Interview mit dem polnischen Kommunisten Zbigniew Wiktor
„Neue Hanse – Friedliche Kooperation oder aggressive Großraumwirtschaft?“, fragte die AG „Kommunistische Politik von unten“ anläßlich des diesjährigen Antikriegstages mit einem Seminar und einer Podiumsdiskussion am 1.9. in der Pumpe. Entgegen der ursprünglichen Absicht geriet der ökonomische Aspekt der Frage allerdings reichlich ins Hintertreffen. Dennoch kamen spannende und nicht minder wichtige Diskussionen über Fragen des deutschen Revanchismus und der Funktionalisierung von Minderheitenpolitik zustande.
Als Glücksfall erwies sich, daß Hans-Rüdiger Minow, Koautor eines Buches über den „Verband für das Deutschtum im Ausland“ („Deutschtum erwache! - aus dem Innenleben des staatlichen Pangermanismus“) sich kurzfristig für das Podium angeboten hatte. In einem sehr kenntnisreichen Beitrag schilderte er, wie die Bundesregierung über scheinbar private Vereine Minderheitenpolitik im europäischen Ausland betreibt und dort Autonomie- und Seperationsbestrebungen fördert. Einer davon ist die „Förderalistische Union Europäischer Volksgruppen“ mit Sitz in Flensburg. Dort soll auch demnächst das „Europäische Zentrum für Minderheiten“ seine Tore öffnen. Wir werden in einer der nächsten Ausgaben ausführlich darüber berichten.
In dieser Ausgabe bringen wir ein Interview mit Zbigniew Wiktor vom
Bund Polnischer Kommunisten, einer Organisation mit ca. 5.000 Mitgliedern,
die nach der Auflösung der Polnischen Vereinigten Arbeiter Partei
entstand. jm und wop sprachen mit Zbigniew Wiktor über deutschen Revanchismus,
die EU und die NATO.
Zbigniew, seit der Wiedervereinigung Deutschlands kann man feststellen, daß deutsche Revanchistenverbände und auch die Bundesregierung in Polen aktiv werden in Bezug auf die sog. deutsche Minderheit. Kannst Du ein bißchen über diese Minderheit erzählen? Was für Menschen sind das, was für eine Rolle spielen sie in Polen?
Wenn es um die Frage des deutschen Revanchismus nach der Vereinigung
Deutschlands geht, also nach dem Anschluß der ehemaligen DDR an die
BRD, so hat er uns in Polen sehr beunruhigt. Polen hat sehr negative Erfahrungen
mit Deutschland gemacht. In den letzten 100 Jahren ist zweimal Krieg von
einem vereinigten Deutschland ausgelöst worden. Besonders Polen ist
Opfer dieses schrecklichen imperialistischen Drangs Deutschlands nach Osten
geworden. Deswegen beobachten wir sehr genau, welche Kräfte im vereinigten
Deutschland eine bestimmende Rolle spielen. Wir stellen mit großer
Sorge fest, daß die deutsche Großbourgeoisie heute das Rad
der Geschichte zurückdrehen will und wieder auf Ostexpansion setzt.
Ziel des Revanchismus ist es, die Grenzen zu revidieren und Polen zu einem
Satellitenstaat eines starken Deutschlands zu machen. Seit der Wende 1989
hat Polen viel verloren, ökonomisch, sozial, diplomatisch. Der Warschauer
Vertrag, der Polens Souveränität garantiert hat, ist aufgelöst.
Heute ist Polen international isoliert. Es gibt keine Sowjetunion mehr,
die die Oder-Neiße-Grenze konsequent verteidigen würde. Was
die deutsche Minderheit in Polen angeht, so ist das eine sehr komplizierte
Frage. Die bürgerliche Regierung und die bürgerlichen Medien
behaupten, daß es um Menschenrechte gehe, aber diese Frage wurde
künstlich geschaffen. Es gibt viele soziale und historische Gründe
für die Existenz einer deutschen Minderheit. Als Deutsche bekennen
sich oftmals Leute, die sich davon einen ökonomischen Vorteil erhoffen.
(Nach dem deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag hat jeder das Recht,
sich zur deutschen Minderheit zu bekennen, ohne daß der polnische
Staat das kontrollieren dürfte. Der Vertrag legt auch fest, daß
es wohl in Polen eine deutsche Minderheit gibt, die rund 270.000 in Deutschland
lebenden polnischen Staatsbürger aber keine Minderheit mit den entsprechenden
Rechten bilden. - Red.) Es gibt zahlreiche kulturelle Vereinigungen nicht
nur in Oberschlesien, sondern überall in West- und Nordwestpolen.
Auch im Norden in Gdansk und Masuren. Teilweise sind das agrarisch geprägte
Gebiete, wo die Arbeitslosigkeit nach Auflösung der Genossenschaften
und der staatlichen Güter besonders groß ist. Der Bund der Polnischen
Kommunisten tritt dafür ein, daß jeder seine Rechte wahrnehmen
kann. Wir sind aber dagegen, daß die Integrität Polens und die
Homogenität des polnischen Volkes angegriffen werden. Wir befürchten,
daß bei einer Veränderung der Konstellationen in Deutschland,
die Minderheit wieder zu einer fünften Kolonne werden könnte.
Wer nach 1945 in Schlesien und z.B. Hinterpommern bleiben wollte, mußte auf polnische Nationalität optieren. Sehe ich das richtig, daß diejenigen, die sich heute als Deutsche bezeichnen, bzw. deren Vorfahren, 1945 gesagt haben, sie seien polnisch?
Ja. 1945 und 46 mußte auf Grundlage des Potsdamer Abkommens die deutsche Bevölkerung aussiedeln. In Oberschlesien konnten einige bis 1956 bleiben. Ausnahmen gab es nur für Menschen, die aktiven Widerstand gegen die Nazis geleistet hatten. Und Menschen aus gemischten Ehen. Aber das spielte keine Massenrolle. Von den ca. 1 Mio. Menschen, die bleiben konnten, waren die allermeisten ethnische Polen, die sich zur polnischen Nation bekannten, die sog. Wasserpolaken, die eine polnische Mundart sprachen. Darunter waren z.B. viele Teilnehmer des schlesischen Aufstands von 1919. Heute versucht die deutsche Regierung, die deutsche Minderheit wiederzubeleben, um sie für ihre Politik einsetzen zu können.
Von der Bundesregierung sind diese Organisationen in Polen massiv unterstützt worden. Ich habe hier eine Zahl, nach der 1996 120 Mio. DM für die Förderung sogenannter deutscher Minderheiten im Ausland ausgegeben wurden.
Aus dem deutschen Haushalt fließen jährlich etwa 5 bis
10 Mio. DM nach Polen. Hinzu kommen noch andere Maßnahmen des deutschen
Innenministers, Unterstützung der Konsulate und die Propaganda-Aktivitäten
des Bundes der Vertriebenen.
Führt das dazu, daß die deutschen Gemeinden und Schulen besser ausgestattet sind, als die polnischen der Nachbarschaft?
Ich kann schlecht einen Vergleich anstellen, da ich die Situation in
Oberschlesien nicht so genau kenne. Aber bekannt ist, daß es eine
Flut von Büchern, Schreibmaterialien, Möbeln, elektronischen
Geräten für die deutschen Einrichtungen gibt. Die polnischen
Behörden können damit natürlich kaum konkurrieren. Es gibt
ein Problem mit deutschen Ortsnamen. Die polnische Regierung hat zwar ihre
Zustimmung gegeben, aber die Bevölkerung ist sehr gegen die Wiedereinführung
deutscher Namen.
In Deutschland hat man gelegentlich von Auseinandersetzungen um Kriegerdenkmäler gehört.
Es gibt alte Denkmäler aus der Zeit nach dem 1. Weltkrieg, an denen
nazistische Organisationen versucht haben, SS-Runen und Eiserne Kreuze
anzubringen. Es gibt viel Streit zwischen polnischen Behörden und
deutschen Gemeinden und revanchistischen Verbänden um solche Fragen.
Ich habe gelesen, daß sich Leute aus der Minderheit deutsche Pässe besorgen und dann weiter als deutsche Staatsbürger in Polen leben. Wieviele sind das?
Ungefähr 100.000 Menschen haben diese aus polnischer Sicht doppelte
Staatsbürgerschaft. Deutschland behandelt sie als seine Bürger,
und die polnischen Bürger sind zu schwach, das deutsche Innenministerium
zu einer Beendigung dieser Situation zu zwingen. Es ist z.B. so, daß
viele junge Männer, besonders in der Region Oppeln, ihren Militärdienst
lieber in Deutschland als in Polen ableisten wollen. Das wird natürlich
Folgen für ihre politische Einstellung haben. Diese Menschen können
in beiden Staaten wählen. Ein wenig ist das vergleichbar mit der Zeit
des Plebiszits in Oberschlesien (1920. Dabei ging es um die Zugehörigkeit
zu Polen bzw. Deutschland - Red.), als viele gebürtige deutsche Oberschlesier
aus dem Reich zurückkamen, um an der Abstimmung teilzunehmen. Das
ganze ist Ergebnis dieses alten deutschen Rechts, das die Staatsbürgerschaft
als Blutsrecht definiert.
Du sagtest gestern, daß deutsche Verleger in Polen Zeitungen aufkaufen.
Akut ist die Situation vor allem in West-Polen, wo inzwischen fast
alle Zeitungen durch deutsche Medienkonzerne beherrscht werden. In Wroclaw,
Gdansk, Poznan und Szczecin z.B. hat die „Neue Passauer Presse“ die lokalen
Zeitungen übernommen. Auch Verlage, Radio- und TV-Sender sind bereits
in deutschem Besitz. Großen Einfluß haben vor allem der Bertelsmann-Konzern
und der Axel Springer Verlag. Selbst an den landesweiten Zeitungen erwerben
deutsche Medienkonzerne inzwischen Anteile. Das schafft natürlich
Möglichkeiten, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Die Bürgerlichen
nennen die Medien die vierte Macht, aber wenn 90% der Medien von deutschen
Konzernen beherrscht werden, frage ich mich doch, wie weit es damit her
ist.
Zur EU und NATO: Es gibt ja Tendenzen, an denen vor allem auch in Deutschland gearbeitet wird, die EU nach Osten auszudehnen. Das gleiche bei der NATO. Es haben bereits gemeinsame Manöver von Bundeswehr und polnischer Armee stattgefunden. Hierzulande wird ja gerne die EU als Segen für die osteuropäischen Ländern dargestellt. Wie sieht man das in Polen? Wie steht die polnische Linke dazu?
Man muß die Fragen NATO und EU trennen. Die bürgerlichen
Kräfte hoffen, mit einem Beitritt zu den beiden Bündnissen die
Transformation der letzten Jahre fixieren zu können. Auf der Seite
der Linken sind die Verhältnisse etwas kompliziert. Was die Verteidigungspolitik
angeht, ist unsere Partei die einzige, die konsequent für Neutralität
eintritt. Wir betrachten die NATO als eine imperialistische Kraft der USA
und auch des deutschen Militarismus. Wir sind auch gegen die Ausdehnung
der EU, die wir für ein Herrschaftsinstrument der Monopole halten.
Wir glauben nicht, daß die Monopole ein Interesse an einem partnerschaftlichen
Verhältnis zu Polen und den anderen ehemals sozialistischen Ländern
haben. Wenn wir es historisch betrachten, dann haben die supranationalen
Konzerne in diesen Ländern stets Lieferanten von Rohstoffen und billigen
Arbeitskräften gesehen. Wir denken, daß man diese Politik stoppen
muß. Wir wollen mit anderen Linken daran arbeiten.
Welche wirtschaftliche Alternative könntet ihr euch für die mittelosteuropäischen Staaten vorstellen, die schon jetzt - das Beispiel der Medienkonzerne hat es gezeigt - vom westlichen Kapital durchdrungen werden?
In der Militärpolitik gibt es eine Möglichkeit, zusammen
mit vielen anderen Kräften, nicht nur den Sozialisten und Sozialdemokraten,
sondern auch mit Christdemokraten, der Bauernpartei u.a. für Neutralität
einzutreten. In Ländern wie Schweden, Finnland, Österreich gibt
es Unruhe über den Einfluß des deutschen Imperialismus. Auch
diese Länder sind neutral. Es gibt also eine Möglichkeit für
eine Politik aktiver Neutralität, im Rahmen der UNO und auch der OSZE.
Wir müssen auch die Interessen unserer Nachbarn berücksichtigen.
Man muß vorsichtig sein, daß sich nicht die alte gemeinsame
Politik des deutschen und russischen Imperialismus wiederholt, was z.B.
auf Kosten Polens gehen könnte (Anspielung auf die verschiedenen Teilungen
Polens - Red.) Ökonomisch gäbe es für Polen die Möglichkeit,
die alten Verbindungen zu nutzen und mehr mit Rußland zusammenzuarbeiten.
Eine andere Option wäre der Handel mit der Volksrepublik China. Alle
westlichen Länder gehen davon aus, daß das ein vielversprechender
Markt ist. Schließlich bieten auch die Dritte Welt, die arabischen
Länder, Indien und viele andere große Möglichkeiten. Real
existiert also sowohl wirtschaftlich als auch politisch die Grundlage für
eine Politik der aktiven Neutralität.
Wir danken für das Gespräch.