der Wahlgleichheit führen. Deshalb müsse es „schwerwiegende Gründe“ für die Einführung einer solchen Fünf-Prozent-Hürde geben. Die Sperrklausel bewirkt, daß bei der Verteilung der Sitze nur die Parteien oder Wählergruppen berücksichtigt werden, die mindestens fünf Prozent der Stimmen erzielt haben. Stimmen für eine Partei von weniger als 5% werden nicht gewertet.

Stichwort Weimarer Republik

Das Stichwort Weimarer Republik fiel in der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die Fünf-Prozent-Hürde am Mittwoch in Karlsruhe nur ein Mal: Gerichtsvizepräsident Winfried Hassemer wies in seinen Eingangsbemerkungen darauf hin, daß die damalige Zersplitterung der Parteienlandschaft nach Kriegsende Anlass für die Einführung der Sperrklausel gegeben hat. Der Bezug auf die Weimarer Republik bedeutet immer, daß unterstellt wird, der Aufstieg des Faschismus in Deutschland habe etwas mit der damaligen Zerstrittenheit der vielen Parteien in den Parlamenten und einer daraus resultierenden Unregierbarkeit zu tun. Dafür waren bekanntlich noch ganz andere Gründe ausschlaggebend.

Doch der Bundestag ist nicht der Reichstag, und die Kreis- und Gemeindevertretungen in Schleswig-
Holstein haben erst recht eine ganz andere Funktion; sie wählen keine Regierung, sondern sollen die kommunale Verwaltung kontrollieren. Die Klage der Grünen und der Partei DIE LINKE, über die die acht Richter des Zweiten Senats in Karlsruhe zu befinden haben, richtet sich gegen die  Fünf-Prozent- Klausel bei Kommunalwahlen im nördlichsten Bundesland. Nur in den Stadtstaaten und gerade drei von 13 Flächenstaaten gilt heute noch eine so hohe Hürde auch für den Einzug in die Kreistage und Gemeindevertretungen.

Nach Auffassung der Kläger werden dadurch die grundgesetzlich verbrieften Rechte auf Gleichheit der Wahl und Chancengleichheit der Parteien verletzt. Schließlich seien Stimmen für die kleineren Parteien nichts wert, wenn sie wegen Verfehlens der Fünf-Prozent-Hürde nicht gezählt würden, argumentieren die klageführenden Parteien.

Ihrer Klage ist inzwischen auch die Partei DIE LINKE Schleswig-Holstein beigetreten. Der Beitritt zu diesem Verfahren war für einige Genossinnen und Genossen in DER LINKEN durchaus nicht selbstverständlich. Ein immer wieder vorgetragenes Argument war: Dann kommen die Neo-Nazis auch in das Parlament. Was für ein Argument: Sollen wir vielleicht auch auf das Demonstrationsrecht verzichten, damit die Nazihorden nicht ihre Züge durch die Straßen der Städte veranstalten?

Ihr zentrales Motiv für dieses Verfahren am Bundesverfassungsgericht ist es, Demokratie und Mitwirkungs-
rechte in den Kommunen näher an die Bürger heranzubringen und Bedingungen zu schaffen, daß der jeweilige Willen der der Wählerinnen und Wähler in kommunalen Parlamenten besser und gerechter abgebildet wird. So sind bei der letzten Kreiswahl in Schleswig-Flensburg alleine mehr als 7000 Stimmen wegen der 5%-Hürde einfach so als bedeutungslos unter den Tisch gefallen.

Kein Thema war in der Verhandlung, ob die Fünf-Prozent-Klausel im Bund und den Landtagen mit deren Kompetenz zur Gesetzgebung und der Notwendigkeit stabiler Koalitionen und Regierungen ihre Berechtigung habe oder nicht. Aber in den Kommunen genüge doch wohl die auch in Schleswig-Holstein längst eingeführte Direktwahl der Bürgermeister und Landräte, um die Funktionsfähigkeit der Verwaltung zu sichern, führen die Grünen und DIE LINKE jeweils in ihrer Klageschrift an. Konkret richtet sich ihr Vorstoß vor dem Bundesverfassungsgericht gegen eine Entscheidung des Kieler Landtags aus dem vergangenen Jahr: Mit der Mehrheit von CDU und SPD lehnte er den Antrag der Grünen auf Abschaffung der Sperrklausel bei Kommunalwahlen ab. Dafür hatten neben den Grünen noch die FDP und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) gestimmt, der als Partei der dänischen Minderheit selbst bei Landtagswahlen von der Fünf-Prozent-Hürde befreit ist, bei der Kommunalwahl allerdings nicht.

Klagegegner ist der Schleswig-Holsteinische Landtag. Recht defensiv kam seine Prozeßvertretung daher, in dem sie in erster Linie nicht zur Sache selbst vortrug. Vielmehr stritt sie juristisch darum, ob die Grünen als parlamentarische Minderheit gegen eine solche Mehrheitsentscheidung der beiden großen Parteien überhaupt klagen dürfen: Dann könnte ja jedes mal, wenn eine Fraktion im Parlament überstimmt werde, sie zum Bundesverfassungsgericht laufen und eine Organklage einreichen und so versuchen zu bekommen, was ihr per Mehrheitsbeschluß des Parlamentes verweigert worden sei. Dann hätte die Partei doch gegen das 2002 in seiner jetzigen Form verabschiedete Kommunalwahlrecht selbst klagen müssen, argumentierte der Rechtsvertreter des Kieler Landtags, Professor Wolfgang Ewer. Das aber hätten die Grünen versäumt, und inzwischen sei ja auch die Frist dafür abgelaufen.

Der Rechtsanwalt der Grünen, Burkard Peters, sah das natürlich ganz anders. Wenn den kleinen Parteien in Schleswig-Holstein Rechte vorenthalten würden, die sie in zehn anderen Bundesländern haben, müsse eine solche verfassungsmäßige Ausnahme gut begründet werden. Das sei aber im parlamentarischen Verfahren des Schleswig-Holsteinischen Landtages nicht geschehen.

Dieser Streit um die Zulässigkeit des Verfahrens spielte bei den Richtern keine Rolle mehr. Denn das Bundesverfassungsgericht hatte die Klage gegen die Fünf-Prozent-Klausel im nördlichsten Bundesland ja bereits zugelassen und führte an diesem Tag die mündliche Verhandlung durch. Die Richter wollten vielmehr etwas über die praktischen Auswirkungen von Beibehaltung oder Wegfall der Fünf-Prozent-Hürde wissen. Dafür hatte das Gericht eigens zwei Sachverständige geladen.

Zuversichtlich, dass die 5%-Hürde fällt

Einer von ihnen, der Politikprofessor Everhard Holtmann von der Universität Halle, erwies sich aber ganz als der korrekte Wissenschaftler: Er wies immer wieder darauf hin, daß es zu der Kernfrage, ob denn die Unregierbarkeit und das Chaos ausbreche, wenn kleinere Parteien in die Gemeindevertretungen einzögen, kaum empirische Forschungsergebnisse gibt und Prognosen daher kaum möglich seien. Und: Über Schleswig-Holstein insbesondere könne er keine wissenschaftlich fundierten Aussagen machen, da speziell für dieses Bundesland keine statistischen Erhebungen vorlägen.

Aufschlußreicher waren da schon die Ausführungen des anderen geladenen Experten. Jörg Bühlow vom schleswig-holsteinischen Städte- und Gemeindetag wies darauf hin, daß eine Abschaffung der Sperrklausel für mehr als 90 Prozent der 1.124 Kommunen in dem Land ohnehin keine Auswirkungen hätte. Mit nur 19 Gemeindevertretern würden sie schon aus mathematischen Gründen auch dann noch mindestens fünf Prozent für einen Sitz benötigen.

In den beiden größten Städten Kiel und Lübeck sowie sieben der elf Landkreise aber hat sich die Klausel bei der letzten Kommunalwahl ausgewirkt, wie der Vertreter der Partei DIE LINKE, Rechtsanwalt Uwe von Appen erläuterte. Mit Stimmanteilen zwischen 2,9 und 4,8 Prozent habe es die FDP, die Grünen, den SSW, damals noch die Schill-Partei und zwei Wählergemeinschaften getroffen.Der Furcht, wie schlimm es bei einem Wegfall der Sperrklausel werden könnte, versuchte der Grünen-Landtagsabgeordnete Karl-Martin Hentschel mit Beispielen zu begegnen: In Essen gebe es bei neun Parteien eine stabile schwarz-grüne Mehrheit, in München bei acht Parteien eine rot-grüne und in Düsseldorf bei acht Parteien eine schwarz-gelbe. Keine dieser Städte hat bislang Konkurs anmelden müssen.

Das Gericht erklärte, es werde bis Februar, also rechtzeitig vor den Kommunalwahlen am 25. Mai 2008, seine Entscheidung fällen. Recht zuversichtlich gestimmt, daß die 5%-Hürde vom Gericht gekippt werden wird, sind die Vertreter der Grünen und der Partei DIE LINKE zurück nach Schleswig-Holstein gefahren.Im „Schleswig-Holstein Magazin“ des NDR Fernsehens ließ sich der Landtagspräsident am Abend des gleichen Tages vernehmen, er werde eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zügig umsetzen. 


Karl-Helmut Lechner

 

Die Delegation der LINKEN aus Schleswig-Holstein vor dem Bundesverfassungsgericht:
Heinz-Werner Jezewski, Mitglied im Landesvorstand DIE LINKE,  Karl-Helmut Lechner, Rechtanwalt Uwe von Appen,