„Stolz, nicht Neid“

BDI will Ostdeutschland für 15-20 Jahre von Westtarifen abkoppeln

Als der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) am 10. September sein tarifpolitisches Strategiepapier vorstellte, nahm er für seine Bereich bereits etliches vorweg, was der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) erst einen Tag später als Gesamtkonzept der industriellen Unternehmer der Öffentlichkeit präsentierte. In Form einer Denkschrift unter dem Titel „Aufbau Ost beschleunigen - Standort Deutschland stärken“. Der ZDB will - natürlich nur unter anderem! - bei allen 1,3 Millionen Beschäftigten der Branche „Tarifansprüche abbauen“, und, so die KN vom 12.9., „die Ost-Löhne sollen ganz vom Westen abgekoppelt werden.“ - „Aufgabe der Orientierung der Tarifabschlüsse am Westniveau“, heißt es entsprechend im BDI-Papier. Außerdem: „Streckung der Stufentarifverträge“, denn: „Die wirtschaftliche Angleichung wird längere Zeithorizonte beanspruchen - mindestens 15 - 20 Jahre“. Aber nicht nur Horizonte sollen beansprucht werden. Neben vielem anderen will der BDI auch kein Geld mehr für ABM-Maßnahmen, dafür aber Zuschüsse aus der BRD und von der EU direkt in Unternehmenskassen fließen sehen, denn im Osten wäre es „das falsche Signal, ... alleine auf Marktkräfte vertrauen zu wollen“. Logisch, oder?

Angespornt in ihrer Dreistigkeit fühlen sich die Unternehmer leider auch durch gewisse Gewerkschaftsstrategen, bundesweit und regional, sowie durch orientierungslose oder eingeschüchterte Betriebsräte vor Ort mit ihren inzwischen wohl Dutzenden von „Bündnissen für Arbeit“, die oft auch weitere wichtige Forderungen des BDI (nicht nur) für Ostdeutschland erfüllen - Flexi bei Lohn  und Arbeitszeit (also auch Erhöhung der Arbeitslosigkeit durch Mehrarbeit), auch gern außerhalb der Legalität: „De facto retten schon jetzt Betriebsvereinbarungen außerhalb des gesetzlichen Rahmens und unter Duldung der Gewerkschaften Betriebe und damit Arbeitsplätze“, schreibt der Kapitalistenverband freudig und zynisch.

Überhaupt genießen die Unternehmer ihre derzeitige ideologische Offensive und den sichtbaren Erfolg ihrer brutalen Erpressungspolitik in vollen Zügen und zählen auf unsere fehlende Einigkeit, auf den angstbedingten Verlust von Solidarität (und Verstand) bei Arbeitenden und Arbeitslosen - letztere hätten leider „keine Stimme“ bei den Tarifverhandlungen, klagt der BDI und unterstellt damit ihnen allen, sie wären nur zu gerne LohndrückerInnen. Und: „Für die meisten ostdeutschen Arbeitnehmer ist der Erhalt und die Sicherung von Arbeitsplätzen wichtiger als ein ständiger Anstieg ihrer Löhne und Gehälter, der die Existenz der eigenen Betriebe gefährdet.“ Der eigenen Betriebe! Jetzt, wo den KollegInnen im Osten an Produktionsmitteln wirklich nichts mehr gehört, sollen sie die privatisierten Betriebe als ihr Eigen betrachten! Und ihre persönliche Existenz als schicksalshaft untrennbar mit dem Unternehmergewinn verknüpft begreifen. Und sich noch gebauchpinselt fühlen, wenn der BDI sie verhöhnt: „Selbstbewußtsein und Stolz auf das Erreichte, und nicht Neid wegen noch bestehender Rückstände, sind die richtigen Ratgeber für die weitere Aufbauarbeit...“

Ich gebe zu: Daß die Kapitalisten uns bei all ihren Angriffen auch noch auslachen, uns zeigen, für wie blöde und unfähig sie uns halten, schmerzt mich zusätzlich zu den Verlusten, die wir zur Zeit hinnehmen müssen, ungeheuer. Und alle KollegInnen im Osten, die heute schon schlechter dran sind, trifft diese Verhöhnung doppelt.

Wenn wir nicht untergehen wollen, wenn wir nicht alles preisgeben wollen, was die organisierte Arbeiterbewegung erkämpft hat, müssen wir tatsächlich alle unseren Stolz bewahren oder zurückgewinnen. Das hat sich nicht nur darin zu äußern, daß wir im Westen den KollegInnen im Osten entgegen den Unternehmerplänen solidarisch zur Seite stehen und auch hier dafür kämpfen, daß die Abkoppelungspläne scheitern. Es heißt auch, sich in Ost und West wieder darauf zu besinnen, daß die Unternehmer zwar nichts sind ohne uns, wenn wir zusammenhalten, daß wir aber alles sein können ohne sie. (DL)