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„Überall dort, wo die Emanzipation des Menschen am Werk war, war auch Eva anzutreffen“

Beitrag autonomer Freundinnen und Freunde auf der Trauerfeier für Eva Dockerill am 19. November

Eva führt heute, wie schon zu ihrem 80sten Geburtstag, Familienangehörige, Freundinnen und Freunde, sowie Genossinnen und Genossen hier in der Hansastraße zusammen. Wenn ich daran denke, wie gerne sie die Fotos von ihrem 80sten immer wieder hervor geholt hat und beschrieb, wer in welchem Verhältnis zu ihr steht, so glaube ich, dass sie sich auch über die heutige Zusammensetzung sehr gefreut hätte. Wir sind alle mindestens 35 Jahre jünger als unsere Freundin und Genossin Eva. Sie war bereits 70 Jahre alt, als wir sie 1998 in der Vorbereitung von Protesten gegen das Gelöbnis auf dem Rathausmarkt kennen lernten. Damals gehörte sie zu dem Teil des Bündnisses, der sich nach dem Durchbruch durch eine Polizeikette an der lautstarken Störung beteiligte.

In der Folge waren wir gemeinsam mit Eva in der Initiative „Kein Frieden mit der NATO“ organisiert. Diese Initiative war auf den ersten Blick eine eigentümliche Mischung radikaler AktivistInnen. Wir verstanden uns als Teil der militanten autonomen Bewegung. Evas Gruppenzusammenhang hingegen nannte sich „Marx am Sonntag“. Das klang erstmal nach einem trockenen Theorie-Lesekreis. Weit gefehlt, wie wir schnell in den oft bis tief in die Nacht gehenden Treffen merkten.

Die Beschäftigung mit Theorie war für Eva immer das, was bei Marx „Kritik im Handgemenge“ heißt: Begreifen und Bekämpfen hing für sie untrennbar zusammen – es galt ihr zu begreifen, um besser bekämpfen zu können. Dass die Diskussionen so intensiv und die praktischen Ergebnisse so verbindlich waren, lag auch an der Persönlichkeit von Eva. So hatte sie nie Angst davor, eine Position notfalls ganz alleine und fordernd – manchmal auch stur – zu vertreten und sorgte für so manche Kontroverse, in der wir uns im Ringen um Positionen nicht nur gestritten haben sondern auch als Menschen begegnet sind. „Was ist mit der Frauenfrage?“ hielt sie regelhaft den Marxisten entgegen „Was ist mit der Klassenfrage?“ ging in die Richtung der Autonomen. Vertragen haben wir uns anschließend im Sponti Hansa, Eva mit einem Glas Weißweinschorle und einer Zigarette.

Evas kämpferische Anwesenheit in zum Teil grundverschiedenen Szenen macht sie zu einer außerge-
wöhnlichen Frau. Sie hat sich immer wieder Orte gesucht, von denen aus sie für eine ganz andere und bessere Welt, die für sie im Ergebnis der Bemühungen ganz ohne jeden Zweifel herrschaftsfrei und klassenlos sein musste, streiten konnte. Als Kommunistin, Feministin und kritische Gewerkschafterin war sie bis ins hohe Alter an Debatten und Aktivitäten beteiligt, ähnlich einer Wanderdüne gesellschaftlicher Konflikte. Ohne Berührungsängste, offen, solidarisch und vor allem streitbar: Überall dort, wo die Emanzipation des Menschen potentiell am Werk war, war auch Eva mit ihrem Kommentar und ihrer Position anzutreffen. Dafür haben wir sie geliebt.

Ihren auf die Zukunft gerichteten Blick hat sie selbst bei zunehmender körperlicher Kraftlosigkeit nicht abgelegt. Körperlich bereits immer weniger geworden, besuchte sie noch im Juni zwei Veranstaltungen des Arbeits- und Aktionskreises kritischer Studierender. Und wen wundert es, dass sie natürlich mit der ihr eigenen Beharrlichkeit beide Male das Wort ergriff: Die Frage „Was heißt das jetzt für unseren Kampf?“ war die Stoßrichtung ihrer Beiträge.

Vor der zweiten genannten Veranstaltung hatte sie der Nachtschwester ihre Rückkehr ins Hospiz für 21 Uhr in Aussicht gestellt. Sie musste sich ja abmelden, wenn sie das Haus verließ. Doch wollte sie nach der Veranstaltung noch in die Hansastraße. Dort setzten sich junge Antifas an unseren Tisch, Eva aß eine Flöte und trank einen Schnaps. Erst um 23 Uhr waren wir zurück und das Hospiz war bereits abgeschlossen. Nach 10 Minuten Klingeln endlich machte eine etwas vorwurfsvolle Schwester die Tür auf. Mit ihrem nahenden Tode verbundene Fragen hingegen wehrte sie meistens ab. Zum Teil auch garstig. Schon bei einem ersten Besuch im Hospiz berichtete sie, dass sie bereits alte Freundinnen mit den Worten „Wie könnt ihr nur in meiner Gegenwart um mich trauern!“ angefahren habe und sich nun mit der Kritik der Emotionaliät beschäftige. Hierfür schlug sie sogar bei den alten Klassikern nach. Das beinhaltete auch eine Warnung an uns.

Wir haben es versäumt, Eva dafür zu kritisieren, dass sie es sich, anderen und uns hiermit zum Teil auch sehr schwer gemacht hat, mit Gefühlen der Trauer umzugehen. Im letzten Jahr hat Eva uns und anderen sehr viel mit auf den Weg gegeben. Sie beantwortete viele Fragen und stellte viele Fragen. Sie wurde nochmal mehr Genossin und Freundin. Wir erfuhren viele Dinge aus ihrem Leben, die uns bis dahin unbekannt waren. Und auch einen uns bis dahin neuen Charakterzug lernten wir kennen: Evas Eitelkeit. Nach einem Sturz, durch den sie sich ein Brillenhämatom zuzog, verkleidete sie sich wie eine 70er-Jahre-Bankräuberin mit Sonnenbrille und Hut. Auch  unange- kündigte Besuche konnten sie in die Bredouille bringen. Viele Dinge aus Evas Leben sind uns aber unbekannt geblieben.

Als sie schwächer wurde und sich zunehmend schlechter konzentrieren konnte, hat sie es dennoch genossen, wenn Menschen, die ihr wichtig waren, sich im Hospiz getroffen haben und – wie sie es ausdrückte – Dinge zusammen „ausgeheckt“ haben und Pläne  entstanden.

Eva wäre keine Freundin eines pathetischen Abschlusses einer politischen Trauerrede gewesen, in der gesagt wird, weshalb sie für uns alle ein Vorbild sein sollte. Oder noch schlimmer: Wenn wir in ihrer Gegenwart den Fehler begehen würden zu sagen „Eva, der Kampf geht weiter“ würde sie vermutlich dazwischen fahren und sagen: „Natürlich geht der Kampf weiter, solange der Mensch ein armseliges und geknechtets Wesen ist – und das natürlich auch ohne mich!“ Aber es wäre sehr in ihrem Sinn, wenn einige der hier Versammelten die Fäden, die Eva zwischen den unterschiedlichen Leuten gesponnen hat, halten und auch in Zukunft das eine oder andere gemeinsam aushecken.

Eva, Dir gebührt aus vielen Gründen ein ganz besonderer Platz in unserem Leben. Wir werden Dich sehr vermissen.

Petra,  Svenja, Martin, Bierson und Jens