Am 24. und 25. September treffen sich im US-amerikanischen Pittsburgh die Staats- und Regierungschefs der Gruppe der 20 (G20), um über die Weltwirtschaftskrise zu beraten. Zur G20 gehören neben den großen Industriestaaten wie die USA, Japan, Russland und Deutschland auch die wichtigsten Schwellenländer, darunter China, Indien, Brasilien und Südafrika. Das globalisierungskritische Netzwerk ATTAC hat in verschiedenen Städten Aktionen angekündigt, um eine wesentlich stärkere Regulierung des Finanzmärkte einzufordern.
In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass sich die Bundesregierung zumindest verbal eine alte Forderung von ATTAC zu eigen gemacht hat. Die 1998 während der so genannten Aisen-Krise in Frankreich gegründete Organisation – ATTAC Deutschland folgte zwei Jahre später –, hatte zunächst vor allem die Besteuerung von Finanztransaktionen auf ihre Fahnen geschrieben, ihr Themenfeld dann jedoch rasch erweitert. Die Abkürzung ATTAC steht für „Association pour la taxation des transactions pour l'aide aux citoyennes et citoyens“ – zu deutsch „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger“.
Nach dem Anfang September Finanzminister Per Steinbrück
und Außenminister Frank Walter Steinmeier beide eine Abgabe auf Finanztransaktionen
(beide SPD) gefordert hatten, zog auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
nach. Schließlich ist Wahlkampf. Wenn eine solche Abgabe, nach ihrem
Erfinder auch Tobin-Steuer genannt, international durchsetzbar ist, wäre
sie nicht abgeneigt, ließ Merkel durch den Regierungssprecher wissen.
In dem Vorschlag für eine gemeinsame Position der europäischen
G-20-
Mitglieder, den sie einige Tage zuvor mit dem französischen
Präsidenten Nicolas Sarkozy und der britische Premierminister Gordon
Brown formuliert hat, ist von einer Tobin-Steuer allerdings nicht zu finden,
wenn den entsprechenden Presseberichten zu trauen ist.
Unterdessen war man bei ATTAC zunächst diplomatisch. Man begrüße, dass sich Finanzminister und Bundeskanzlerin der Forderung anschließen. „Dem Druck von ATTAC und anderen sozialen Bewegungen ist es zu verdanken, dass die Besteuerung von Finanztransaktionen immer mehr Befürworter auch bei Regierungen und Parlamenten in Europa gefunden hat und nun – gut elf Jahre nach der Gründung von Attac - endlich auch in den Köpfen der deutschen Regierung angekommen ist“, sagte Detlev von Larcher vom bundesweiten ATTAC-Koordinierungskreis.
ATTAC forderte Merkel und Steinbrück auf, beim G20-Gipfel
in Pittsburgh massiv für die Finanz-
transaktionssteuer einzutreten und ihre Einführung
zumindest im Euroraum durchzusetzen. „Ausreden gelten nicht mehr. Wenn
Merkel und Steinbrück behaupten, die Einführung der Finanztransaktionssteuer
sei nur in allen Ländern gleichzeitig möglich, schüren sie
den Verdacht, dass ihr Umschwenken allein dem Wahlkampf geschuldet ist
und kein echter politischer Wille dahinter steht“, meinte von Larcher.
Es sei wissenschaftlich längst nachgewiesen, dass die Finanztransaktionssteuer
als erster Schritt in einem der großen Währungsräume wie
der Eurozone eingeführt werden kann. Der Verdacht dürfe sich
nicht erhärten, dass alles nur Wahlkampfgetöse sei - verursacht
durch die kritischen Kommentare vieler Medien, die Bundesregierung habe
seit der Lehman-Pleite vor einem Jahr so gut wie nichts zur Regulierung
und Kontrolle der Finanzmärkte getan.
Laut ATTAC würde die Einführung der Finanztransaktionssteuer einen ersten Schritt zur Regulierung der Finanzmärkte und einer Umverteilung bedeuten, dem aber weitere Schritte folgen müssten – etwa das Verbot, mit hoch riskanten Wertpapieren zu handeln, und das Austrocknen der Steueroasen. Zudem müsse dafür gesorgt werden, dass keine Bank mehr „systemrelevant“ sei. Jutta Sundermann, ebenfalls Mitglied des Attac-Koordinierungskreises: „Es muss damit Schluss sein, dass auf den Finanzmärkten horrende Gewinne gemacht werden, bei Verlusten aber der Staat erpresst wird.“
Nach dem EU-Gipfel letzte Woche zur Vorbereitung des G20 Treffens in Pittsburgh war klar, dass es sich in der Tat nur um eine Wahlkkampfshow gehandelt hatte. „Die europäischen Staats- und Regierungschefs wollen offenbar die Verursacher der Krise nicht zur Finanzierung der Kosten heranziehen. Sie haben keinen einzigen Vorschlag für Pittsburgh, der in diese Richtung geht. Damit bleiben die Kosten der Krise bei den Steuerzahlern und den Schwächsten der Gesellschaft. Die Erhöhung von Massensteuern und Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich rücken immer näher“, so von Larcher.
„Der einzige Vorschlag, die Zocker an den Kosten der Krise wenigstens zu beteiligen und die Dimensionen, in denen im globalen Casino hantiert wird, zu reduzieren war der Vorschlag einer Finanztransaktionsteuer. Dass dieser schon nach einer Woche wieder aus dem Verkehr gezogen wird, macht deutlich, dass die Politik weiterhin vor Banken und Bossen einknickt. Der Vorstoß war eine reine Wahlkampfblase“, so Sundermann.