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Bündnis90 Die Grünen:
Sie sind angekommen

Die gesamte Republik wird von einer kinderlosen, geschiedenen Frau regiert und in Hamburg unterschreibt ein schwuler Erster  Bürger- meister einen Koalitionsvertrag mit den ehemaligen „Ökospinnern“. Keine Frage, nicht nur die GRÜNEN, sondern auch die CDU ist angekommen. Angekommen in der Bionade-
Republik - klebrig süß, postmaterialistisch, irgendwie ökologisch und dem Zeitgeist entsprechend. Das neue und das alte Bürgertum haben sich wieder gefunden und dies ist auch nur konsequent, birgt aber für beide Parteien auch gewisse Risiken.

„Wer in seiner Jugend nicht links denkt, hat kein Herz und wer im Alter immer noch links denkt, hat keinen Verstand“ – so lautet ein verbreiteter Sinnspruch, nach dem man den GRÜNEN Herz und Verstand zubilligen könnte. Die Geschichte der GRÜNEN ist symptomatisch für eine ganze Generation des Bürgertums. In Totalopposition zum alten Bürgertum ihrer Eltern versuchte das junge Bürgertum frischen Wind in eine verkrustete Gesellschaft zu bringen und nahm sich vor, den Marsch durch die Institutionen anzutreten, um die Gesellschaft aus ihren Schaltstellen heraus nach ihren Vorstellungen zu verändern. Der Marsch ist angekommen, nur hat die Gesellschaft die Marschierenden nach ihren Vorstellungen verändert.

Der Individualismus war eine maßgebliche Triebfeder der jungen GRÜNEN. Als Abgrenzung zum Kollektivismus des Dritten Reichs und der spießigen Nachkriegszeit mit anachronistisch wirkenden Moralvorstellungen, war dies nur eine logische Entwicklung, die allerdings auch stattgefunden hätte, wären die Protagonisten nicht durch Institutionen marschiert. Die Wirtschaft und die Gesellschaft adaptierte diesen neuen Scheinindividualismus allerdings erstaunlich schnell – er wurde zum Verteidiger einer sich leicht geänderten Gesellschaftsordnung und damit eine maßgebliche ideologische und kulturelle Stütze des bestehenden Systems.

Aus dem Individualismus der GRÜNEN wurde ein Postmaterialismus. Wer in einer satten Gesellschaft an den Futtertrögen sitzt, entfernt sich von materiellen Forderungen wie etwa Verteilungsgerechtigkeit und wendet sich abstrakten Werten wie Diskriminierungsfreiheit, Umweltschutz, Gleichberechtigung, Tierschutz oder Klimapolitik zu. Dem wohnt eine naturalistische Spiritualität inne, die im Kern konservativ ist. Fortschrittliche Entwicklungen wie Gen- oder Atomtechnik werden dabei aus rein ideologischen Gründen abgelehnt. Fortschritt wird zunächst als Bedrohung und nicht als Chance gesehen. Noch nicht einmal die CDU lehnt beispielsweise die  Embryonal- forschung derart dogmatisch ab, wie beispielsweise Volker Beck, der sich in dieser Frage als „zuverlässigen Partner der Kirchen“ sieht.

Die als Rebellen gestarteten kamen als besitzstandwahrende Bürgerliche an und stehen dabei stellvertretend für einen großen Teil ihrer Generation, die längst den Frieden mit ihrer Elterngeneration geschlossen hat. Die „Neue Bürgerlichkeit“ hat die Kinder des Bürgertums mit ihren Eltern versöhnt, oder wie es der verstoßene Oswald Metzger einst formulierte: „Die GRÜNEN nähern sich habituell ihren Herkunftsfamilien an”. GRÜNE Politik ist im Kern konservativ. Niemand anders als der wertkonservative US-Politiker Newt Gingrich gilt als Schöpfer des Begriffes „Green Conservatism“, der auch von David Cameron, dem Führer der britischen Tories ausgerufen wurde.

Angela Merkel steht in Deutschland für diesen grünen Konservatismus, der auch von ihrem inneren Machtzirkel geteilt wird und ist damit eine natürliche Partnerin der „neuen“ GRÜNEN. Die Merkel-CDU hat nur noch wenig mit dem klassischen Konservatismus der alten CDU zu tun. Altkonservative wie Jörg Schönbohm nehmen in der Partei eine Außenseiterrolle ein und die einflussreichen Akteure dieser Richtung, wie Roland Koch oder Günther Oettinger haben sich durch Ausflüge in den Rechtspopulismus selbst ins Abseits gestellt. Ein Sammelbecken klassisch konservativer Ideen stellt indes noch die CSU dar. Um das „Neue Bürgertum“ und den bayerischen  Werte- konservativismus unter ein Dach zu bekommen, dürfte ein größerer Spagat nötig sein, aber der Wille zur Macht schweißt bekanntlich zusammen. Und letztendlich werden sich diejenigen, die dem Dalai Lama bedingungslose Solidarität zusichern, schon mit denjenigen verstehen, die dies dem Papst zusichern würden.

Macht macht flexibel und im pragmatischen Opportunismus sind die GRÜNEN geübt. Der wirtschaftsnahe Flügel der CDU wird auch seinen Frieden mit den GRÜNEN schließen können, denn wer den Postmaterialismus lebt, muss sich nicht mit den Sorgen der  Unterschicht und den materialistisch veranlagten Gewerkschaften solidarisieren und ist kompromissbereit, wenn dabei nur etwas diskriminierungsfreies und vermeintlich nachhaltiges herauskommt . Und wenn nicht, dann kann man immer noch Sachzwänge geltend machen. So lange Frauen, Migranten und Andersbefähigte (ein auch von den GRÜNEN geliebter Beitrag zum Neusprech) gleich viel Hartz-IV wie gesunde kinderlose Männer bekommen, ist es nicht so wichtig, wie viel das ist.

Die Koalitionsverhandlungen in Hamburg waren für die GRÜNEN eine Feuerprobe, die sie mit Bravour bestanden haben. Die erste Koalition mit der CDU ist ein Adelsschlag durch die „alte Mitte“ – man ist angekommen und wurde vom Vater wieder in den  gut- bürgerlichen Familienkreis aufgenommen. Der Preis dafür war hoch, die GAL konnte streng genommen keinen ihrer Punkte  durchsetzen. Die Elbvertiefung kommt, dafür wird es eine Feigenblattstiftung geben, die „ökologische“ Projekte an der Elbe finanziert – dies ist ein typischer GRÜNEN-Kompromiss. Wäre doch nur Schröder auf die Idee gekommen, den GRÜNEN für ihr Placet bei den Angriffskriegen gegen Serbien und Afghanistan eine Stiftung zu versprechen, die pazifistische Projekte unterstützt – er hätte sein „Basta“ stecken lassen können. „Kohle von Beust“ wird auch sein Kohlekraftwerk in Moorburg bekommen. Im Koalitionsvertrag hat man dieses Thema ergebnisoffen ausgelassen. Und da 1,3 Mrd. Euro Schadenersatzforderungen des Betreibers Vattenfall im Raume stehen und wichtige Arbeitgeber wie die Hamburger Affinerie bereits offen rebellieren, wird man sich dem Sachzwang beugen. Wahrscheinlich gibt es als Ausgleich ein Förderprogramm für steuersubventionierte Solardächer, die die gutsituierte Wählerschaft der GRÜNEN ja so liebt. Die Studiengebühren, die die GRÜNEN abschaffen wollten, kommen ebenfalls in modifizierter Form, die objektiv sogar diskutabel ist. Dennoch hat die GAL etwas anderes versprochen – aber Versprechungen der GAL sind etwas anderes als Versprechungen von Frau Ypsilanti. GRÜNE dürfen Wahlversprechen brechen. Aus der einheitlichen Gesamtschule ist freilich auch nichts anders als ein Formelkompromiss geworden.

Ob die längst überflüssige Familienzusammenführung des Bürgertums auch bei den Wählern ankommt, steht freilich noch aus. Die Wähler der gesamtdeutschen CDU sind in großen Teilen keinesfalls so liberal, wie es Ole von Beusts Hamburger seien sollen. Sowohl der klassische Konservatismus, wie der reaktionäre Nationalismus sind immer noch weitverbreitet und werden es auch noch lange bleiben. Das Glück der CDU ist es allerdings, dass es zu ihr im konservativen Spektrum keine großen Alternativen gibt. Profiteure werden sicher die Rechtsaußenparteien sein. Solange die allerdings so dumpf daherkommen wie momentan, wird sich der Zuwachs zum Glück in Grenzen halten. Eine bundesweite CSU wäre es, was die verlassenen Konservativen ansprechen würde – aber diese Gedanken sind eigentlich schon lange passé, aber wer weiß.

Riskanter ist das Manöver „Neue Bürgerlichkeit“ für die GRÜNEN. Sowohl an ihrer Basis als auch in ihrer Wählerschaft gibt es noch viele, die sich „links“ wähnen. Das ist freilich Selbstbetrug, aber der potentielle Verlust dieses Spektrums wäre für die GRÜNEN ein herber Schlag. Die LINKE wird sich über die neue Klientel freilich freuen. Viele neue Wähler werden die GRÜNEN nicht bekommen, nur weil sie sich selbst gefunden haben und mit ihrer Vätergeneration Frieden geschlossen haben. Machtarithmetisch könnte sich dieses allzu selbstbewusste Bekenntnis zur „Neuen Bürgerlichkeit“ auch als Bumerang erweisen. Wie zu erwarten, hat die grüne Basis den Hamburger Koalitionsvertrag angenommen. Bislang hat die Basis nahezu jeder Schandtat der Parteispitze zugestimmt, aber es gibt bei den GRÜNEN natürlich auch (meist) jüngere Mitglieder, die mit der Selbstfindung der Vätergeneration nun gar nichts anfangen kann und denen eine linksliberale Partei mit ökologischem Mantel vorschwebt. Vielleicht frisst ja die Revolution nun nach 40 Jahren doch noch ihre Kinder?

csk