Demo für Seyfettin Kalan in Neumünster

Etwa 7.000 Kurden und Kurdinnen demonstrierten am 7.9. zum Jahrestag der Tötung des Kurden Seyfettin Kalan durch rechte Türken vor einem Jahr in Neumünster. Nach längeren Vorverhandlungen war die Demonstration mit Zustimmung des Innenministers Wienholtz genehmigt worden. Die zugesagte deeskalierende Haltung wurde bis auf die gezielte Filmerei von Fahnenträgern etc. und die angekündigten Kontrollen der Personalien der betroffenen Personen auch eingehalten. Auf der Auftaktkundgebung sprach Angelika Beer, zum Abschluß Pastor Arndt aus Hamburg sowie ein Vertreter des PDS Landesverbandes S.-H. (die wir im folgenden abdrucken). Ein reichhaltiges kurdisches Kulturprogramm beendete die gelungene Veranstaltung, die in den regionalen Medien ein erfreulich positives Echo erreichte. (uga)
 


Rede eines Vertreters der PDS S.-H. am 7.9.

Liebe Freunde und Freundinnen,

wir gedenken heute zusammen der Tötung unseres Freundes und Genossen Seyfettin Kalans vor einem Jahr hier in Neumünster. Ich überbringe die solidarischen Grüße vom Landesverband der PDS.

Seyfettin starb vor einem Jahr infolge eines Angriffs türkischer Faschisten. Der Prozeß, der sich vor dem Landgericht Kiel anschloß, war ein Witz insofern, als Motive und Hintergründe nicht aufgeklärt und stattdessen eine einzige Rechtfertigung für den Täter herausgebastelt wurde. Eine traurige Realität jedoch insofern, als er nur ein Beispiel abgibt für die Resultate einer geschürten Stimmung in der Öffentlichkeit, die die Kurden zu Terroristen macht, die mit allen Mitteln zu bekämpfen eine gute Sache sei.

Wenn etwa in Niedersachsen eine kurdische Hochzeitsfeier verboten wird, weil sie werbenden Charakter für die PKK haben könnte, wenn in Frankfurt eine Theateraufführung einer kurdischen Gruppe und in München ein europaweites Fußballturnier kurdischer Mannschaften verboten werden, wenn es mittlerweile fast unmöglich ist, überhaupt kurdische Literatur in der Bundesrepublik zu vertreiben, wenn wohl mittlerweile rund 200 politische Gefangene kurdischer Nationalität aufgrund z.T. absurder Vorwürfe in bundesdeutschen Gefängnissen sitzen, wenn trotz allseits zunehmender Anerkennung der ERNK als der Vertretung des kurdischen Volkes auch auf europäischer Ebene die Bundesregierung immer noch die Auslieferung deren ehemaligen Sprechers Yilmaz von England fordert, wenn all dies der kurdischen Minderheit in der Bundesrepublik angetan wird, nur weil sie es wagt, sich solidarisch zu erklären mit dem Kampf des kurdischen Volkes in der Heimat, der der Kumpanei der Bundesrepublik mit dem alten NATO-Partner Türkei im Wege steht, und wenn dann der Großteil der bundesdeutschen, auch der sogenannten fortschrittlichen Öffentlichkeit schweigt, sich sorgt um Arbeitsplätze, die verloren gehen könnten, wenn weniger Panzer für die Türkei gebaut würden, wen wundert es dann, wenn türkische Faschisten sich hierzulande ermuntert fühlen, Kurden anzugreifen?

Was die deutsche demokratische Öffentlichkeit dieser grauenvollen Kumpanei und Aufschaukelei entgegensetzen muß, ist dreierlei:

- Es ist erstens die rückhaltlose Aufklärung des Anschlags vor einem Jahr. Schon damals wäre es nötig gewesen, auf die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zu drängen, der die skandalöse Vertuschungspolitik, nicht zuletzt durch deutsche behördlich Verantwortliche, aufdecken kann. Die Behandlung des feigen Attentats als kleine Rivalität ist ein Hohn und Spott, mit dem das Andenken unseres Freundes Seyfettin nach seinem Tod übergossen wird. Dies dürfen wir nicht weiterhin zulassen.

- Es ist zweitens das schlichte Einhalten selbstverständlicher demokratischer und Menschenrechtsstandards. Die kurdische Minderheit hierzulande muß wieder die vollen Möglichkeiten haben, sich unbedrängt zu äußern und zu organisieren. Das PKK-Verbot muß sofort weg! Die Unterstützung des Völkermordes in Kurdistan durch bundesdeutsche Politik und Waffen muß sofort ein Ende haben.

- Es ist aber drittens auch insbesondere schlichtes Verständnis für unsere kurdischen Freunde. Man sollte nicht immer über sie sprechen, ohne sie zu kennen; man sollte nicht spekulieren, was sie wohl wieder vorhaben. Man sollte einfach hingehen, hinein in die Vereine, das Gespräch suchen, so wie es angemessen ist, wenn eine Minderheit hierzulande mit dem Rücken zur Wand steht, weil ihre Organisationen mundtot gemacht wurden.

Wir können nur alle auffordern, dieses Gespräch zu suchen und endlich die kurdischen Anliegen ernstzunehmen. Die Ignoranz der letzten Jahre hat schon historisch einmaligen Charakter und äußert sich auch hier und heute wieder in der geringen Anzahl deutscher Demonstrationsteilnehmer. Natürlich ist es für die hier lebenden Menschen wichtig, für die eigenen Interessen zu kämpfen, z.B. gegen den Sozialabbau wie heute auf den Gewerkschaftsdemonstrationen, die wir hiermit grüßen. Am besten machen wir auch das künftig mehr zusammen, alle hier lebenden arbeitenden Menschen zusammen. Aber die bundesdeutsche Bevölkerung muß einsehen, daß das kurdische Volk ganz anderen Verhältnissen unterworfen ist, daß es bei den Verwandten in Kurdistan um Leben und Tod geht.

Es bedrückt uns, daß die kurdische Bevölkerung im Nordirak, die ohnehin gebeutelt ist durch die Clan-Kämpfereien zwischen KDP und PUK, nun auch noch neuerlich Opfer der Machtgelüste Saddam Husseins wurde. Aber auch das Eingreifen der selbsternannten Schutzmacht USA, die nichts dagegen unternimmt, wenn türkische Flugzeuge das Gebiet bombardieren, sondern ihnen noch die nötigen Informationen dazu liefert, kann den Konflikt nicht lösen. Es gibt nur die eine, von der PKK und deren Vorsitzenden Öcalan gewollte Lösung einer Einigung der kurdischen Bevölkerung über die Staatsgrenzen hinweg, die zu einer Gründung eines Nationalkongresses auf der Basis der Selbstbestimmung führen soll. Dies ist der einzige Weg, der kolonialen Ausplünderung des kurdischen Volkes, den Expansionsgelüsten Husseins und der imperialistischen Bevormundung durch den Westen einen dicken Riegel vorzuschieben. Es ist der Weg der Befreiung. Wir freuen uns, daß die kurdische Befreiungsbewegung allem Anschein nach in jeder Hinsicht und nicht zuletzt militärisch auf einem guten Wege zu dieser Befreiung ist, dabei vielfältigste Erfahrungen sammelt, und wollen gerne auch von ihr lernen. Wir wünschen uns gutes Verständnis und eine gute Zusammenarbeit in der Zukunft!

Wenn wir das schaffen, werden alle Seiten dadurch gewinnen. Denn es bleibt wahr: Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich selbst nicht befreien.