Wo bleibt der heiße Herbst?

Kaum ein Tag vergeht derzeit, ohne neue Schreckensmeldungen aus Bonn. Mag der Vorschlag, das Rentenalter auf 67 zu erhöhen, noch auf die leichte Schulter - da offensichtlicher Blödsinn - zu nehmen sein, die meisten anderen Einfälle der rheinischen Raubritter sind es sicherlich nicht. Wirtschaftsminister Rexrodt läßt uns anläßlich des Jahrestages des Anschlusses wissen, bei den ABM-Maßnahmen in Ostdeutschland solle weiter gespart werden, während man am gleichen Tag der Zeitung entnehmen kann, daß östlich der Elbe zwei Bewerber auf eine Lehrstelle kommen. Auch die Renten sind nicht mehr Tabu. Neuester Spar-Vorschlag aus der Bonner Koalition: Die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten sollen beschnitten werden. Ebenso die Hinterbliebenenrenten. Besonders eifrig ist man derzeit bei den Arbeitslosen am Streichen. Im Gespräch ist, das Arbeitslosengeld für die erste Woche zu kürzen. Auch an eine Besteuerung der Arbeitslosenbezüge wird bereits gedacht. Irgendwo muß das Geld für die Steuersenkungen bei den Großverdienern ja herkommen. Relativ konkret ist offensichtlich schon die Planung, 1997 die Bemessungsgrundlage für das Arbeitslosengeld einzufrieren. Entsprechendes soll im Entwurf des neuen Bundeshaushalts zu finden sein. Gleichzeitig wird geplant, Arbeitslose noch stärker zu kontrollieren.

Da fragt man sich doch langsam, wo der heiße Herbst bleibt, den uns die Gewerkschaften versprochen haben. Einsichten, wie sie die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer nach dem Spitzentreffen zwischen Gesamtmetall und IG Metall äußerte, sind jedenfalls kaum zum Einheizen geeignet. Die Gewerkschaften wissen, so Engelen-Kefer, daß gespart werden müsse. Es komme allerdings darauf an, daß gerecht gespart wird. Woher sie diese Einsicht angesichts exorbitanter Unternehmergewinne nimmt, hat sie nicht verraten.

Ein Akteur weiß jedenfalls genau was er will: Gesamtmetall-Vize Dieter Hundt drohte zu Beginn letzter Woche im Vorfeld der Gespräche mit der IGM den Abbau von 130.000 Arbeitsplätzen an. Einige Tage später - nachdem auch das zweite Gespräch ohne greifbare Ergebnisse geblieben war - sagt sein Chef Werner Stumpfe noch einmal ganz klar, wo es lang geht. Während IGM-Vorsitzender Klaus Zwickel seine Bereitschaft zu weiteren Verhandlungen erklärt, läßt Stumpfe keinen Zweifel daran, daß es diese nur gibt, wenn auch über die Höhe von Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie die anstehende Einkommenstarifrunde mitverhandelt wird. Außerdem wollen die Metall-Kapitalisten eine „Beschäftigungssicherungsklausel“ in die Tarifverträge geschrieben haben, mit der tarifliche Leistungen in einzelnen Betrieben unterboten werden können. Mit anderen Worten: Alles steht zur Disposition.

Von der IG Metall kommen indes zwiespältige Signale. Auf der einen Seite fordert Zwickel von den Unternehmern, bis zum 23.10. zu erklären, wie sie in der Frage der Lohnfortzahlung verfahren wollen. (Als wenn sie das nicht längst getan hätten.) Andernfalls würden die Proteste am bundesweiten Aktionstag besonders massiv ausfallen. Auf der anderen Seite bekräftigt er zwar, daß seine Gewerkschaft auf der 100-prozentigen Lohnfortzahlung besteht, gibt sich aber bei deren Bemessungsgrundlage kompromißbereit. In den letzten Wochen vor der Arbeit gezahlte Zulagen und Überstunden müßten nicht mehr unbedingt berücksichtigt werden.

Aus Kieler IGM-Kreisen ist zu erfahren, daß die Gespräche mit Gesamtmetall zumindest ein Ergebnis gezeitigt haben: Die Aktionen am 24.10. sollen nicht ganz so groß ausfallen, wie ursprünglich geplant. Es soll wohl Arbeitsniederlegungen geben, aber keine oder nicht so viele Kundgebungen und Demozüge. Ob die Gewerkschaftsbasis das mit sich machen läßt, wird sich auf den Vertrauensleuteversammlungen zeigen, die nach Redaktionsschluß stattfinden. (wop)