Die Lügenbarone
Es ist doch so: Auf Seite 1 der Zeitungen steht oft „Niedrigste Arbeitslosenzahl im Dezember seit Jahren", auf Seite 2 bis 4 der gleichen Zeitung wird vom Stellenabbau im Bankgewerbe und von der Verlagerung von Tausenden von Handy-Arbeitsplätzen nach Rumänien berichtet. Bei meinem Nachbarn wird gerade die Firma geschlossen, und die Bundesagentur für Arbeit frohlockt monatlich mit tollen Zahlen. Sind das alles nur traurige Einzelschicksale und wir alle nur fachlich zu wenig beschlagen, um zu erkennen, dass das große Ganze sich wunderbar entwickelt? Oder sind meine Beobachtungen nach dem gesunden Menschenverstand gar nicht so falsch, aber die Zahlen der Statistik passen da irgendwie nicht rein? Höchste Zeit, sich diese Arbeitslosenstatistik einmal näher anzusehen. Also machen wir unsere Windmaschine an, blasen den Nebel der Statistikformeln beiseite und konzentrieren uns auf das Offensichtliche.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) meldet im Februar 2008 offiziell 3,6 Millionen Arbeitslose. Jetzt denkt der geneigte Wähler: „Naja, 3,6 Millionen haben keine Arbeit und werden unterstützt. Alle anderen, die nicht mehr zur Schule gehen oder schon in Rente sind, haben Arbeit." Das ist gesunder Menschenverstand – hat aber leider nichts mit der Schönrechnerei unserer Regierung zu tun. Die sieht das ganz anders: Der Arbeitslose, der zum Beispiel gerade auf Staatskosten eine Berufsqualifizierungsmaßnahme macht, ist nämlich gar nicht arbeitslos. Der Arbeitslose, der gerade auf Kosten der Arbeitsagentur eine Berufsberatung erhält, ist auch nicht arbeitslos. Sie werden denken: „Wie das? Der Arbeitslose ist arbeitslos, bezieht Arbeitslosengeld, aber wird nicht als arbeitslos gezählt?" Und ich sage Ihnen: „Ja! Genau so wird das Spiel gespielt."
Und damit wir nicht nur im luftleeren Raum argumentieren, hier die harten Fakten der Bundesagentur für Arbeit. Im Februar 2008 nahmen 1,46 Millionen Arbeitslose an sogenannten „ausgewählten Maßnahmen aktiver Arbeitsmarktpolitik" teil. Unter diesen tollen Begriff fallen Qualifizierung, Berufsberatung, Förderung der Berufsausbildung und so weiter. Aber halt! Wir dürfen ja nicht sagen: ‚Arbeitslose’. Denn mit dem Dritten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (in Kraft seit 1.Januar 2004) wurde im Paragraph 16 Arbeitslose, SGB III klargestellt: „Teilnehmer an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gelten als nicht arbeitslos."
Da blickt zwar keiner mehr durch – soll er ja aber auch nicht. Drehen wir den Spieß doch mal herum und betrachten die Sache mit dem gesunden Menschenverstand. Die Zahlen haben wir wieder von der Bundesanstalt für Arbeit. Wir behaupten einfach, dass wir alle diejenigen als arbeitslos zählen, die Arbeitslosengeld bekommen. Ist doch eigentlich die einfachste und logischste Betrachtungsweise, oder?
Februar 2008: Empfänger Arbeitslosengeld I: 1,1 MillionenEmpfänger Arbeitslosengeld II: 5,1 MillionenGesamtzahl der Arbeitslosen: 6,2 Millionen!
Vergleichen wir das noch einmal mit den 3,6 Millionen,
die uns die Regierung an die Backe malen will. Was macht die Bundesagentur
da? Sie schmeißt eine ganze Kiste Nebelkerzen mit den Namen „Ein-Euro-Job-
Kerze", „Über-58-Kerze" und so weiter, und in dem
ganzen Qualm steht einer und schreit: „Ich hab’s gesehen, es sind nur 3,6
Millionen Arbeitslose!!!" Und da wir keine Lust haben, selbst im Nebel
herumzustochern, glauben wir es halt. Würden wir uns die Mühe
machen, wären wir wieder bei des Kaisers neuen Kleidern. Wir zählen
einfach alle Arbeitslose als Arbeitslose, und schon ist der ganze Spuk
enttarnt. So einfach ist das! Aber warum macht man das? Warum erzählt
man uns nicht die Wahrheit? Ein römischer Senator hat einmal im Senat
den Vorschlag eingebracht, dass alle Sklaven in der Öffentlichkeit
weiße Armbänder tragen sollten. Er war der Ansicht, man könne
ja nicht mehr unterscheiden, wer Sklave und wer ein Freier sei. Der Senat
lehnte diese Anfrage ab. Aus gutem Grund: „Wenn die Sklaven sehen, wie
viele sie sind, fegen sie uns hinweg." Mit leicht veränderter Wortwahl
ginge der Satz heute auch wieder durch.
Solange der Arbeitslose glaubt, dass die Wirtschaft toll läuft und nur er persönlich zu blöd ist, daran teilzuhaben, solange hält er scham- voll den Mund. Alle anderen scheinen ja Jobs zu bekommen, da wird es wohl an ihm selbst liegen. Vielleicht sollte er sich doch mal wieder rasieren. Aber was, wenn die Arbeitslosen wüssten, dass sie sechs Millionen sind? Vielleicht würden sie dann doch selbstbewusster nach Änderungen verlangen. Und davor haben die Regierung und die Industrie eine Heidenangst. Fangen wir mit dem Angst machen an!