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Iren stimmen gegen EU-Vertrag:
„Danke Irland!“

Mit diesen Worten drückte das Sekretariat der Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und  Aus- grenzung die Stimmung aus, die viele Organisationen und Einzelpersonen in den linken und sozialen Bewegungen in Deutschland und in Europa bewegte, als die Nachricht vom „No“ der Iren zum Lissabon-Vertrag durch die Medien ging.

Bei aller Empörung der etablierten Medien über das irische Votum, verschweigen diese wie immer – das heißt, wie auch 2005, anlässlich der Referenden in Frankreich und in den Niederlanden, und im Oktober 2007 bei Abschluss des Lissabonvertrages, gegen den mehr als 200.000 Demonstranten vor Ort ihren Protest ausdrückten jede Information über die Inhalte, die Argumente und den Umfang der europaweiten Gegenbewegungen. Welcher Konsument der bürgerlichen Medien kennt zum Beispiel den Inhalt des Aufrufs der portugiesischen Gewerkschaftszentrale CGTP zu dieser Demo, wer den Inhalt der Erklärung, die zum gleichen Anlass 2007 von „27 kommunistischen Parteien und anderen Linkskräften“ (junge Welt, 20./21.Okt.07) europaweit veröffentlicht wurde und welchem werden jetzt die folgenden Reaktionen auf das irische Votum zur Kenntnis gebracht?

„Dieser EU-Vertrag (Lissabonner Vertrag oder EU-Verfassungsvertrag) ist nun endgültig tot“ schlussfolgert der Europa-Abgeordnete Tobias Pflüger aus dem irischen Nein, und fährt fort, „dies müssen alle – EU-Rat, EU-Kommission, die diversen EU-Regierungen und die Mehrheit des Europäischen Parlaments – die so getan haben, als ob er schon in Kraft sei, akzeptieren.“ Und das  globalisierungskritische Netzwerk ATTAC trifft mit seiner Kritik an dem Vorschlag des deutschen Außenministers, Irland solle eine Auszeit von Europa nehmen, den Nagel auf den Kopf: „Das ist Chauvinismus pur!“ ATTAC attestiert Frank Walter Steinmeier „ein verheerend  unterent- wickeltes Demokratieverständnis“ bei seinem Versuch, sich über das Referendum, also über eine urdemokratische Abstimmung, hinweg- zusetzen. Dabei übersehe Steinmeier geflissentlich die Tatsache, dass vor den Iren bereits die Franzosen und Niederländer den Inhalt des Vertrages vor drei Jahren in Volksabstimmungen abgelehnt hätten.

Übrigens: Nicht nur Irlands Außenminister Martin verlangt nun Respekt für die Entscheidung seiner Landsleute gegen den Vertrag von Lissabon. Auch Tschechien hat sich nach dem irischen Nein zum EU-Reformvertrag gegen eine rasche Ratifizierung ausgesprochen.

Die irische Abstimmung müsse genauso wie das Nein der Franzosen und Niederländer zum Verfassungsentwurf 2005 respektiert werden, sagte Ministerpräsident Mirek Topolanek. Es sei klar, dass der Vertrag nicht wie geplant am 1. Januar 2009 in Kraft treten würde.

Tschechiens europaskeptischer Präsident Vaclav Klaus hatte nach den irischen Abstimmungen erklärt, der Vertrag von Lissabon sei politisch gestorben und müsse aufgegeben werden. Tschechien gehört zu den neun EU-Staaten, die den EU-Vertrag noch nicht ratifiziert haben.

Schwerpunkte der Kritik an dem Verfassungsentwurf, wie er 2005 an den Referenden aus Frankreich und den Niederlanden scheiterte und im Oktober 2007 im Reformvertrag/Lissabonvertrag neu aufgelegt wurde, sind die ausdrückliche Festlegung der europäischen Wirtschaft auf „offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“, also ihr strikt neoliberaler Kurs und – in der irischen Debatte besonders hervorgehoben – die Militarisierung der EU. Beides waren und sind Tabuthemen in der regierungskonformen gleichgeschalteten deutschen Medienlandschaft. Ebenso wie der dritte Schwerpunkt der Kritik: Das eklatante Demokratie-
defizit des Vertrages, in dem alle Legislative nicht mal mehr der Form nach „vom Volke ausgeht“, nämlich von den gewählten Vertretern im Parlament, sondern Gesetzesinitiativen von der Exekutive (Kommission) und vom Rat – unter Mitwirkung einer mächtigen Lobby der Unternehmer – nach deren Bedarf gleich selbst eingebracht werden zwecks zügigerer Umsetzung der jeweiligen Ziele. Entsprechend wird nun auch mit dem Referendum der Iren umgegangen, wobei sich die deutsche Regierung besonders hervortut.

Angela Merkel fordert, Europa solle nach dem Nein der Iren nicht lange „im Bedauern verharren“. Dadurch werde Zeit verschwendet „die wir nicht haben“. Die EU könne sich „keine erneute Reflexionsphase leisten“ (siehe junge Welt vom 20.6.08). Aber diese Reflexion und die gewonnene Zeit ist genau das, was wir, die Gegner eines demokratiefernen, neoliberalen und militärisch hochgerüsteten Europas gebrauchen können, um der Aufgabe nachzukommen, die angesichts des desolaten Zustandes der etablierten Medien hierzulande notwendig ist:

Gegenöffentlichkeit zu schaffen!

Dazu hat jetzt das irische Votum erst mal verholfen: Danke Irland!

(evd)