„I have a dream ...“

Interview mit George Afrifa über die Wahl des Ausländerbeirats

Am 10. November wird in Kiel ein „Ausländerbeirat“ gewählt. Wählen dürfen alle Einwanderer und Flüchtlinge, die seit mindestens drei Monaten in Kiel leben, nicht stimmberechtigt sind allerdings Asylbewerber, deren Verfahren noch läuft. Bis zum 11.10. konnten Listenvorschläge eingereicht werden. Der Wahlausschuß akzeptierte alle fünf Bewerbungen. Es treten an: Zwei nationale Listen („Polnische Kultur“ und „Iran“), ein „Türkisch-Islamisches Bündnis“, hinter dem zumeist die staatstragenden türkischen Vereine stecken, die „Demokratische Liste“, ein Bündnis türkischer, kurdischer und iranischer Linker, und die „Internationale Liste“, mit deren Spitzenkandidaten George Afrifa LinX sprach. Die Fragen stellte wop. Für die nächste Ausgabe bemühen wir uns um ein Interview mit einem Vertreter der „Demokratischen Liste“.

George, ihr kandidiert mit der Internationalen Liste zum Ausländerbeirat. Wer macht mit?

Auf der Internationalen Liste kandidieren Menschen aus verschiedenen Ländern. Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika, Leute aus dem Vorderen Orient. In dieser Zusammensetzung haben wir eine Basis für die Arbeit im Ausländerbeirat, d.h. wir wollen keine Nationalitäten-Arbeit, sondern etwas für alle Ausländer hier in Kiel machen.

Wie sieht euer Programm aus?

Laß es mich mit einem Englischen Zitat sagen: „I have a dream, that one day all foreigners in Germany will have the chance to vote at least in the local elections.“ Auf Deutsch: Ich habe den Traum, daß irgendwann alle Ausländer, die hier in Deutschland leben, die Chance haben werden, zumindest an den Kommunalwahlen teilzunehmen. Dann würden die Politiker unsere Stimmen brauchen und endlich uns und unsere Probleme ernst nehmen.
Wir hoffen, mit dieser Beiratswahl einen kleinen Schritt in diese Richtung zu machen. Unser Ziel ist, daß die Ausländer, die hier in Kiel oder in Schleswig-Holstein leben, mindestens das Kommunalwahlrecht bekommen.
Die Wahl zur Interessenvertretung der ausländischen Mitbürger könnte die Zusammenarbeit zwischen Ausländervertretungen, Ortsbeiräten, Vereinen und Wohlfahrtsverbänden verbessern. Uns geht es um die Gleichbehandlung der Ausländerinnen und Ausländer mit den Deutschen - in Bildung, Ausbildung, Berufswahl und -ausübung, in der Kinder- und Jugendarbeit, vor Gericht und bezüglich sozialer Belange.
Ein anderer Punkt wäre die Integration von Ausländern und Vertrauensbildung innerhalb dieser Gesellschaft, d.h. Aufklärungsarbeit. Wir wollen der deutschen Bevölkerung unsere Probleme näher bringen. Viele Deutsche sympathisieren mit uns, haben aber keine Ahnung davon, wie restriktiv die Ausländergesetze sind und wie die Behörden sie gegen uns anwenden. Zu diesem Bereich gehört auch Kulturarbeit, die wir für uns, aber auch für die Deutschen machen wollen.
Außerdem wollen wir, daß in Behörden und Beratungsstellen Ausländer in ihrer Sprache informiert werden. Bei den Asylbewerbern gibt es z.B. das Problem, daß sie ihre Bescheide in einem Amtsdeutsch bekommen, das sie nicht verstehen. Manchmal, wenn sie keinen finden, der es ihnen übersetzt, sitzen sie dann einfach, bis sie abgeschoben werden. Die Stadt muß die Beratungsstellen besser fördern und für Übersetzung sorgen, damit die Menschen über ihre Rechte aufgeklärt werden. Wir fordern einen Abschiebestop für Flüchtlinge.
Eine andere Forderung ist, daß die Frauenprojekte stärker unterstützt werden. Ausländische Kinder müssen das Recht haben, ihre Muttersprache in der Schule zu erlernen.

Fordert ihr denn auch eine entsprechende Lehrerausbildung? Bisher ist es ja z.B. so, daß dort wo türkisch angeboten wird, die Lehrer aus der Türkei kommen und vom türkischen Staat ausgesucht wurden.

Es wäre natürlich besser, wenn die Lehramts-Studiengänge entsprechend geändert würden. Auch die deutschen Lehrer sollten Sprachkurse absolvieren.
Ein besonderes Problem ist die Arbeitserlaubnis. Ausländische Studenten dürfen während des Semesters nicht arbeiten, obwohl sie oftmals darauf angewiesen sind. Das muß sich ändern. Auch für die Asylbewerber wollen wir, daß sie eine besondere Arbeitserlaubnis bekommen. (Erläuterung der Redaktion: Es gibt unterschiedliche Klassen von Arbeitserlaubnissen. Die allgemeine Erlaubnis beinhaltet, daß die Arbeitsaufnahme beim Arbeitsamt beantragt werden muß und nur erteilt wird, wenn sich für die Stelle kein Deutscher oder EU-Ausländer findet.) Das gleiche fordern wir für Immigranten. Bisherige Praxis ist es nämlich, daß, wenn zwei Ausländer verheiratet sind, nur eine(r) der beiden eine besondere Arbeitserlaubnis bekommt.

Was, meinst du, sind die größten Probleme für Einwanderer in Kiel?

Jede Nationalität hat natürlich ihre eigenen Probleme, aber was allen gemein ist, sind die Schwierigkeiten mit dem Aufenthaltsrecht. Viele wissen nicht, wie sie mit diesem umgehen müssen, d.h. das Ausländergesetz ist juristisch so schwierig, daß die Ausländer nicht alles verstehen und ihre Rechte nicht wahrnehmen können. Es gibt z.B. Aufenthaltsbewilligungen für Studenten. Die werden über ein Jahr ausgestellt. Dann gibt es die Aufenthaltsbefugnis für Menschen, die aus humanitären Gründen nicht abgeschoben werden können. Je nach Paragraphen gilt sie für ein oder zwei Jahre. Weiter gibt es die unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die bekommen ausländische Ehepartner von Deutschen nach drei Jahren, andere, wenn sie eine Arbeit haben, nach fünf Jahren. Schließlich gibt es eine Aufenthaltsberechtigung, für die man sieben Jahre hier gelebt und 60 Monate Sozialversicherungsbeiträge gezahlt haben muß. Viele Ausländer haben davon jedoch keine Ahnung. Sie denken, es reicht, wenn sie eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben. Was sie dabei übersehen, ist, daß, wenn sie zum Sozialfall werden, die Behörden aus der unbefristeten eine befristete Aufenthaltserlaubnis machen können. Wenn sie aber eine Aufenthaltsberechtigung haben, kann diese nicht mehr begrenzt werden. Die Aufenthaltsberechtigung ist also der sicherste Status für einen Ausländer. Aber, wie gesagt, viele wissen davon nichts. Wir werden versuchen, mit den Beratungsstellen, die wir uns vom Beirat erhoffen, hier Aufklärung zu betreiben. Wir wollen den Leuten raten, die Aufenthaltsberechtigung zu erwerben.

Von den Grünen, besonders von Cem Özdemir, der im Bundestag sitzt, gibt es eine Kampagne, sich einbürgern zu lassen. Wie stehst du dazu?

Viele Ausländer möchten sich nicht einbürgern lassen, weil sie ihre alte Staatsbürgerschaft verlieren würden. Bekanntlich lehnt ja die Bundesregierung eine doppelte Staatsbürgerschaft ab. Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, hätten Interesse an einer Einbürgerung, wenn sie nicht ihre alte Nationalität aufgeben müßten. Bei der gegenwärtigen Regelung haben sie Angst, ihre Identität zu verlieren.

An der Satzung des Ausländerbeirats gibt es  viel Kritik: Es dürfen nicht alle mitwählen, er hat keine Befugnis, darf bestenfalls Anträge an die Ratsversammlung stellen usw. Wie stehst du zu dieser Kritik, und was meinst du, kann man trotz alledem mit ihm bewirken?

Ich habe selbst lange überlegt, ob ich kandidieren will, denn die Satzung sieht z.B. vor, daß Asylbewerber nicht wählen dürfen. Das ist vor allem für uns Afrikaner ein Problem, denn viele von uns sind noch im Asylverfahren. Wir müssen uns also besonders anstrengen, diejenigen von uns, die wählen dürfen, zu mobilisieren. Mit unserer Kritik konnten wir uns nicht durchsetzen. Die Stadt meint, daß diese Menschen nur vorübergehend hier leben und deshalb kein Wahlrecht haben sollen. Das ist natürlich nicht nur für Afrikaner ein Problem.

Das sind ja Menschen, die zum Teil schon sehr lange hier leben.

Ja. Es gibt einige Asylbewerber, die hier seit sieben oder acht Jahren auf ihre Bescheide warten. Einige sind vom Bundesamt anerkannt, wogegen aber der Bundesbeauftragte, der im gleichen Haus sitzt, Widerspruch eingelegt hat. Das geht dann vor die Gerichte und dauert manchmal jahrelang. In der Zeit dürfen sie dann nicht einmal reisen. Wir hatten gefordert, daß zumindest diejenigen, die so lange hier sind, die eine Duldung haben, mit wählen dürfen. Aber die Stadt hat sie ausgeschlossen.

Was kann man denn nun trotz dieser Kritik mit dem Ausländerbeirat bewirken?

Ich denke, dieser Beirat kann viel tun, wenn alle Vertreter, die gewählt werden, gemeinsam auf die Probleme hinweisen, wenn sie eine gemeinsame Linie finden, um die Interessen der Ausländer durchzusetzen. D.h. dieser Beirat ist nur ein Schritt in Richtung Verbesserung.
Einen Punkt möchte ich noch ansprechen, den ich vorhin vergessen habe: Ausländer, die mit Deutschen verheiratet sind, werden vom Ermittlungsdienst des Ausländeramtes kontrolliert. D.h. bevor jemand eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, kommen Leute vorbei, um zu kontrollieren, ob die Paare zusammenleben. Wir finden das unmenschlich. Es gibt nicht einmal Richtlinien für diese Prüfer. Die machen was sie wollen.

D.h. die kommen unangemeldet in die Wohnungen?

Ja. Die gehen durch die Räume und kümmern sich nicht darum, ob da Leute schlafen, die Frau vielleicht nur im Nachthemd ist; gucken ob es ein gemeinsames Bett gibt, wieviele Zahnbürsten da sind und ähnliches. Wir wollen gegen diese Verletzung der Intimsphäre und für die Abschaffung der Kontrollen kämpfen.
Wir haben mit der Ausländerbehörde gesprochen und verlangt, daß die Besuche zumindest angekündigt werden. Aber die bestehen darauf, die Menschen zu überraschen. Es hat auch Fälle gegeben, in denen beide Eheleute arbeiteten und deshalb der ausländische Ehepartner fast zwei Jahre auf seine Aufenthaltserlaubnis warten mußte, weil die Prüfer nie jemanden angetroffen haben. Manchmal kommt es sogar vor, daß der Hausmeister oder die Nachbarn befragt werden. Ich hoffe, daß man mit dem Ausländerbeirat solche Sachen abstellen kann.

Vielen Dank für das Gespräch.