Kommentar:

„Vaterlandsverräter?!“

„Tag der Heimat“ 1996, das jährliche Treffen der Vertriebenenverbände, wo seit jeher revanchistische Töne zum guten Ton gehören. Da kam‘s nicht gut, daß Bundespräsident Herzog - die Tatsachen verkehrend - verlauten ließ, es gebe keine deutschen Gebietsansprüche mehr und die neuerliche Verschiebung von Grenzen sei auch „nicht mehr das Thema unserer Zeit“. Dafür schimpfte man ihn „Vaterlandsverräter“.

Das mochte sich das Staatsoberhaupt nicht gefallen lassen. Herzog zu dem Zurufer: „Das muß ich mir von Ihnen nicht sagen lassen. Schämen Sie sich!“ Diese Entgegnung ist nicht uninteressant, impliziert sie doch, daß Herzog sich als der bessere Hüter des „Vaterlands“ sieht und sich dies von niemandem streitig machen lassen mag. Deshalb hat ihn dieser Zwischenruf auch so hart getroffen, schließlich hat er einen Eid auf dieses „Vaterland“ geschworen.

Dabei stünde es doch an - freilich nicht dem Bundespräsidenten, von dem ist das nicht ernstlich zu erwarten -, daß man an diesem Deutschland zum Verräter wird, an einem Land, in dem der Revanchismus der Vertriebenenverbände eben nicht ewiggestrig ist, sondern so aktuell und hoffähig wie selten zuvor, an einem Land, das für jedermensch ersichtlich offen nach Osten drängt, mit einem Krieg, der nicht mehr mit Heinkel-, sondern mit Rosinenbombern geführt wird, an einem Land, das sich immer dann heftig wehrt, wenn man ihm, wie es jüngst der jüdische Soziologe Goldhagen tat, verwehrt, sich als Opfer der Geschichte darzustellen, statt als eine Ansammlung von 70 Millionen potentiellen TäterInnen, was der Wahrheit zwar auch nicht ganz entspricht, ihr aber beiweitem näher käme.

Der Zurufer auf dem Heimattag braucht sich nicht zu schämen, sprach aus ihm doch brennpunktartig Volkes Stimme, die die vermeintliche „Aussöhnungspolitik“ der Regierung des 4. Reiches mühsam und von einer Peinlichkeit in die andere taumelnd zu verschleiern sucht, weil es z.Z. nicht sonderlich profitabel erscheint, die zukünftigen Ausbeutungsgebiete statt nur wirtschaftlich auch völkerrechtlich zu annektieren.

Der Begriff „Vaterlandsverräter“ wäre also durchaus positiv zu besetzen, wenn man ihn wie oben skizziert gegen das imperialistische Deutschland richtete. Diejenigen, die in diese Richtung tendieren, wie z.B. Mischa Wolff, werden in diesem unsäglichen Land wirklich als „Vaterlandsverräter“ angeklagt. Sie lassen sich das auch gerne sagen und fragen so wie Wolff doppelbödig und nachdenkenswert, welches Land das denn gewesen sein sollte, das sie verraten hätten. (jm)