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Stadt Kiel:
Willkür gegen Antifaschisten statt Vorgehen gegen Nazis

Offener Brief des Runder Tischs gegen Rassismus und Faschismus – Kiel an die Ratsfraktionen im Kieler Rathaus und an die Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt Kiel.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir wenden uns an Sie als gewählte Vertreter und Vertreterinnen der Kieler Bürgerinnen und Bürger.Im Zusammenhang mit der Kommunalwahl 2008 haben sich alle demokratischen Parteien von der NPD, ihrem Wahlkampf und ihrem Programm distanziert. Dieses Vorgehen ist uneingeschränkt begrüßenswert und stellt den ersten Schritt in Richtung Widerstand gegen neofaschistische Organisationen und Parteien dar!

Im praktischen Umgang mit der Wahlvorbereitung und der ersten, nach dem Einzug der NPD in die Kieler Ratsversammlung  durchgeführten Ratssitzung vermissen wir allerdings die öffentlich verkündete Zivil-
courage und eindeutige Positionierung gegen diese faschistische Partei. Allein die Partei Bündnis 90/Die Grünen hat durch eine symbolische Aktion ihre Ablehnung gegenüber der NPD deutlich gemacht.

Die Ratsversammlung hat mit Maßnahmen auf den Einzug der NPD reagiert, durch die die demokratischen Rechte der Kieler  Bevölkerung eingeschränkt werden und der Wahlausschuss hat mit jahrelangen demokratischen Gepflogenheiten in Kiel gebrochen.

In der Sitzung des Wahlausschusses am 11.4.2008 hatte sich eine Vertreterin des Runden Tisches zu Wort gemeldet. Sie hatte in einem kurzen Statement die Mitglieder des Wahlausschusses dazu aufgerufen, gegen die Zulassung der Kandidatur der NPD zu stimmen. Seit vielen Jahren haben Antifaschistinnen und Anti-
faschisten die Sitzungen des Wahlausschusses dazu genutzt, ihren Protest gegen die Zulassung faschistischer Parteien, die keine demokratische Legitimation besitzen und eigentlich verboten sein müssten, auszu-
drücken. Wir halten ein solches Vorgehen für legitim und für einen integralen Bestandteil des Wahlrechts. Anders als in der Vergangenheit wurde in diesem Jahr dieser Protest behindert und kriminalisiert. Der Vorsitzende des Wahlausschusses unterbrach unsere Vertreterin und verlangte von ihr, nachdem sie unseren Standpunkt in einem kurzen Statement deutlich gemacht hatte, den Saal zu verlassen. Schließlich wurde sie mit Polizeigewalt aus dem Rathaus verwiesen und erhielt eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs.

Am Wahlabend fand im Rathaus die öffentliche Bekanntgabe der Wahlergebnisse statt. Die Öffentlichkeit wurde allerdings teilweise ausgeschlossen. Am Eingang stand neben Wachtmeistern und Polizei ein Vertreter der Landeshauptstadt Kiel, der unerwünschten Be- suchern willkürlich den Eintritt verweigerte.

Einer ganzen Reihe von aktiven Antifaschistinnen und Antifaschisten wurde der Zutritt mit der Begründung verweigert, sie seien „beständige Teilnehmer bei Demonstrationen von antifaschistischen Aktivisten in  Kiel“ (Hausverbot durch LH Kiel für den 25.5.08, Amt für Immobilienwirtschaft – Abtlg. Dienstleistungen). Eine solche Begründung für ein Hausverbot halten wir für skandalös. Immerhin ist die öffentliche Bekanntgabe der Wahlergebnisse ein Bestandteil der Wahl. Mit einer solchen Begründung werden aktive Anti-
faschistinnen und Antifaschisten in der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte behindert und diskriminiert.

Dieses Verhalten von Vertretern der Stadt setzte sich bei der ersten Ratsversammlung fort. Die Ratsver-
sammlungen sind öffentlich. Trotzdem war der öffentliche Zugang nicht gewährleistet. Zutritt erhielt nur, wer eine „Eintrittskarte“ hatte. Diese wurden von den im Rat vertretenen Parteien ausgegeben. Über 750 Polizeibeamte riegelten das Rathaus ab, waren aber doch nicht in der Lage, Übergriffe von militanten Nazis zu verhindern. Nicht nur wurde hier der freie Zugang zum Stadtparlament eingeschränkt, Bürgerinnen und Bürger wurden durch dieses Szenarium davon abgeschreckt, an der Ratsversammlung teilzunehmen. Es wurde ein Bild gezeichnet, als müsse sich das Stadtparlament hinter Polizeischutz verstecken. Im Rathaus selbst sah es ähnlich aus.

Gegenüber dem aufgrund von Überhangmandaten in den Rat gelangten Vertreter der NPD fand keine öffentlich wahrnehmbare,  geschlossene Ausgrenzung statt, obwohl das Auftreten der NPD in der Öffentlichkeit eine Bedrohung für unsere demokratische Gesellschaft darstellt.

Eine öffentlich wahrnehmbare und geschlossene Ausgrenzung der NPD gemeinsam durch alle demo-
kratischen und antifaschistischen Gruppen ist dringend erforderlich und sollte - insbesondere von den Verantwortungsträgern in der Politik - als ein wichtiger und legitimer Bestandteil der Demokratie gesehen wird. Denn Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

Wir fordern alle demokratischen Parteien, Fraktionen, sowie die demokratischen Mitglieder der Kieler Ratsversammlung auf, zu diesen Geschehnissen öffentlich Stellung zu nehmen und für eine Rücknahme der Strafanzeige gegen die Sprecherin des Runden Tisches einzutreten.

Aus unserer Sicht ist es nicht hinnehmbar, dass antifaschistische Aktivitäten durch Mitarbeiter der Stadt Kiel/Mitglieder des Wahlausschusses kriminalisiert werden (Hausverbot/Strafanzeige). Hier könnte der Eindruck entstehen, dass der antifaschistische Protest öffentlich diskreditiert werden soll  und die Stadt dieses Verhalten billigt oder gar unterstützt.

Sorgen Sie dafür, dass zukünftig von solchen Maßnahmen Abstand genommen wird, die unser aller demokratische Rechte beschneiden.

Wir fordern die Kieler Ratsversammlung auf, gemeinsam und geschlossen offensiv gegen die NPD und andere faschistische Gruppen vorzugehen und eine inhaltliche Auseinandersetzung voranzutreiben.

Der Runde Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel ist gerne zu Gesprächen über den weiteren Umgang mit der NPD bereit.

Mit freundlichem Gruß
Runder Tisch gegen Rassismus und Faschismus Kiel,  
Kiel, den 10.7.2008

i.A. Bettina Jürgensen (Sprecherin)

i.A. Dietrich Lohse (Sprecher)