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Diskussionsveranstaltung zur Gesundheitspolitik:

Ver.di und Attac diskutieren über solidarische Bürgerversicherung

Gesundheit ist keine Ware! – Lieber reich und gesund als arm und krank? Gerechte Gesundheitspolitik geht anders!

Unter diesem Motto fand am 10.11.2010 eine gemeinsame Veranstaltung von ver.di Kiel/Plön und ATTAC-Kiel im Legienhof statt, die mit etwa 100 TeilnehmerInnen gut besucht war. Themenschwerpunkte bildeten die sog. Gesundheitsreform, die Privatisierungen im Gesundheitswesen und die solidarische Bürgerversicherung als eine Alternative zu Leistungskürzungen, Beitragserhöhungen und der Vermarktung von Gesundheit. Die Veranstaltung war Teil der Veranstaltungsreihe des Bündnisses Gerecht geht anders –Wir zahlen nicht für eure Krise.

Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung, Einstieg in die Drei-Klassen-Medizin

In dem ersten Themenblock beschäftigte sich Axel Schmidt vom ver.di-Bundesvorstand mit der „Rösler Reform“. Dabei wurde deutlich, dass diese Reform ein Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung und ein Einstieg in die „Kopfpauschale“ sowie in die Drei-Klassen-Medizin ist. Der Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung wird künftig mit 7,3% geblockt während der Anteil für die Versicherten 8,2% beträgt. Alle kommenden Kostensteigerungen werden allein den Versicherten in einer Pauschale aufgebrummt.

Das bedeutet nicht nur, dass die Arbeitgeber aus der Finanzierung künftiger Kostensteigerungen raus sind. Es bedeutet auch, dass Versicherte mit einem niedrigen Einkommen einen ebenso hohen Zusatzbeitrag zahlen müssen wie Versicherte mit einem hohen Einkommen. Das ist der Ausstieg aus einer halbwegs solidarisch finanzierten Krankenversicherung, die bisher unterschiedliche Einkommenshöhen berücksichtigte.

Ob der vorgesehene bürokratische Steuerausgleich für niedrige Einkommensgruppen jemals funktionieren wird und bei steigenden Kosten finanzierbar ist, steht in den Sternen. Außerdem bleibt die Finanzierung für den Rest der gesetzlich Versicherten immer noch unsolidarisch.

Da die Arbeitgeber künftig von der Finanzierung der Zusatzkosten entlastet sind und diese Kosten die Lohnnebenkosten nicht zusätzlich erhöhen, ist zu befürchten, dass die Versicherten noch mehr als bisher als Melkkühe für Pharmaindustrie, Ärzteverbände und Versicherungskonzerne herhalten müssen. Weitere Kostenerhöhungen sind den Arbeitgebern jetzt egal, denn sie betrifft es nicht mehr.

Eine weitere unsoziale Verschiebung ergibt sich aus den vorgesehenen „Vorleistungen“ für gesetzlich Versicherte. Danach können auch gesetzlich Versicherte freiwillig die Arztrechnung aus eigener Tasche bezahlen und sie später mit ihrer Kasse abrechnen. Damit wird einer Drei-Klassen-Medizin Vorschub geleistet. Denn Ärzte sind an einem solchen Abrechnungssystem in der Regel stark interessiert, da es für sie unbürokratischer ist und die Möglichkeit bietet, Patienten von Zusatzleistungen zu überzeugen, die von den gesetzlichen Kassen nicht getragen werden. Somit gibt es Privatversicherte, Versicherte, die Vorleistungen bezahlen können und den großen Rest, der sich diesen Luxus nicht leisten kann. Kurzum, diese Gesundheitsreform ist ein Paradigmenwechsel und ein Bruch mit der hart erkämpften bismarckschen Sozialgesetzgebung.

Gesundheit wird zur Ware und Kliniken werden zu Anlageobjekten für Großinvestoren

Am Beispiel der Kliniken in Hamburg und in Marburg/Gießen wurde gezeigt, was die zunehmende Privatisierung für Patienten und das Personal bedeutet. Für große „Gesundheitskonzerne“ wie die Rhön-Kliniken oder Asklepios sind Krankenhäuser und Kliniken gewinnträchtige Anlageobjekte. Inzwischen sind über 50% aller Kliniken in Deutschland privatisiert. Dabei geht es den Konzernen nicht um eine optimale Gesundheitsversorgung im Interesse der Gesellschaft sondern um einen maximalen Profit. Sie erreichen dies über Spezialisierungen, Rationalisierung, den Abbau in den Behandlungs- und Pflegeleistungen und natürlich über die Senkung der Personalkosten. In der Regel wird der Personalschlüssel dramatisch verschlechtert. Das bedeutet, dass auf einen Arzt oder eine Ärztin bzw. auf einen Pfleger oder eine Pflegerin mehr Patienten kommen. Daraus ergeben sich deutlich negative Folgen für die Versorgungsqualität und die Belastungen des gesamten Klinikpersonals.

Lisa Merla vom Gesamtbetriebsrat der Asklepios Kliniken und Vorsitzende des ver.di-Fachbereichs Gesundheit in Hamburg beschrieb nicht nur den  Privatisierungs- prozess in Hamburg sondern verwies auch auf einen politischen Skandal. In einer gesetzlich vorgesehenen Volksbefragung sprach sich die große Mehrheit in Hamburg gegen die Privatisierung der Kliniken aus. Nach diesem Desaster für den Senat hebelte Ole von Beust das Ergebnis juristisch aus. Das Ergebnis der Befragung war für den Senat nicht bindend.

Es wäre allerdings eine Illusion, zu meinen, dass allein mit der Verhinderung von Privatisierungen die Probleme in der Gesundheits-
versorgung gelöst seien. Durch das Finanzierungssystem (Fallpauschale) und die Konkurrenz auf dem „Gesundheitsmarkt“ haben sich auch die kommunale Kliniken und Krankenhäuser in Wirtschaftsunternehmen verwandelt. Der Kampf gegen die Privatisierungen im Gesundheitswesen ist sehr wichtig, um Schlimmeres zu verhindern. Für eine solidarische und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung für alle ist allerdings mehr notwendig. Dazu gehören die Veränderung der gesamten Versorgungsstruktur und  Versorgungs- qualität und ein wirksamer demokratischer Einfluss der Versicherten, der in der Lage ist, die Selbstbedienung starker Lobbygruppen zu verhindern. Die solidarische Bürgerversicherung ist ein wichtiger Baustein im Rahmen einer solchen Veränderung.
 
 


Werner Rätz (Attac), Lisa Merla (ver.di Fachbereich Gesundheit Hamburg) und Axel Schmidt (ver.di-Bundesvorstand) am 10.11.2010 im Kieler Gewerkschaftshaus

Gerecht geht anders: Die solidarische Bürgerversicherung

Werner Rätz von ATTAC stellte in dem dritten Themenblock das Modell der solidarischen Bürgerversicherung vor, das über die Vorschläge der SPD oder des DGB hinausgeht. Dieses Modell sieht vor, dass aus allen Einkommensarten und von allen Einkommensgruppen (auch von Selbständigen und Beamten) Versicherungsbei- träge in eine gemeinsame Bürgerversicherung eingezahlt werden. Dazu gehören neben den Erwerbseinkommen alle Vermögenseinkommen aus Geldanlagen, Aktien- oder Immobilienbesitz. Nach diesem Modell werden die Versicherungspflichtgrenze und die Beitragsbemessungsgrenze abgeschafft. Um bei den so erhöhten  Ein- nahmen auf der Seite der Versicherten weiterhin auf der Arbeitgeberseite eine 50%ige Beitragsparität zu erzielen, erfolgt über den gehaltsbezogenen Arbeitgeberanteil hinaus ein Wertschöpfungsbeitrag aus Unternehmensgewinnen.

Die solidarische Bürgerversicherung soll durch demokratisch gewählte Organe der Versicherten selbst verwaltet werden. Dieses Finanzierungssystem ist gegenüber dem bestehenden System solidarischer, erhöht die Einnahmen und ermöglicht über die Selbstverwaltungsorgane die Entscheidung darüber, was, wie, wofür im Interesse der Versicherten finanziert wird. Von der solidarischen Bürgerversicherung erhalten alle die gleiche Leistung und durch sie sind alle Menschen gleich versichert. In der Diskussion wurde dieses Modell von einigen für zu utopisch gehalten, andere meinten, dass wir Zukunftsentwürfe brauchen, die sich nicht nur an dem aktuell  Mach- baren orientieren. Übereinstimmung bestand darin, dass die Forderung nach einer Bürgerversicherung eine politisch notwendige Alternative zu der neoliberalen  Ge- sundheitsreform á la Rösler sei.

Bei den Anwesenden bestand Einigkeit darüber, dass das Gesundheitssystem für die gesamte Gesellschaft von existenzieller Bedeutung sei. Daher ist die Auseinander- setzung um eine gute gesundheitliche Versorgung eine zentrale politische Herausforderung in der kommenden Zeit. Der Kampf gegen die sog. Gesundheitsreform und für eine solidarische Bürgerversicherung muss ebenso massenhaft und entschieden geführt werden, wie z.B. der Kampf gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten.
 

(Andreas Meyer)