Der kurdische Konflikt im Irak und die Bombenangriffe der USA

Am 3. September 1996 bombardierten die USA den Süden des Irak mit Marschflugkörpern als Reaktion auf den Einmarsch irakischer Truppen in das Kurdengebiet, einen Tag später folgten zwei weitere Angriffe. Die Flugverbotszone im Süden des Irak wurde ausgeweitet, und die USA schließen weitere Angriffe auf den Irak nicht aus. LinX-Redakteurin kaw sprach mit Davud Karun von der kurdischen parteiübergreifenden Organisation PYSK über den Konflikt und Möglichkeiten seiner Lösung.

Im UN-Sicherheitsrat und unter den westlichen Verbündeten waren diese Aktionen nicht unumstritten, denn die UNO-Resolutionen 678 und 688 rechtfertigen einen Angriff nur bei einer neuerlichen Bedrohung Kuwaits bzw. einer einseitigen Verfolgung der KurdInnen. Außerdem argwöhnte vor allem Frankreich, das um die Ölgeschäfte mit dem Irak fürchtet, wohl nicht ganz zu Unrecht amerikanische Wahlpropaganda. Auch Rußland steht der ganzen Aktion sehr kritisch gegenüber und drohte, bei der Absegnung der Bombardierung ein Veto im Sicherheitsrat einzulegen.

Fakt ist, daß die irakischen Truppen von KurdInnen selbst, nämlich von der Kurdischen Demokratischen Partei Irak (KDP) unter Massud Barzani, zur Unterstützung gegen die Patriotische Union Kurdistan (PUK) unter Jalal Talabani, herbeigerufen wurden. Mittlerweile wittert die Türkei ihre Chance, endlich handfestes Kapital aus dem Konflikt innerhalb der Region zu schlagen, und fordert eine 20 km breite „Pufferzone“ in Iraks Norden entlang der türkischen Grenze, die natürlich vorher „entvölkert“ werden soll. Der türkischen Regierung stechen dabei vorwiegend die Ölpipelines ins Auge, die vom Irak aus etwa 18 km durch kurdisches Gebiet führen und deren Stillegung durch das UNO-Embargo dem ohnehin vom Pleitegeier bedrohten türkischen Staat empfindliche Verluste verschaffte.

Auch der Iran hofft, in dem Konflikt mitmischen zu können und sich bei dieser Gelegenheit auch gleich die kurdische Opposition im eigenen Lande vom Hals zu schaffen. Schon im März wurden drei Kurden der KDP-I in Irakisch-Kurdistan aus einem fahrendem Auto heraus vom iranischen Geheimdienst erschossen, was Herrn Kinkel Anlaß geben sollte, einen doch etwas kritischeren Dialog mit dem Iran zu führen (z.B. auch in Sachen Mykonos-Attentat).

So kreisen die Geier wieder einmal über Kurdistan, und es bleibt zu hoffen, daß diese Geschichte vielleicht einmal anders ausgeht als die vielen, vielen vorhergehenden, in denen die KurdInnen Opfer der Mächte wurden, auf deren Schutz sie gehofft hatten.

Bündnis mit Saddam Hussein?

Doch wie kann es geschehen, daß KurdInnen sich mit Saddam verbünden, der 1988 5.000 Menschen in der Stadt Halabja durch Giftgasbomben ermordete? Und dann auch noch Massud Barzani, dessen Stamm 1982 von Saddam fast vollständig inhaftiert und hingerichtet wurde?

Massud Barzani stammt aus einer Ordens-Dynastie religiöser Scheichs, die schon Mitte des 19. Jahrhunderts großen politischen Einfluß in Kurdistan hatte. 1946 wurde Mustafa Barzani, der Vater von Massud Barzani, zum Präsidenten der neu gegründeten KDP gewählt. Auch Jalal Talabani stammt ursprünglich aus der KDP, schloß sich aber 1972 der PUK an und übernahm deren Führung. Seitdem gibt es zwischen beiden Parteien immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen, Friedensabkommen und Versuche, die Besatzermächte für den eigenen Vorteil und gegen die jeweils andere Partei einzusetzen, was stets mit neuen Massakern an der kurdischen Zivilbevölkerung endete.

Doch die Ursache der Konflikte ist immer die gleiche: Solange Kurdistan keine Autonomie zugebilligt wird, kann es keine demokratischen Wahlen, keine Entscheidung von KurdInnen selbst über die Verwaltung des Landes und ihre Regierung geben — und so lange werden in Kurdistan die Konflikte mit der Waffe ausgetragen. Auch dieser neuerliche Krieg wurde ausgelöst durch das ignorante Vorgehen des Westens.

Davud Karun zum Konflikt im Irak

Ich habe mich mit Davud Kurun unterhalten, einem Vertreter der PYSK, die ein Zusammenschluß mehrerer kurdischer Parteien ist. Herr Kurun hat sich am 5. September in Bonn mit Vertretern kurdischer Parteien wie z.B. der Kurdischen Demokratischen Partei-Iran (KDP-I) und KDP-Irak getroffen.

Davud, wie ist dieser aktuelle Konflikt zwischen der KDP-Irak und der PUK entstanden?

Das ist eine längere Geschichte. Nach dem Golfkrieg haben die USA die kurdischen Parteien zu bewaffnetem Widerstand gegen Saddam Hussein aufgerufen. Die Komela und schließlich auch die KDP und die PUK folgten diesem Aufruf, aber sie hatten nicht genügend bewaffnete Einheiten gegen die irakische Armee, zumal der Aufstand von keiner anderen kurdischen Organisation und schon gar nicht von den USA unterstützt wurde. Doch die ehemals von Saddam eingesetzten Dorfschützer schlossen sich den Peshmerga an. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, die USA richteten die Schutzzone ein, in der dann das kurdische Parlament gewählt wurde. Aber Kurdistan hat unter einem Doppelembargo zu leiden — dem der UNO und dem des Irak. Die Kurden hungern, sie können nichts herstellen in ihren Fabriken, da zu oft Güter aus der Embargoliste fehlen. Die einzige Einnahmequelle sind die Wegezölle an den Grenzübergängen zur Türkei und zum Iran. Die Hilfsgüter der UNO werden nach der Höhe der Einwohnerzahl an die Regionen vergeben. Erbil, die kurdische Hauptstadt, hat z.B. 1 Million Einwohner, d.h. wer Erbil beherrscht, verfügt auch über die meisten Lebensmittel. In den nächsten Wochen sollten Hilfsmittel im Wert von einigen Millionen Dollar aus dem Ölverkauf an die Kurden gegeben werden, doch ob an die KDP oder PUK, blieb immer unklar. Der eigentliche Konflikt begann in der Region Qaladis, die als ehemaliger Staatsbesitz des Irak von KDP-nahen Dorfschützern beansprucht wurde. Als sich Dorfbewohner weigerten, ihre Ländereien abzutreten, griffen diese an. Solche Konflikte zwischen Dorfschützern, auch um die Grenzübergänge, gab es überall. Die KDP und die PUK versuchten zu vermitteln, wollten aber andererseits die gut bewaffneten Dorfschützer nicht vor den Kopf und von ihrer Partei wegstoßen und verwickelten sich immer mehr in den Konflikt. Der größte Grenzübergang zur Türkei, Halil Ibrahim, wird von Barzanis Dorfschützern kontrolliert, die PUK hat dagegen drei inoffizielle Nahrungsmittelpforten in den Iran unter sich.

Arbeitet Talabani tatsächlich mit militärischer Hilfe des Iran?

Gestern habe ich mit einem Vertreter der KDP-Iran gesprochen. Die KDP-I bedankte sich in einem Brief bei Talabani für seine Hilfe gegen den Iran. Talabani hatte tatsächlich ein Abkommen getroffen, in dem der Iran ihm schwere Waffen und eine militärische Rückzugsmöglichkeit in den Iran versprach, wenn dieser ihm im Gegenzug gegen die iranischen Kurden helfen würde. Talabani dankte, nahm an und warnte die KDP-I zehn Tage vor dem iranischen Bombenangriff und brachte sie in ein anderes Lager. Der iranische Bombenangriff traf nur ein leeres Lager. Zum Dank ließen die Iraner die versprochenen Waffen direkt nach dem Angriff zurück. Mittlerweile sind sie wohl nicht mehr so gut auf Talabani zu sprechen.

Wie ist zur Zeit die Situation in Irakisch-Kurdistan?

Die Spannungen zwischen den Parteien sind sehr groß, es wird gekämpft. Es sind auch immer noch irakische Truppen in Peshmerga, Kleidung in Kurdistan sowie etwa 100 irakische Panzer unter Barzanis Fahne. Die PUK weigert sich, Verhandlungen mit Barzani aufzunehmen, da ihre militärische Position in dem Konflikt zur Zeit sehr schwach ist. Auch an dem Treffen in Bonn nahmen keine PUK-Vertreter teil. Aus verschiedenen kurdischen Organisationen und Parteien, z.B. auch der PKK, hat sich eine Vermittlerkommission gebildet, doch bisher war sie erfolglos. Während sich Barzani Hilfe vom Irak und der Türkei erhofft, setzt Talabani eher auf die USA. Zu wirklichen Verhandlungen untereinander sind sie nicht bereit.

Wie könnte denn eine Lösung dieses Konflikts aussehen?

Das ist sehr schwer. Das Embargo hat die Kurden sehr hart getroffen. Dadurch sind sie gezwungen, wirtschaftliche Kontakte in andere Länder an der UNO vorbeizumogeln. Diese Länder versuchen natürlich sofort, das für ihre eigenen Zwecke und gegen die Kurden zu nutzen. Die Türkei z.B. hat im Irak überhaupt nichts zu suchen, denn die UNO hat jeden bewaffneten Übergriff auf die Kurden verboten. Mittlerweile dürfen alle im Irak herumbomben, nur der Irak selbst nicht. Die UNO muß das Embargo gegen das von Kurden kontrollierte Gebiet aufheben und in Erbil eine entmilitarisierte Zone schaffen. Die KDP und die PUK müssen gezwungen werden, nach Neuwahlen ihre militärischen Kräfte unter die Kontrolle des kurdischen Parlaments zu stellen. Dazu müßte die UNO dieses Parlament zunächst einmal anerkennen, und auch die humanitäre Hilfe sollte direkt an das Parlament gehen. Auch andere kurdische Organisationen sollten das Parlament anerkennen, seine Arbeit unterstützen und die Zusammenarbeit und Koordination in Kurdistan verbessern. (kaw)