Zentrale Unterbringung - koste es was es wolle

Ende Juni („Lokalberichte“ 13/96) berichteten wir über eine Rundreise durch Lübecker Flüchtlingsheime. Besichtigt wurden drei von der Diakonie betriebene Gemeinschaftsunterkünfte und die Erstaufnahmeeinrichtung des Landes, die der Arbeiter-Samariter-Bund verwaltet. Ein Mitglied der Besuchergruppe fuhr acht Wochen später nocheinmal nach Lübeck, um zu sehen, ob sich an den kritisierten Zuständen etwas geändert hat. Wir erhielten folgenden Bericht:

21. August. Ich treffen mittags in Lübeck ein, in der „Interkulturellen Begegnungsstätte“ werde ich von zwei Flüchtlingen aus der Trave-Kaserne erwartet. Mit der Hilfe einer Dolmetscherin unterhalte ich mich zunächst mit einer Iranerin. Sie war bei der Versammlung am 13. Juni dabei. So frage ich sie erstmal nach ihrer Erinnerung: Wie hat sie vom geplanten Besuch erfahren, was hat sie erwartet? Nun, es gibt in der Trave-Kaserne eine Verfahrensberatung vom Diakonischen Werk (die das Innenministerium finanziert), es gibt einen regelmäßigen Frauen-Gesprächskreis. Dort wurde unser Besuch angekündigt. Ihre Einschätzung vorher? Sie wußte, daß sich die Delegation aus Mitgliedern von Gruppen zusammensetzt, die sich hier für die Rechte von Flüchtlingen verwenden, und sie wußte, daß diese Gruppen eher wenig Einfluß haben. Das aber, sagt sie mir sehr bestimmt, sei ihnen egal gewesen, sie hätten sich sehr über diesen Besuch gefreut. Seit sie in der Kaserne, der ersten Station ihres Asylverfahrens, ist, sei das der einzige Besuch gewesen — die Flüchtlinge würden sich freuen, daß sich überhaupt jemand für ihre Situation interessiert.

Ob es Folgen dieses Besuches und unserer Veröffentlichung gab? Ja, das sei deutlich zu bemerken gewesen. Die Duschen seien repariert worden, allerdings nicht Waschbecken und WCs. Frauen und Familien seien jetzt in einem eigenen Gebäude untergebracht, die Duschen seien jetzt auch von innen abschließbar. Ihre Forderung, auch mal nachmittags selbst einen Tee kochen zu dürfen, wurde allerdings nicht erfüllt. Es gibt jetzt ein „Tee-Zimmer“, das täglich für einige Stunden aufgeschlossen wird. Sie müßten sich aber die vollen Teekannen in der Küche abholen, selbst machen dürfen sie gar nichts.

Viele andere Dinge bleiben als Beschwerden bestehen, so hat sich an den kaum vorhandenen Freizeitmöglichkeiten nichts verändert. Fernseher und Radios sind immer noch nicht repariert, und der Wunsch nach Zeitungen, Zeitschriften und Büchern verhallte ungehört. Insbesondere die Kinder, so erzählt sie, leiden unter dem eintönigen Kasernen-Alltag. Gerade für sie wären gelegentliche Ausflüge ins Freibad oder in einen Tierpark schön, die sind aber von dem knappen Taschengeld von 20 Mark pro Woche nicht zu finanzieren.

Ich fahre anschließend in die Unterkunft in der Travemünder Landstraße, wo Familien aus Zaire und Kurdistan, z.T. seit sechs oder sieben Jahren sehr beengt wohnen. Dort treffe ich mich wieder mit einer Frau aus der Flüchtlings-AG, die übersetzen kann. Die Familie aus Kurdistan erzählt uns nochmal ausführlich von ihrer Flucht, dem Asylverfahren und ihrer vergeblichen Suche nach einer eigenen Wohnung. Sie leben zu acht in drei kleinen Räumen, müssen wie die anderen Hausbewohner auch tagsüber ihre Matratzen in der Ecke stapeln, um die Räume nutzen zu können. Die Küche, das empfinden sie als besondere Einschränkung, liegt praktisch zwischen ihren Zimmern und dem Flur und wird, wie das Bad, von mehreren genutzt. Das bedeutet für alle eine starke Einschränkung im täglichen Leben und auch Konfliktstoff. Nach unserem Besuch im Juni, so meinen sie, habe sich nichts geändert.

Anschließend will ich nochmal das Ehepaar aus Zaire besuchen, das uns damals den Schimmelpilz an den Wänden und die dadurch verursachte Hautkrankheit seines Sohnes zeigte. Doch ich werde, mitsamt dem jetzt eintreffenden zweiten Dolmetscher, schon im Flur von einer größeren Gruppe von Hausbewohnern abgefangen. Damals, bei unserem ersten Besuch, hätten wir nur zwei Wohnungen im Erdgeschoß gesehen, jetzt sollte ich doch erstmal das ganze Haus besichtigen. Nun, mir ist das recht, sagen mir doch mehrere Zairer, der Zustand sei skandalös. Und das, so sehe ich schnell, ist noch eine einigermaßen sanfte Beschreibung. Überall kaputte und verrottete Schränke, kaum eine Tür, wenn überhaupt vorhanden, läßt sich schließen. Das Problem, das am meisten ins Auge sticht, ist die Enge. In den meisten Räumen kann ich nicht einmal ein Foto machen, so klein sind sie. Eine Familie im ersten Stock lebt mit fünf Kindern in zwei wirklich winzigen Räumen. Die Kinder, deren Matratzen auch tagsüber aufrecht in der Ecke stehen, müssen abends mindestens zwei „Betten“ im Flur aufbauen. Wenn die Eltern um diese Zeit noch Besuch haben, muß dieser auf dem Weg zum Klo oder zur Treppe über die schlafenden Kinder hinwegsteigen. Und in diesen Verhältnissen lebt die Familie seit sechs Jahren! Sie seien vom Diakonischen Werk aufgefordert worden, sich eine Wohnung zu suchen, erzählen sie. Diese hätten sie auch gefunden, drei einigermaßen große Räume für 1.300 Mark (für diese zwei Dachzimmer zahlt die Stadt dem Diakonischen Werk übrigens 1.430 DM). Doch dann die Enttäuschung: Das Ausländeramt verweigerte die Umzugserlaubnis, das Sozialamt die Mietübernahme. Wie könne das sein, fragen sie mich — die Wohnung sei größer, aber doch sogar billiger als das hier. Ich erkläre ihnen, daß die Erstattung der Kosten durch das Land nicht im gleichen Umfang kommt, wenn sie in einer eigenen Wohnung statt in einer Massenunterkunft wohnen, die Gemeinschaftsunterkunft soll dadurch zur normalen Unterbringung werden, auch wenn‘s teurer ist. Ich rate ihnen, sich an den Bürgermeister zu wenden und ihn an seine öffentlichen Äußerungen zu erinnern, auch wenn es vermutlich nichts nützt.

Ähnlich ist das Bild in allen anderen Wohnungen, ein Zairer zeigt mir sogar seinen deutschen (Flüchtlings-) Paß, den er nach seiner Anerkennung im Asylverfahren erhielt. Auch der aufgedruckte Bundesadler hat ihm bisher nicht dazu verholfen, menschenwürdig wohnen zu dürfen. Von diesem Paar kann ich kein Foto in ihrem Zimmer machen, weil wir nicht gleichzeitig reinpassen.

Im Erdgeschoß wird mir schließlich gezeigt, wie das Diakonische Werk auf unsere Veröffentlichung des Fotos mit der verschimmelten Zimmerecke reagiert hat: Jetzt ist alles dick überstrichen. Allerdings - und da sind die Flüchtlinge auch teils belustigt, teils empört: Der Schimmel wurde von den deutschen Handwerkern nicht entfernt, wie‘s sonst überall auf der Welt als fachkundig gilt, es wurde einfach Farbe draufgeschmiert. Niemand glaubt, daß diese Art Kosmetik lange vorhält. Aber man versichert mir mehrmals, daß man sich doch freue, daß es nicht bei dem einmaligen Besuch bleibt. Und umgekehrt sagen auch mehrere, daß sie am nächsten Tag die öffentliche Veranstaltung mit Innenminister Wienholtz im Lübecker Rathaus besuchen wollen, bei der es um die Situation der Flüchtlinge in Lübeck geht. (pl)