Abwarten oder Forcieren?

Über 400.000 Menschen beteiligten sich am 24.10. bundesweit am Aktionstag der IG Metall gegen die Angriffe auf die Lohnfortzahlung bei Krankheit. Der Tag war mit Bedacht gewählt: Am 24. Oktober 1956 traten in Schleswig-Holstein 18.000 Metallarbeiter in den Streik für mehr Urlaub, die Abschaffung der Karenztage und eine 80-prozentige Lohnfortzahlung. Der Arbeitskampf, der 16 Wochen dauerte und dem sich schließlich 30.000 anschlossen, brachte den Einstieg in die heute bestehende Absicherung bei Krankheit und Unfall.

In Kiel beteiligten sich die Belegschaften fast aller Großbetriebe sowie einiger Handwerksunternehmen am Aktionstag. Bei Krupp-MaK und der benachbarten Siemens-Schienenfahrzeugtechnik zogen rund 1.000 vor die Tore, d.h. rund drei Viertel der Anwesenden. MaK-Betriebsrat Torsten Lange: „Für unsere Verhältnisse ist das ziemlich gut.“ Die Stimmung sei angespannt. „Die Arbeitgeber haben den Kollegen Konsequenzen angedroht, falls sie sich beteiligen. Bei vielen hat das die Wut noch vergrößert.“ Die Unternehmerverbände stehen auf dem Standpunkt, daß noch Friedenspflicht herrsche, da die Teile des Tarifvertrags, die die Lohnfortzahlung regeln, bisher formell nicht gekündigt worden seien. Sie drohten daher allen, die zum Streik aufrufen, Regressforderungen an. Bisher wurden in Schleswig-Holstein von Unternehmerseite nur der Lohn- und Gehaltstarifvertrag und die Vertragsbestandteile über Urlaub und Weihnachtsgeld („betriebliche Sonderzahlungen“) gekündigt. In diesem Falle läuft die Friedenspflicht am 28.1. ab.

Auch die HDW-Arbeiter legten für einige Stunden die Arbeit nieder und zogen zu einer Kundgebung auf den Vinetaplatz. Vor 2.300 Arbeitern erinnerte dort der Kieler IGM-Vorsitzende Wolfgang Mädel an den Streik vor 40 Jahren: „Es geht auch um den Stolz der Metaller, sich das damals Erstrittene nicht wieder nehmen zu lassen.“ Und weiter: „Wir lassen mit uns über vieles reden, auch über die Bemessungsgrundlage, aber an der 100-prozentigen Lohnfortzahlung halten wir fest.“

Eine weitere Kundgebung gab es bei Linotype. Die Anschütz-Belegschaft machte an diesem Tag früher Schluß. In anderen Betrieben gab es Betriebs- (so bei Mercedes) oder Abteilungsversammlungen. Die Aktionen waren v.a. deshalb so massiv, weil am Vortag die Verhandlungen mit Gesamtmetall gescheitert waren. Ursprünglich hatte die IGM-Zentrale geplant, das ganze auf kleinerer Flamme laufen zu lassen, um die Gespräche nicht zu stören.

Unter dem Motto „Wer den kleinen Finger gibt, verliert seine Faust!“ fand am 26.10. in der Kieler Ostseehalle eine Feier zur Erinnerung an den Metallarbeiterstreik vor 40 Jahren statt. 10.000 Teilnehmer waren erwartet worden, ca. 7.000 kamen, viele davon mit Bussen aus anderen Städten. Die IG Metall hatte zahlreiche politische und künstlerische Prominenz aufgefahren, darunter auch Heide Simonis. Deren Grußwort wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Vergessen scheint ihre gewerkschaftsfeindliche Haltung, die sie als Vertreterin der „Arbeitgeber“ während des Streiks im Öffentlichen Dienst einnahm. Ansonsten war das Programm, wie zuvor schon die Kundgebungen am Aktionstag, davon geprägt, daß es sich um rein deutsche Veranstaltungen handelte. Weder gab es Beiträge von Immigranten, noch wurde irgendwo ein Flugblatt in türkischer Sprache gesichtet. Und das, obwohl ein nicht unwesentlicher Teil der Arbeiter in Kiel Einwanderer ohne deutschen Paß sind.

Von Kiel müsse ein Signal ausgehen, rief der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel in seiner Rede pathetisch aus, doch welches erfuhren die Anwesenden nicht recht. Statt dessen bekamen sie eine ganze Reihe Sprechblasen wie dieser geboten: „Wir geben keine Ruhe, bis in Bonn wieder eine Mehrheit nicht gegen sondern für das Volk regiert.“ Es hat ganz den Anschein, als wolle Zwickel auf die nächsten Wahlen vertrösten. Und - man sollte es nicht für möglich halten - auch sein „Bündnis für Arbeit“ pries er noch einmal an. Ob er immer noch nicht gemerkt hat, daß keiner mit ihm spielen will?

Etwas konkreter wurde es dann in der „Kieler Erklärung“, die die Versammlung zum Abschluß verabschiedete: „Wir erklären, daß wir Lohnfortzahlung und Tarifsystem mit aller Kraft verteidigen und uns in Betrieben und Gesellschaft gegen weiteren Sozialabbau wehren.“ Das läßt vielleicht hoffen. Am 30.10., nach Redaktionsschluß dieser Ausgabe, entscheidet die Tarifkommission der IGM darüber, ob sie - dem Beispiel Bayerns folgend - ihrerseits die Vereinbarung zur Lohnfortzahlung kündigt, um die Auseinandersetzung zu forcieren. (wop)