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Kritik an der Rede von Michael Sommer:

Weiter im Widerstand gegen den Sozialkahlschlag!

Als eine besondere Wertschätzung für Kiel werteten es manche KollegInnen, dass Michael Sommer zum Aktionstag am 18.11. nach Kiel kam und auf der Abschlusskundgebung der Demonstration unter dem Motto „Gerecht geht anders!“ sprach. Bei anderen, ob nun in der Gewerkschaft oder im Sozialbündnis, hielt sich die  Begeisterung darüber schon im Vorfeld in engen Grenzen. Mit einer für seine Verhältnisse sehr temperamentvollen Rede, die er deutlich über den Text seines Manuskripts hinaus ausdehnte, traf er dann offensichtlich die Stimmung vieler DemonstrantInnen. Aber hatte er uns etwas zu sagen, dass uns im Widerstand gegen die Politik des Sozialkahlschlags weiterbringt?

Ich erlaube mir vier Anmerkungen:

Michael Sommer begann seine Rede mit dem Lob der Opfer, die die arbeitenden Menschen in der Krise gebracht haben. Die „kleinen Leute“, wie er auch (viel zu häufig) sagte. „Was wäre denn gewesen, ohne unseren Lohnverzicht bei Kurzarbeit, ohne milliardenschwere Bankenrettungspakete, für die letztlich alle Steuerzahler gerade stehen müssen. Was wäre denn gewesen, ohne die von uns energisch geforderten Konjunkturprogramme und die von uns gegen den massiven Widerstand von Teilen der Politik und der Wirtschaft durchgesetzte Abwrackprämie? Es ist unstreitig, dass ein Wirtschaftseinbruch von fünf Prozent dieses Land in eine soziale und wirtschaftliche Katastrophe gestürzt hätte, wären wir nicht gewesen. Ohne die Opfer der Arbeitnehmerschaft, ohne die vielfältigen Initiativen der Betriebsräte, ohne das Engagement der Gewerkschaften hätten wir heute keinen Aufschwung.“ (Redemanuskript; steht im Netz.)

- Dies ist das Bekenntnis genau zu den Opfern, die klassenbewusste Arbeiterinnen und Arbeiter gerade nicht bringen wollten. Sie jetzt positiv zu bewerten, ist ein Affront gegen alle, die versucht haben, das Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise!“ mit Leben zu erfüllen. Das Sommer sich nun wundert, dass uns dafür nicht gedankt wird, stellt seine Qualifikation als Gewerkschaftsführer deutlich in Frage. „Wie immer, wenn das Kapital die Karre in den Dreck fährt, sind es die  Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die es wieder richten müssen. Und jetzt, wo es vermeintlich wieder aufwärts geht, werden wir behandelt nach dem alten Motto: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen. Doch so haben wir nicht gewettet. Wir fordern unseren gerechten Anteil. Wir wollen eine faire Behandlung. Und wir wollen nicht allein für eine Krise bezahlen, die wir nicht verursacht haben.“

- Es ist also fair, wenn wir wenigstens nicht allein für diese Krise bezahlen?... Und wenn das Kapital wieder einmal in Not gerät, opfern wir uns wieder?! Armutslöhne und staatliche Lohnsubventionen für Ausbeuter verletzen die Menschenwürde. Das ist unerträglich und wir werden uns damit niemals abfinden. Auch deshalb geht der Kampf für einen allgemeinen existenzsichernden Mindestlohn weiter. Wir wollen die Gleichbehandlung jeder Arbeit. Wir wollen gleichen Lohn für gleiche Arbeit für Männer und Frauen, und wir wollen die Gleichbehandlung der Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in den Betrieben, Verwaltungen oder sozialen Einrichtungen. Wir verteidigen den sozialen Schutz in der Arbeit und wollen sichere Arbeitsplätze statt Prekarität und Entrechtlichung.“

- Mir geht es hier um das Thema Leiharbeit. Abweichend vom Redemanuskript berichtete Sommer noch von einem Besuch bei Vossloh. „Habt Ihr Leiharbeit?“ habe er dort gefragt. „Nein, zur Zeit nicht, wir haben ja Kurzarbeit!“, sei ihm geantwortet worden. Aber vorher gab es dort Leiharbeiter, und, so empörte sich Sommer: „Die haben 30 Prozent weniger gekriegt! Das ist ein Skandal!“ Da hat er Recht, gar keine Frage. Aber wird hier nicht auch klar, dass dies allein nicht das Empörende ist? Hat er kein Problem damit, dass Betriebe (und, nicht zu vergessen, auch manche Betriebsräte) kein Problem damit haben, einen Teil der Belegschaft – und sei es  irgend- wann zu gleichen Löhnen – zum jederzeitigen Heuern und Feuern vorzuhalten? Offenbar nicht. „Wir fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit, Kolleginnen und Kollegen, nicht mehr und nicht weniger!“, so seine abschließenden Worte zu diesem Thema. - Wir sollten mehr fordern: Leiharbeit muss verboten werden!

„Wir demonstrieren heute auch dafür, dass endlich wieder Demokratie und Politik das Sagen haben über Entscheidungen für unser Gemeinwesen. Wir demonstrieren dafür, dass unsere Interessen berücksichtigt werden und nicht allein die der wirtschaftlich Mächtigen. Auch dafür ein Beispiel: Uns wird vorgegaukelt, die Rente mit 67 sei unausweichlich. Und das auch noch gesetzeswidrig: Denn die Beschäftigungslage der Älteren lässt auch arbeitsmarktpolitisch die Einführung der Rente mit 67 gar nicht zu. Tatsächlich soll die Rente mit 67 eingeführt werden, damit die künftigen Rentnerinnen und Rentner mit Rentenkürzungen die Arbeitgeber-
beiträge zur Renten- versicherung stabil halten. Rechnerisch würde der Verzicht auf die Rente mit 67 maximal 0,6 Prozent höhere Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer und Arbeit geber gemeinsam bedeuten. Nicht mehr und nicht weniger. Aber solange bei der Rente oder in der Gesundheit jede Erhöhung von Arbeitgeberbeiträgen zum Tabu erklärt wird, müssen wir blechen. Wir sollen mit Rentenkürzungen und höheren Krankenversicherungsbeiträgen die Gewinne der Unternehmen vermehren. Das ist die Wahrheit, wenn diese Regierung von mehr Netto spricht. Sie meinen nicht unser Netto, sondern das der Unternehmen.“ (Manuskript)

„Niemals“, so ergänzte Sommer auf der Kundgebung sinngemäß, „werden wir mit der Rente mit 67 unseren Frieden machen.“ - Das ist zu hoffen, hier muss er beim Wort genommen werden, hier müssen auch von ihm Vorschläge für angemessene gewerkschaftliche Kampfformen zur Durchsetzung dieses politischen Ziels einge- fordert werden. Davon, dass eine Vorverlegung des gesetzlichen Renteneintrittsalters gefordert werden müsste, mal ganz abgesehen.

Dem Gerede vom „Sparzwang“ trat Sommer mit konkreten positiven Vorschlägen entgegen:

„Wir haben keinerlei Problem, dem Finanzminister vorzurechnen, wie er statt 70 Milliarden Euro bei den kleinen Leuten zu sparen, 70 Milliarden bei den Reichen holen kann.
12 Milliarden durch die längst überfällige Einführung einer Finanztransaktionssteuer,
22 Milliarden durch die konsequente Bekämpfung von Steuerflucht und einen energischen Steuervollzug
6 Milliarden Euro durch die Abschaffung der Abgeltungssteuer
1 Milliarde kann man bei den Hoteliers zurückholen
16 Milliarden brächte eine Vermögensabgabe
6 Milliarden eine anständige Erbschaftssteuer
3,5 Milliarden die Einführung einer Gemeindewirtschaftssteuer, die endlich den Kommunen eine dauerhafte Einnahmebasis sichern würde
2,5 Milliarden durch die Rücknahme nur des jüngsten Steuergeschenks an die Unternehmen und nicht zuletzt kann man auch noch
3,2 Milliarden aus der Brennelementesteuer erzielen.

Und wenn diese 70 Milliarden Euro immer noch nicht reichen, dann braucht man noch lange nicht an die Mehrwert- oder die Tabaksteuer zu denken. Man könnte zum Beispiel den Körperschaftssteuersatz von 15 auf 25 Prozent anheben und so weitere 11,5 Milliarden Euro erzielen.“ Und wenn „die Reichen“ und die schwarz-gelbe Regierung nicht auf uns hören? Was dann? – Nun, dann, dann könne es erhebliche Konsequenzen bei den nächsten Wahlen geben, die SPD (seine Partei) könne „ein Lied davon singen“... Das steht so nicht im Manuskript, das fügte er, vom Schwung seiner Rede vielleicht selbst mitgerissen, als krönende, weitest-
reichende Drohung an.

Es ist eigentlich beschämend, dass ein Professor aus Berlin kommen musste – Prof. Grottian von attac – um die arbeitenden Menschen auf die besonderen Möglich- keiten hinzuweisen, die ihnen allein zur Verfügung stehen, um mit einer „Radikalisierung des Protestes“ auch „das Schienbein der Herrschenden“ zu treffen: die Arbeitsniederlegung, den politischen Streik. Zunächst stundenweise, und nicht irgendwann, sondern „in den nächsten Wochen und Monaten“. Die Schwierigkeiten der Umsetzung dieses Vorschlags kann niemand übersehen, wer die Stimmung in den Gewerkschaften und vielen Betrieben kennt, wo – wie in vielen Bereichen des Öffentlichen Dienstes – schon die Mobilisierung zur nächsten Tarifrunde nicht unproblematisch ist. Aber Recht hat Grottian dennoch, und wir, die   Gewerk- schafterinnen und Gewerkschafter, müssen alles daran setzen, die Losung des politischen Streiks von einer guten Idee zur Realität werden zu lassen. Unsere Funktionäre müssen dazu gebracht werden, daran mitzuhelfen, voranzugehen, Initiative zu zeigen, statt abzuwiegeln nach dem Motto „Das schaffen wir ja doch nicht.“

Da kommt viel Arbeit auf uns zu. Kein Gewerkschaftsführer, kein Vorstand allein nimmt sie uns ab. Die Gewerkschaft sind wir, die Mitglieder in Betrieben und  Ver- waltungen, und von unserer Überzeugungskraft, von unserem Organisationsvermögen auch gegen Widerstände in den eigenen Reihen hängt der Ausgang unseres Kampfes ab. Nutzen wir die Stimmung vom 18. November, die sich sicherlich vor allem aus der unerwartet hohen Zahl der Teilnehmenden speiste. Da ist etwas in Bewegung. Schaffen wir dieser Bewegung freie Bahn!
 

(D.L.)