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Inflationäre Energiepreise:

Wie lange ist das Öl noch bezahlbar?

Der Ölpreis steigt und steigt. Es ist noch gar nicht so lange her, da galten 100 US-Dollar pro Fass Öl als die magische Grenze, auf die die Ökonomen wie das Kaninchen auf die Schlange starrten. Nun ist sie über-
schritten und Ende Mai atmete mancher Kommentator schon auf, als der Preis nach seinem jüngsten Rekord von etwas über 135 US-Dollar pro 159-Liter-Fass wieder um einige Dollars zurück fiel. Doch ein echter, langfristiger Rückgang der Preise ist nicht in Sicht; die Zeiten billiger fossiler Energieträger scheinen unwiederbringlich vorbei.

Bild1: Entwicklung des Ölpreises bis Anfanag Mai 2008. Inzwsichen liegt der Preis bei etwa 135 US-Dollar das Fass. Die Grafik zeigt deutlich, dass der Preisanstieg ein sehr langfristiger Trend ist, der zwischendurch besten Falls mal eine "Pause" einlegt.

Bild2: Ölverbrauch (durchgezogene Linie) und neue Funde in Milliarden Fass pro Jahr. Die helleren Flächen beschreiben Funde an Land, die dunkleren solche unterm Meeresboden. Zweierlei ist deutlich zu sehen: 1. Die Hochzeit der neuen Funde war in den 1960er Jahren. Seit dem werden sie beständig kleiner. 2. Seit Mitte der 1980er Jahre wird mehr verbraucht, als an neuen Funden hinzukommt.

Das gilt übrigens auch für die Steinkohle, die uns von Bundesregierung und hiesigen Energiekonzernen als kostengünstiger Brennstoff neuer Kraftwerke angepriesen wird. Auch ihr Preis ist in den vergangenen Jahren – von der Öffentlichkeit kaum beachtet – kräftig gestiegen. Nach Angaben des Vereins der Kohle-
importeure kostete eine Tonnen Import-Steinkohle beim Übergang an der Grenze 2004 noch 55 Euro. Anfang 2007 waren es bereits 63,10 Euro und im vierten Quartal 2007 schon 78,54 Euro pro Tonne. Noch dramatischer ist die Entwicklung an den Spotmärkten, an denen die Kohle kurzfristig gehandelt wird. Dort stiegen die Preise pro Tonne vom Januar 2007 bis Januar 2008 von 77,83 auf 150,38 US-Dollar. Bis zum Mai war der Preis um weitere 13 Prozent gestiegen. Angesichts der zahlreichen Pläne für neue Kohlekraft-
werke in den USA, Deutschland, Indien, China und einigen anderen Staaten, ist ein Ende dieser Kohlepreisrally noch nicht absehbar.

Doch für den Augenblick treiben die hiesige Öffentlichkeit vor allem die steigenden Preise für Kraftstoff und Heizöl um. Dabei wird in der Eurozone der Preisanstieg noch durch den Kursverfall des US-Dollars abgefedert. Viele Entwicklungsländer, die über keine eigene Ölförderung verfügen und deren Währungen zumeist nicht gegenüber dem Dollar aufgewertet haben, trifft der Preisanstieg hingegen mit voller Wucht.

Das ist umso dramatischer, als dass mancher dieser Staaten auch im großen Umfang von Lebensmittel-
importen abhängig ist. Freihandelsabkommen, Bürgerkriege und koloniales Erbe haben in einigen afrikanischen Staaten dazu geführt, dass der größte Teil des  Getreidebedarfs eingeführt werden muss. Damit bekommen Länder wie zum Beispiel Eritrea oder Liberia die steigenden Ölpreise gleich doppelt zu spüren, denn ein Teil der Lebensmittelpreisinflation ist eine Folge gestiegener Kosten für Transport und Düngemittel. Für die Herstellung letzterer wird Erdgas verwendet, dessen Preis sich parallel zum Ölpreis entwickelt.

Bild 3: Globale Förderung in Millionen Fass pro Tag, einmal nach Angaben der Internationalen Energieagentur, das andere mal nach Zahlen der US-Energiebehörde.

Bild 4: Obere Linie, die saudische Förderung von Rohöl und Flüssiggas in Millionen Fass pro Tag, darunter verschiedene OPEC-Quoten für Saudi Arabien, die hier nicht interessieren. Die Grafik zeigt, dass das Land trotz wiederholter Anlündigungen in den letzten Jahren die Förderung nicht gesteigert, sondern eher gedrosslet hat. Letzteres muss keine bewusste Entscheidung gewesen sein, sondern könnte einfach daran liegen, dass nicht rechtzeitig für neue Förderkapazitäten gesorgt wurde, während alte Felder sich zu erschöpfen begannen.

Existenzängste

Hinzu kommt die wachsende Konkurrenz zwischen Anbau von Nahrungsmitteln und nachwachsenden Kraftstoffen. Als Folge dieser Faktoren haben sich seit 2003 die Weltmarktpreise für Getreide nahezu verdreifacht. Für die ärmsten Länder verteuerten sich nach Zahlen der UN-Agrarorganisation FAO von 2006 auf 2007 die Nahrungsmittelimporte im Schnitt um 30 Prozent. Weitere  Preissteigerungen seien nicht auszuschließen.

Allerdings: Die FAO-Fachleute rechnen für 2008 mit einer Getreideernte von 2,164 Milliarden Tonnen. Auf jeden Erdenbürger kämen damit pro Tag etwa 900 Gramm an Getreide, abgesehen von anderen Nahrungsmitteln. dass weltweit 862 Millionen Menschen hungern müssen, hat also nichts mit echtem Mangel zu tun, sondern mit mangelnder Verteilungsgerechtigkeit und Marktpreisen. Die Lager sind leergefegt, steigende Unkosten sowie kaufkräftige Nachfrage treiben die Preise hoch, und die unteren 13 Prozent der Weltbevölkerung können sich nicht einmal mehr das Nötigste leisten.

Aber Existenzängste fangen nicht erst beim Essen an. Frankreich, Spanien und Portugal werden seit Wochen durch Proteste gegen den wachsenden Dieselpreis in Atem gehalten. Den Anfang machten die Fischer, die zum Teil die Häfen blockierten. Bauern und Spediteure zogen mancherorts nach. Für die einen ist halt der Ölpreis ganz offensichtlich ein Riesengeschäft – ExxonMobil, Chevron, BP America, ConocoPhilips und der US-amerikanische Ableger von Shell haben zusammen in den ersten drei Monaten des Jahres einen Gewinn von 36 Milliarden US-Dollar gemacht. Allein in den USA, wohlgemerkt. Für die anderen, wie für Westeuropas kleine Fischer, steht hingegen die ökonomische Existenz auf dem Spiel.

Buhmann China?

Die Frage ist, wie es weiter geht mit dem Ölpreis. Dafür lohnt ein Blick auf die Ursachen des Preisanstiegs: Ein Teil der Entwicklung der letzten Monate lässt sich sicherlich damit erklären, dass nach dem Platzen der Immobilienblase in den USA nun viel Kapital in die Rohstoffmärkte strömt. Das macht allerdings nur Sinn, weil sich die Preise schon zuvor nach oben bewegten, und weil die meisten Beobachter davon ausgehen, dass das Angebot kaum die Nachfrage befriedigen kann. In einer solchen Situation lohnt sich die Spekulation mit Öl-, Erz- und Getreidepreisen, und wird daher auch in großen Stil betrieben. Sie kann auch einzelne Preisausschläge erklären, aber nicht den längerfristigen Trend.

Eine andere oft angebotene Erklärung ist, dass die wachsende Nachfrage aus den Schwellenländern, insbesondere aus China und Indien, die Preise in die Höhe treibt und zur Verknappung des Erdöls führen würde. Doch was sagen die konkreten Zahlen? Eine Antwort lässt sich in den Statistiken der US-Energie-Informationsagentur (EIA) finden.

Demnach ist in China der Tagesverbrauch an Rohöl – damit ist hier und im folgenden immer das eigentliche Rohöl plus der aus dem Erdgas abgeschiedenen Kondensate gemeint – von 6,44 Millionen Fass im Jahre 2004 auf 7,58 Millionen Fass im Jahre 2007 gestiegen. Das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von etwas über fünf Prozent, was bei den über zehn Prozent jährlichem  Wirtschafts- wachstum, das in diesen Jahren regelmäßig erzielt wurde, bemerkenswert wenig ist. Der Ölverbrauch wächst in der Volksrepublik also deutlich langsamer als die Nationalökonomie. Wesentliche Ursache dafür ist sicherlich, dass trotz PKW-Boom und Autobahnbau in China noch immer rund 80 Prozent des Energiebedarfs mit Steinkohle gedeckt wird.

Indien versteckt sich in den EIA-Statistiken im „übrigen Asien“, das von Saudi Arabien bis nach Südostasien reicht, aber nicht Südkorea, Zentralasien und Japan einschließt. In dieser Ländergruppe stieg der Tagesverbrauch an Rohöl von 8,37 Millionen Fass im Jahre 2004 auf 8,78 Millionen Fass 2007. Das Wachstum war also noch geringer als in China.

Zusammen lebt in China und den anderen Entwicklungsländer Asiens etwa die Hälfte der Menschheit. 2007 haben diese Staaten 16,36 Millionen Fass Rohöl am Tag verbraucht. Das war geringfügig mehr als der Verbrauch der EU (15,28 Millionen Fass) und deutlich weniger als der Verbrauch der USA (20,7 Millionen Fass). Der Anteil am Weltverbrauch betrug 2007 knapp 20 Prozent. Allerdings ist richtig, dass seit 2004 der Verbrauch in China und dem „übrigen Asien“ um 2,55 Millionen Barrel pro Tag gestiegen ist und damit das Gros des weltweiten Zuwachses von insgesamt 3,07 Millionen Fass pro Tag ausmacht. Gemessen am weltweiten Verbrauch von 85,4 Millionen Fass täglich in 2007 ist dieser Zuwachs allerdings eher marginal.

Mehr Öl?

Der Anteil Asiens im Allgemeinen und Chinas im Besonderen am Rohöl-Konsum ist also im Vergleich zu den Industriestaaten noch immer gering, insbesondere wenn man die Bevölkerungszahlen berücksichtigt. Die Zunahme des dortigen Verbrauchs ist außerdem wesentlich moderater, als der darum in den letzten Jahren gemachte Wind in den westlichen Medien vermuten lässt, und fällt gegenüber dem globalen Verbrauch kaum ins Gewicht.

Bei diesen Voraussetzungen kann die wachsende asiatische Nachfrage eigentlich nur unter einer Bedingung Auslöser der Ölpreisinflation sein: Der Markt muss ohnehin schon sehr eng sein, das heißt, die Produktion muss hinter der Nachfrage hinterherhinken. In einer solchen Situation kann auch eine vergleichsweise kleine zusätzliche Nachfrage, dem Preis erheblichen Auftrieb verleihen. Genau das scheint am Ölmarkt seit einigen Jahren der Fall zu sein. Trotz steigender Preise stagniert die weltweite Rohölförderung seit 2005 bei 84,6 Millionen Fass. Im vergangenen Jahr wurde nach den Angaben der EIA sogar mehr Öl verbraucht als gefördert, das heißt, es wurden Lagerbestände abgebaut. Für 2008 rechnet die US-Agentur wieder mit einer nahezu ausgeglichenen Bilanz, setzt dafür aber eine Steigerung der Förderung um zwei Millionen Fass pro Tag voraus.

Jüngste EIA-Zahlen zeigen, dass die Förderung tatsächlich seit Jahresbeginn gestiegen ist und inzwischen um etwa 1,5 Millionen Fass pro Tag höher liegt, als 2007. Um aber im Jahresdurchschnitt auch eine höhere Förderung zu erzielen, müsste sie noch deutlich weiter steigen. Vor allem darf es zum Beispiel im Golf von Mexiko in der am 1. Juni begonnenen Hurrikan-Saison keine größeren Stillstände geben. Bis Ende November hat dort die Natur Zeit, der optimistischen Rechnung der US-Statistiker einen Strich durch die Rechnung zu machen. Nervöse Ausschläge an den Rohstoffbörsen scheinen fast sicher.

Bei all dem fragt sich natürlich, wie weit und wie lange die Ölförderung noch weiter zu steigern ist. Die letzten Monaten gaben uns einen kleinen Vorgeschmack davon, was geschieht, wenn die Förderung an die Grenzen des physikalisch Machbaren stößt. Dann ist das Angebot nämlich nicht mehr in der Lage, die Nachfrage abzudecken und der Ölpreis schießt in dem Himmel. Mit ihm verteuern sich Transport, unser täglicher Weg zur Arbeit, das Brot, die Milch, der Fisch und vieles mehr.

Nicht die Frage, wann die Lagerstätten erschöpft sein werden, ist also die entscheidende Frage, sondern die, wann die der Höhepunkt der Förderung unwiederbringlich erreicht sein wird. Von diesem Punkt an werden nämlich Nachfrage und Angebot so lange auseinander klaffen, wie es kein ausreichenden Ersatz für das schwarze Gold gibt, von dem Weltwirtschaft so abhängig ist, wie der Junky von der täglichen Ration Heroin. Auf die globale Ökonomie kommen spätestens von diesem Zeitpunkt an tiefgreifende Einschnitte und Umbrüche zu. Die energetische Basis muss umgebaut werden, und das innerhalb weniger Jahrzehnte. Ein Prozeß der ohne planendes Eingreifen des Staates mit Sicherheit sehr krisenhaft sein wird, und selbst im Falle eine verantwortungsvollen, vorausschauenden Politik – die bisher nirgendwo in Sicht ist – kaum glatt und problemlos ablaufen kann.

Gipfel-Forscher

Der Zeitpunkt der Förderhöchstmenge wird in der Fachdiskussion „Peak Oil“ (Ölgipfel) genannt. Schon in den 1990er Jahren hat der britische Geologe Colin Campbell darauf hingewiesen, dass der Tag, an dem „Peak Oil“ erreicht sein wird, nicht mehr allzu fern ist. Im Jahre 2000 wurde von besorgten Ökonomen, Geologen und interessierten Laien die „Association for the Study of Peak Oil and Gas“ (Vereinigung für das Studium des Fördermaximums von Öl und Gas) gegründet. In Deutschland gibt es seit 2006 einen eingetragenen Verein gleichen Namens, außerdem gründeten einige Ökonomen die Energy Watch Group, die regelmäßig Studien zur Reichweite der Energierohstoffe, darunter auch Kohle und Uran, anfertigt.

Campbell fiel irgendwann, auf, dass die Ölförderung immer im gleichen Schema verläuft. Zuerst werden in einer bestimmten Region die großen Ölvorkommen erschlossen. Die Ergiebigkeit eines Feldes steigt zunächst, bis es voll entwickelt ist. Bei den besseren Feldern steht das Vorkommen unter Druck, das heißt, das Öl sprudelt anfangs von selbst aus dem Bohrloch, so dass nicht einmal gepumpt werden muss. Mit der Zeit nimmt aber der Druck ab, der Aufwand wird größer und sehr bald ist die Förderung nicht mehr zu steigern. Peak Oil ist erreicht, und danach nimmt die Fördermenge stetig ab, mitunter sogar sehr rasch.

Um also in einer gegebenen Region die Förderung auf dem erreichten Niveau zu halten oder sie gar zu steigern,müssen neue Felder erschlossen werden. In der Regel sind diese kleiner, denn natürlich werden überall zuerst die größten Vorkommen ausgebeutet, unter anderem, weil bei ihnen der Aufwand pro geförderter Menge geringer ist. Kleinere Felder erschöpfen allerdings auch schneller, das heißt es müssen viele kleine Felder erschlossen werden, um die Förderung auch nur auf dem bisherigen Niveau halten zu können. Derzeit macht sich das unter anderem darin bemerkbar, dass es schwierig geworden ist, Ausrüstung und Mannschaften für Bohrungen zu engagieren, worunter auch die Erkundung von Thermalwasservor-
kommen leidet, die zu geothermischer Strom- und Wärmegewinnung genutzt werden sollen.

Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem in einer bestimmten Region die Förderung nicht mehr gesteigert werden kann, weil in den erschlossenen Feldern die Produktion schneller sinkt, als neue erbohrt werden können. Zu Zeiten sehr niedriger Ölpreise Ende der 1980er und in den frühen 1990er Jahren ist es schon mal vorgekommen, dass nicht mehr soviel Energie in die Erkundung und Erschließung neuer Reserven gesteckt wurde. In Großbritannien, zum Beispiel, ist in dieser Zeit die Produktion abgefallen, um dann Mitte der 1990er Jahre mit ein paar größeren Funden noch einmal rasch anzusteigen. Danach folgten aber nur noch sehr viele sehr kleine Felder und um das Jahr 2000 herum wurde der Peak Oil, die Förderhöchst-
menge überschritten. Mittlerweile wird in den Gewässern vor Schottland trotz immer neuer Rekordpreise nur noch etwa die Hälfte des einstigen Maximums aus dem Meeresgrund gepumpt.

Anderswo sieht es nicht viel besser aus. Mexiko und Dänemark hatten ihren Peak Oil 2004, Norwegen, Oman und Jemen 2001, Ecuador und Kolumbien 1999, Venezuela und Argentinien 1998, Indien 1995, Alaska 1989 der überwiegende Rest der USA bereits 1971. Deutschland übrigens schon 1965. Das konnten auch die kleinen Offshore-Vorkommen nicht ändern, die ab Beginn der 1980er Jahre vor den Küsten Schleswig-Holsteins angebohrt wurden.

Fast alle Staaten, die nicht zur Organisation Erdölproduzierenden Staaten OPEC gehören oder einst Teil der Sowjetunion gewesen sind, haben inzwischen ihren Förderhöhepunkt überschritten, schreibt die Energy Watch Group in einem jüngst veröffentlichten Bericht, der von ihrer Internetseite heruntergeladen werden kann. Und im Falle Rußlands gibt es in letzter Zeit Stimmen, die auch dort den Höhepunkt bereits überschritten sehen. Nur China, Brasilien und einige andere Länder mit relativ geringen Reserven haben ihn noch vor sich. Als Gruppe haben die Nicht-OPEC-Staaten ihren Ölgipfel vermutlich um das Jahr 2000 überschritten. Zur Zeit geht noch etwas mehr als die Hälfte der globalen Erdölproduktion auf ihr Konto, aber die Energy Watch Group rechnet damit, dass ihre Fördermenge künftig um drei Prozent pro Jahr abnehmen und damit die Bedeutung der OPEC zunehmen wird.

Unkonventionelles Öl

Die Frage ist also, wann weltweit das Fördermaximum erreicht wird. Bei der Energy Watch Group sieht man diesen Zeitpunkt bereits gekommen. Die für gewöhnlich konservative Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) geht davon aus, dass es im Jahre 2020 so weit sein wird, und das wäre auch schon sehr bald. Die Internationale Energie Agentur (IEA), die im Auftrag der Industriestaaten in Paris die Energiemärkte beobachtet, versucht die ganze Diskussion zu ignorieren. Bisher gingen ihre Prognosen immer von einem nahezu ungebremsten Wachstum der Förderung aus. Umso mehr ließ Mitte Mai eine Meldung der Washington Post aufhorchen, die IEA werde ihre Voraussagen nach unten korregieren.

Die Gegner der Peak-Oil-These führen gewöhnlich vier verschiedene Quellen zusätzlichen Erdöls ins Feld: Sogenannte unkonventionelle Vorkommen wie Teersande und Ölschiefer, potentielle Lagerstätten unter dem Boden der Arktis, Kohleverflüssigung und die enormen Reserven Saudi Arabiens. Was etwaige Vorkommen unter dem arktischen Ozean angeht, so ist das meiste daran Spekulation. Es wird sicherlich einige Felder geben, aber über ihre Größe ist nichts bekannt. Generell gilt im Weltmaßstab, dass die Zeit der vielen großen Funde bereits seit den 1960ern vorbei ist. Seit Mitte der 1980er Jahre verbraucht die Menschheit mehr Erdöl, als neue Reserven gefunden werden. Es ist kaum anzunehmen, dass die Arktis diesen Trend langfristig aufhalten könnte.

Teersande gibt es vor allem in Kanada und in Venezuela, und zwar in großen Mengen, aber doch nicht so viel, dass damit langfristig der derzeitige Verbrauch abgedeckt werden könnte. Die BGR geht davon aus, dass die „unkonventionellen“ Vorkommen noch Jahrzehnte brauchen werden, um einen nennenswerten Beitrag für die Weltversorgung leisten zu können, und dann werde er maximal 25 Prozent der heutigen Förderung umFassen. Der Preis ist allerdings extrem hoch. Zum einen muss viel Energie aufgewendet werden, um das feste Bitumen aus den Sanden zu extrahieren und zu verflüssigen. Zum anderen werden im Norden des kanadischen Bundesstaates Alberta derzeit für den Teersandabbau Urwälder in einem Maße verwüstet und Flüsse abgegraben, dass im Vergleich zu den dort angerichteten Schäden die deutschen Braunkohle-Tagebaue wie Vergnügungsparks wirken.

Was die Kohleverflüssigung angeht, so ist diese technisch ohne weiteres möglich und beim derzeitigen Ölpreis ökonomisch auch sinnvoll. Kurzfristig jedenfalls. Längerfristig würde sie allerdings sehr schnell an ihre Grenzen stoßen und die Energieprobleme der Menschheit eher verschärfen, da auch Kohle endlich ist. Davon abgesehen verbraucht der Prozess sehr viel Wasser und erzeugt noch mehr  Treib- hausgase, als bei der Verbrennung von Benzin oder Diesel entstünden. Aus diesen Gründen hat China, im letzten Jahr seinen weiteren Ausbau der Kohleverflüssigung gestoppt. Die Volksrepublik,  weltweit eines der kohlereichsten Länder, hat beim derzeitigen Verbrauch noch für 80 Jahre Kohle. Entsprechend wird in China der elektrische Strom überwiegend in Kohlekraftwerken gewonnen. Allerdings wird von Jahr zu Jahr mehr Kohle verbrannt, so dass schon in zehn Jahren die Reichweite der heimischen Kohle halbiert sein könnte.

Rettung aus Nahost?

Bleiben also noch die Ölfelder unter dem Sand der arabischen Wüste. Aus saudischen Ölquellen sprudelt heute ein knappes Achtel der weltweiten Förderung. Auffällig ist, dass auch die saudische Förderung trotz wiederholter gegenteiliger Ankündigungen in den letzten Jahren nicht gesteigert wurde. Seit 2005 pendelt sie zwischen zehn und elf Millionen Fass pro Tag. Das ist aus zwei Gründen bemerkens- wert: Zum einen hat die saudische Führung wie auch die OPEC wiederholt erklärt, sie habe kein Interesse an einem zu hohen Ölpreis, was durchaus glaubhaft ist. Steigt der Preis nämlich weiter wie bisher, dann wird der Verbrauch irgendwann einbrechen, es kann sogar zu einer globalen Rezession kommen.  Das wäre langfristig äußerst schädlich für das Geschäft der OPEC.

Zum anderen wird auf den Wirtschaftsseiten der internationalen Presse immer wieder behauptet, Saudi Arabien sei das einzige Land in der OPEC, dass noch die Kapazität habe, seine Förderung kurzfristig zu steigern. Warum, so fragt sich da, wurde diese in den letzten zwei Jahren nicht eingesetzt, um den Preisanstieg des Erdöls zu zügeln? Sollte das Land der Sauds dazu nicht in der Lage sein?

Abgesehen davon: Wie wir oben gesehen haben, müsste die Ölförderung jährlich um etwa eine Millionen Fass pro Tag gesteigert werden, um mit dem wachsenden Bedarf Schritt zu halten. Dazu wird Saudi Arabien alleine auf Dauer mit Sicherheit nicht in der Lage sein. Nach langem Drängen hat das Land kürzlich eine Steigerung von 500.000 Fass pro Tag für diesen Sommer zugesagt, aber auch das wird das Angebot bestenfalls für ein paar Monate wieder der Nachfrage annähern können. Die Energy Watch Group könnte als doch recht haben, wenn sie sagt: „Peak Oil ist jetzt.“
 

 (wop)