Kommentar:

Theater um den Aubrook

oder: Wie alternatives Wohnen zum billigen Wahlkampfthema hochstilisiert werden soll.

Es gibt schlimme Mißstände - in Kiel wie andernorts auch: Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Sozialabbau, Finanzkrise - um nur einige Schlaglichter zu nennen. Und niemand sollte eigentlich auf die Idee kommen, daß rund 50 Menschen, die am Stadtrand in Bauwagen und selbstgebauten Hütten zusammenleben, mit nicht mehr und nicht weniger Konflikten und Widersprüchen als im Rest der Gesellschaft auch, die dort alle paar Monate wirklich nette kulturelle Veranstaltungen (mit und ohne Livemusik - aber immer ohne einen Pfennig städtischer Gelder!) organisieren, zur Rubrik „Mißstände“ gehören. Doch weit gefehlt ...

Just an dem Wochenende, als im Aubrook das alljährliche „Freevival“, der wohl beste Open-Air-Termin in Kiel, stattfand, brachten die „Kieler Nachrichten“ einen schlampig recherchierten Artikel als Aufmacher der Lokalseiten, in dem Liegenschaftsamtsleiter Hans Mehrens („Räum-Hansi“) von lärmmalträtierten Anwohnern faselte und in dem noch von anderen schlimmen Dingen wie Jugendgefährdung und wilden Müllkippen die Rede war. Bereits zwei Tage später sattelte der CDU-Fraktionsvorsitzende im Kieler Rat, Arne Wulff, der sich offensichtlich zum Oberbürgermeister kanthern will, in einer Pressemitteilung noch einen drauf, sprach von „Anarchie im Aubrook“ und forderte die Räumung der im Aubrook lebenden Menschen zugunsten eines Kleingartengeländes.

Schauplatzwechsel, Vorhang auf: Ratsversammlung am 19.9.: Die CDU und ihr Wurmfortsatz S.U.K. setzen die Räumung des Aubrooks „mit geeigneten Mitteln“ als Antrag auf die Tagesordnung. Als erster schreitet für die CDU Ratsherr Jens Moritz zum Rednerpult. Mit bedeutungsschwangerem und existenziellem Tonfall beginnt er mit dem Open-Air-Festival im August und fügt, als sei dies noch nicht genug des Verbrechenstatbestandes, hinzu, daß die Polizei „einschreiten“ mußte. Außerdem sei der Aubrook das „größte zusammenhängende Gelände in Kiel, wo Umweltstraftaten begangen werden“, was der „Normalbürger“ nicht tolerieren könne. Für die Räumung schwebte Moritz dann „keine Crashlösung“ vor, sondern eine Terminsetzung (vielleicht dann, wenn die neue Brücke am Joachimsplatz fertig ist und als Ersatzunterkunft in Frage kommt?). Immerhin, so Moritz, habe er bei einer Ortsbesichtigung mit Beamten des 4. Polizeireviers auch ein „ganz niedliches“ ungenehmigtes Haus und „einige ganz wenige idyllische Ecken“ ausgemacht. Vielleicht hat ja Herr Moritz privat „einige ganz wenige“ sympathische Charakterzüge. Vielleicht ...

Auftritt von Peter Guta (S.U.K.): Für ihn heißen die „Normalbürger“ „steuerzahlende Bürger dieser Stadt“, und das „Umweltstraftatsgelände“ ist für ihn „eine einzige Müllkippe“. (Was sind dann eigentlich die dort lebenden Menschen? Auch Müll?) Die „freie Entfaltung auf der Basis der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ finde dort ihre Grenzen, wo die von der Gesellschaft erlassenen Gesetze gebrochen würden. Vielleicht sollte jemand Herrn Guta darüber aufklären, daß rechts Überholen in Deutschland nicht erlaubt ist, v.a. wenn die CDU vor einem fährt.

Beim Auftritt von Angelika Oschmann (B 90/Grüne) gleitet die Handlung dann in eine unerwartete Richtung ab. Auf ihre Äußerung, daß an der Hörn weit größere verseuchte Flächen bestünden als im Aubrook, reagiert der CDU-Fraktionsvorsitzende mit mittelmäßig gespielter Betroffenheit und der Zwischenfrage, ob Oschmann genauere Angaben über die verseuchten Hörnflächen machen könne. Kalt erwischt erwidert die grüne Ratsfrau, daß sie entsprechende Informationen nachreichen werde, woraufhin wiederum Wulff (noch mehr Betroffenheit spielend) den Umweltdezernenten Schirmer ans Rednerpult zitiert, der von verseuchten Flächen an der Hörn allerdings nichts zu berichten weiß. Zu den interessanten Details des Oschmann-Auftritts gehörte der Hinweis, daß beim monierten Festival ein Streifenwagen zweimal wegen Lärmbelästigung anrückte: Das erste Mal verschwand er wieder, weil der Geräuschpegel der angrenzenden A 215 lauter war, und beim zweiten Mal stoppten die Veranstalter die aus London angereiste Band praktisch in voller Fahrt. Ferner der Hinweis, daß der Aubrook die Stadt im letzten Jahr ganze 9.000 DM gekostet habe und daß die Umsiedlung der AubrookerInnen in Sozialwohnungen (die es sowieso nicht gibt und die die meisten AubrookerInnen wohl auch nicht wollen) ein Vielfaches kosten würde.

Schließlich beschloß die Ratsversammlung, die Angelegenheit in den Finanz- und den Sozialausschuß zu überweisen. Bemerkenswert war noch die Äußerung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Eckehard Raupach, CDU und S.U.K. wollten „gar nicht die Umweltverschmutzung beseitigen, sondern die Menschen“. Bemerkenswert v.a. deshalb, weil dies auch nur die halbe Wahrheit ist. In Wirklichkeit geht es nämlich nur darum, daß eine Minderheit, die ganz einfach „anders“ ist und nicht zur Wohnzimmerschrankwandgemütlichkeit paßt, dämonisiert werden soll und für die billigen Profilierungsversuche minderbegabter Darsteller, die sich zu „Höherem“ berufen fühlen, herhalten muß.

Ein Vorschlag zur Güte: Um das Defizit der städtischen Bühnen abzubauen, könnte man den Ratssaal zur externen Spielstätte erklären und die Ratsversammlung als Low-Budget-Produktion in die laufende Spielzeit übernehmen. (nik)