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Arbeit in Zeiten der Globalisierung:

Solidarität neu denken

Hoch die internationale Solidarität!", scholl es oft bei Demos durch die Straßen. In den 70er Jahren meinte man damit die Unterstützung von Befreiungsbewegungen in Afrika oder Lateinamerika. Der Betrieb der Internetplattform chefduzen.de ("Das Forum der  Ausge- beuteten") zeigt aber, wie die Globalisierung auch hier angekommen ist und wir uns diesen begrenzten Internationalismusbegriff nicht mehr leisten können.

Die Geld- in Warenströme fließen global und die Ströme an Menschen, die vor Armut und Krieg flüchten, sollen mit militärischen Mitteln gesteuert werden, mit dem Erfolg von Tausenden ertrunkenen Flüchtlingen im Mittelmeer. Die Lebensbedingungen verändern sich rasant, denn der Kapitalismus bietet nirgendwo Sicherheit. So finden sich bei chefduzen zahllose Berichte von Menschen, die als Pendler ihren Arbeitsplatz jenseits der Grenze haben oder die als Arbeitsmigranten das Land verlassen haben (und von einigen, die entnervt zurückgekehrt sind). Wer hätte vor einigen Jahren sich schon vorstellen können, dass sich deutsche Gastarbeiter in den Nachbarländern als Lohndrücker unbeliebt machen würden?

Das Forum versuchte der Übersichtlichkeit halber ein Ordnungsprinzip nach Regionen einzuführen, das dann oft scheiterte. Die Einführung des Themengebiets "Kämpfe in der Automobilindustrie" funktionierte erst dann, als es dort keine nationalen Grenzen mehr gab. Der wilde Streik bei OPEL hat ja auch gezeigt, dass der Ausfall der Produktion in Bochum auch direkte Auswirkungen auf die Produktion in Britannien und Schweden hatte. Jetzt macht das Mosaik der internationalen Nachrichten über Standortverlagerungen und Arbeitsniederlegungen weltweit richtig Sinn. Es handelt sich nicht nur um den gleichen Konzern, ein PKW wird heutzutage in  ver- schiedenen Staaten teilproduziert und irgendwo global endmontiert und das oftmals mit dem Label "made in Germany". Ein anderes Beispiel dafür, wie Welt der unbegrenzten Ausbeutung auch bei uns angekommen ist und "internationale Solidarität" eine neue  Bedeutung bekommt, ist in folgenden Berichten nachzulesen, die eine in Hamburg lebende Polin unter dem Nick "Alexis" bei chefduzen veröffentlichte:

"Ich schreibe hier, weil jetzt guter Rat teuer ist. Und ich bin ziemlich Ratlos. Gestern, pünktlich zur polnischen Mutter Tag schrieb mich Freundin meiner Mutter an, dass ihr Sohn in Deutschland in Schwierigkeiten steckt. Er ist angeworben von einer deutschen Firma um in Deutschland befristet zu arbeiten. Seit 12.04. hat er gearbeitet zusammen mit ca. 20 anderen. Es sollte alles legal laufen, inkl. aller Versicherungen und Verträge. Aber es ist völlig anders.

Keiner von denen spricht Deutsch und keiner kennt deutsche Rechtslage. Z. B., das Krankenversicherung Sache der Arbeitsgeber ist. Sie haben täglich durchschnittlich 12 Stunden gearbeitet (echter Hard work!) und einige worden krank, es gab Unfälle. Nicht nur, das keiner zum Arzt durfte, aber es gab nicht mal einen Ansprechpartner der Polnisch oder Englisch konnte. Sie haben auch kein Geld bekommen bis auf 300 Euro (aber auch nicht alle) vor 2 Tagen, [kam der] Hinweis "Firma Kapput". Die Hälfte ist abgereist, und die Firma holt neue Leute aus Polen. 9 Leute sind noch geblieben, 3 arbeiten (immer noch ohne Bezahlung), 6 werden nicht mehr in die Firma gelassen wegen Meldung an das Konsulat. Einer liegt nach einem Arbeitsunfall in Koma in Krankenhaus.

Ich habe mit Polizei telefoniert, bin auch mit den Leuten auf Wache gewesen um Anzeige zu erstatten, aber niemand ist zuständig und keiner kann mir sagen wer zuständig ist. Ich will Morgen bei Arbeitsamt versuchen, aber die Zeit läuft mir davon. Ich bin Berufstätig und habe 2 Kinder, viel Zeit kann ich nicht investieren. Der Polizist sagte mir frech, dass es nicht sein Problem ist wenn sie auf der Straße sitzen und nichts zu futtern haben. In solchen Fällen geht man vor dem Rathaus und zum Caritas meinte er.

Bitte hilf mir den Leuten zu helfen, an wem soll ich mich wenden? Konsulat tut nicht, Polizei ist nicht zuständig, Zoll interessiert sich nur ür Schwarzarbeit, Arbeitsamt hat geschlossen und die Zeit drängt! Es muss in Deutschland doch jemanden geben, der gegen  Sklavenarbeit was ausrichten kann!"

[Es wird nach dem Ort gefragt, weil es regional verschiedene Organisationen gibt, die helfen könnten]

"Der Ort heißt Wewelsfleth in der Nähe von Hamburg. Danke für dem Tipp, aber ich Suche eigentlich nach einen Weg, wie die Leute Ihr Recht bekommen."

[Es gibt einen Kontakthinweis in der Region]

"Super! Das ist genau das was ich brauche! Danke, Du bist echt GROßE KLASSE!"

[Wenige Tage später:]

"Tieftraurig

Leider hat alles nichts gebracht. Ich habe trotz tagelangen Bemühungen keinen gefunden, der sich zuständig fühlte. EMWU konnte nichts machen, weil die Leute nicht im Verein oder Gewerkschaft waren, hat sich aber wenigstens bemüht. Die Leute sind nach Polen zurück, per Anhalter und als Schwarzfahrer mit der Bahn. Der Schwer verletzte ist am Freitag im Hamburg gestorben, er war meines Wissens nach ca. 25. Die Firma hat die Leute natürlich nicht versichert und jetzt geht sie ins Insolvenz. Ich kann es nicht glauben, das so etwas mitten in Europa möglich ist."

(Kuddel)