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Wie mehrfach berichtet, steht im sizilianischen Agrigento der Lübecker Kapitän Stefan Schmidt sowie der ehemalige Vorsitzende des Hilfskomitees „Cap Anamur“ Elias Bierdel vor Gericht, weil Schmidt 2004 mit dem gleichnamigen Schiff  37 Menschen aus Seenot gerettet und in einem italienischen Hafen abgesetzt hatte. Der anklagende Staatsanwalt sieht darin bandenmäßige Beihilfe zur illegalen Einreise in einem besonders schwerem Fall und fordert vier Jahre Haft und eine Geldstrafe in Höhe von 400.000 Euro. Am 7. Oktober wird die Urteilsverkündung erwartet. Die Internationale Liga für Menschenrechte erklärt in diesem Zumsammenhang: "Unterlassene Hilfeleistung ist eine Straftat, Hilfe für Menschen in Not ein humanitäres Gebot!", und kündigt Proteste im In- und Ausland an, sollte es zu einem Schuldspruch kommen. Eine Kriminalisierung humanitären Handelns dürfe nicht zugelassen werden. Aus Lübeck ist eine Delegation aus Vertretern von Flüchtlingsorganisationen, Menschenrechtsverbänden, Kirche und Wirtschaft, ins italienische Agrigento gefahren, um gegen den Prozess zu demonstrieren. Nach Informationen des Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein stehen auch zwei tunesische Fischer wegen ähnlicher Vorwürfe vor Gericht. Am Dienstag, wenn diese Ausgabe der LinX bereits im Vertrieb ist, wird es um 19 Uhr am Kieler Hauptbahnhof wie auch in Lübeck und in Agrigento Lichteraktionen geben. Es sollen 434 Kerzen für die im ersten Halbjahr im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge entzündet werden.

Führende Vertreter der Bundes-FDP haben sich im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen für Er-
leichterungen für Flüchtlinge ausgesprochen. Unter anderem wurde das Arbeitsverbot für Asylbewerber,die noch im Anerkennungsverfahren sind, in Frage gestellt. Auch die Residenzpflicht, die Asylbewerber ver-
pflichtet, den Kreis, in dem sie gemeldet sind, nicht zu verlassen, wurde in Frage gestellt und groß-
zügigere Regelungen für die Geduldeten gefordert.

Pro Asyl und Amnesty International hauen in die gleiche Kerbe fordern die künftigen Regierungsparteien auf Flüchtlingsschutz im Koalitionsvertrag zu verankern. Die zum 31. Dezember auslaufende Bleiberechts-
regelung müsse neu gefasst und deutlich verbessert werden. „Die unmenschliche Praxis der Ketten-
duldungen ist immer noch nicht abgeschafft. Wer lange hier lebt, muss bleiben dürfen“, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Die eng gefassten Ausschlussgründe hätten von vornherein viele Flüchtlinge von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen. Die einmaligen Stichtage für die Einreise führten dazu, dass immer wieder neue Fälle von langjährig Geduldeten entstehen. “Abschiebungen nach jahrelangem Aufenthalt sind unmenschlich. Die Stichtagsregelung muss  aufge- hoben, das Bleiberecht von der Lebensunterhaltssicherung entkoppelt werden“, forderte Burkhardt. Die Isolierung in Lagern und die entmündigende Zwangsversorgung mit Essenspaketen müsse beendet werden.

Mit Blick auf die Flüchtlingspolitik der EU fordern Pro Asyl und Amnesty die neue Bundesregierung, auf, Deutschlands ganzes politisches Gewicht dafür einzusetzen, damit Flüchtlinge nicht länger auf hoher See im Mittelmeer abgefangen und ohne rechtsstaatliche Überprüfung ihrer Fluchtgründe in Transitstaaten zurückgeschickt werden. „Das ist völkerrechtswidrig“, erklärte Wolfgang Grenz, Leiter der Abteilung Länder und Asyl von Amnesty International. „Es gibt keinen menschenrechtsfreien Raum im Mittelmeer. Auch Menschen, die auf Hoher See aufgegriffen werden, haben Anspruch auf ein faires Asylverfahren.“ Libyen und andere nordafrikanische Staaten erfüllten diese Voraussetzungen nicht. Die Agentur Frontex braucht nach Auffassung der Organisationen dringend  menschenrechts- konforme Leitlinien.

Weiter forderten Amnesty und Pro Asyl, Deutschland dürfe sich nicht länger dagegen sperren, die Verantwortung für die Flüchtlinge solidarischer innerhalb Europas zu verteilen. „Deutschland muss mehr Flüchtlinge aufnehmen als bisher, statt die Verantwortung auf die Randstaaten abzuwälzen“, sagte Burkhardt. „Griechenland, Malta und Zypern sind in der Tat mit der Flüchtlingsaufnahme überlastet. In Griechenland gebe es kein menschenrechtlichen Standards genügendes Asylverfahren, was auch die Eilentscheidung des Bundesverfassungsrerichts vom 8.9.2009 nahelege. „Abschiebungen nach Griechenland müssen daher sofort ausgesetzt werden“, forderte Burkhardt.

Zur solidarischeren Verteilung der Aufgaben im Flüchtlingsschutz gehöre auch, einem Programm für die regelmäßige Neuansiedlung (Resettlement) von Flüchtlingen zuzustimmen, die in anderen Ländern bereits als Flüchtlinge anerkannt sind, dort aber auf Dauer nicht bleiben könnten. „Die Aufnahme irakischer Flüchtlinge aus Jordanien und Syrien zeigt, dass ein solches Programm umsetzbar ist“, sagte Grenz. „Wir müssen jährlich Flüchtlinge bei uns neu ansiedeln. Und damit kein Missverständnis entsteht: Es soll die individuelle Auf- nahme von Flüchtlingen ergänzen, nicht ersetzen“, sagte Grenz. Staaten wie Australien, Dänemark, Finnland, Kanada, Neuseeland, die Niederlande, Norwegen, Schweden und die USA siedeln schon seit langem regelmäßig Flüchtlinge bei sich neu an. Schweden, ein Land von neun Millionen Einwohnern, nimmt jährlich bis zu 1.800 Flüchtlinge dauerhaft auf.

Am 2. Oktober war der bundesweit begangene „Tag des Flüchtlings“. Der hiesige Flüchtlingsrat nahm das zum Anlass, die künftige Landesregierung zu einer Umkehr in der Flüchtlingspolitik aufzufordern. Trotz aufwändigster europäischer und nationaler  Ab- schottungsmaßnahmen kämen weiterhin politische, Kriegs- und Notflüchtlinge ins Land. Derzeit leben ca. 1.300 Asylsuchende und 1.900 geduldete Flüchtlinge in Schleswig-Holstein. Geschätzt einige hundert Menschen, die nur eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis zugestanden bekamen, kommen noch hinzu. Trotz dieser geringen Zahlen, die die Aufnahmekapazität bei weitem nicht überfordern, würden die politisch Verantwortlichen und die Verwaltungen diesen Menschen mit einem filigranen System von Ausgrenzungen  be- gegnen. Viele der, im übrigen die öffentlichen Haushalte unnötig belastenden Instrumente dieser Politik seien hingegen auch in landespolitischer Souveränität veränderbar, zum Beispiel die Beschränkungen der Bewegungsfreiheit und die zentrale Unterbringung.  Außerdem kritisiert der Flüchtlingsrat, dass Roma-Flüchtlingen regelmäßig der Asylstatus verweigert wird. Viele seien ausreisepflichtig und akut von Abschiebung bedroht. Der Flüchtlingsrat fordert die künftige Landesregierung auf, alle bestehenden rechtlichen  Möglichkeiten zu nutzen, und für Roma und andere in ihren Herkunftsländern bedrohe Minderheiten ein Bleiberecht einzuräumen.
 

(wop)