Zur Startseite
Buchbesprechung:
Das Persönliche als Parabel

Eine westfälische Kleinstadt im 2. Weltkrieg. Bomben fallen und richten Verwüstungen an – nicht nur an ganzen Straßenzügen, auch in den Menschen. Mittendrin Gerhard Weingarten, genauer: sein Ich-Erzähler Franz. Im zweiten Band seines auf eine Trilogie geplanten autobiografischen Romans „Kindertage in heroischen Zeiten“ versetzt der Kieler gelernte Gärtnermeister, der auch in Neuseeland lebt, sich und uns in eine Zeit, über die viel geschrieben wurde.

Freilich selten so. Allenfalls Walter Kempowski ist es bisher gelungen, Zeitgeschichte so familiär, so nah am persönlichen Erinnern parabelhaft und damit politisch zu erzählen. Weingarten sieht eine „doppelte Perspektive“ in seinem Erzählen, die des 79-jährigen auf die des seinerzeit Kindes. Anekdoten wie die vom patriarchalen, gleichwohl selbstironischen Auftreten des Großvaters beim sonntäglichen Frühstück in der Großfamilie schildert Weingarten mit einem Schmunzeln, ohne den Schrecken der Kriegstage zu verharmlosen. Derselbe Großvater blickt einige Kapitel später als Luftschutzwart über die brennende Kleinstadt, gleichsam aus der Vogelperspektive, während – erzählerisch geschickt durch filmische Montagen überblendet – Onkel Fritz mit Feuerpatsche und Wassereimer das eigene Haus vor den Phosphorfackeln der Bomber rettet.

Solche „Action“-Erzählung relativiert Weingarten mit einer bewusst antiquarischen und manchmal artifiziell anmutenden Sprache, durchmischt vom Slang seiner Gelsenkirchener Heimat, zu surrealen Bildern. Ein verlassenes Feuerwehrauto irrt durch die brennenden Ruinen, Feuerwehrschläuche werden zu Schlangen, die zu bändigen sind – kurz: der Schrecken aus Kinderaugen ist ein Dantesches Inferno.

Weingartens Erzählen gewinnt vor allem durch solche Perspektivierungen zur Parabel. Ein Kunstgriff, der dennoch eigentümlich authentisch nah am Erzählten bleibt. Einer, der sich erinnert, um die Facetten und Fallstricke des Erinnerns weiß und daher letztere mit literarischem Raffinement umgeht wie einst sein Protagonist die Wirren „heroischer“ Kindertage.

(jm)


Gerhard Weingarten liest vom 11. bis 24. August aus seinem Buch am Literaturtelefon Kiel, Tel. 0431/901-1156 und im Internet unter www.literaturtelefon-online.de.Das Buch (ISBN 978-3-8334-7675-4)ist auf Bestellung im Buchhandel erhältlich oder direkt unter www.bod.de/index.php?id=296&objk_id=149128