Das Ende der städtischen Altenarbeit?

„Pflegekräfte fürchten um ihren Job“, titelten die „Kieler Nachrichten“ am 12.10. und machten damit erstmals öffentlich, was schon seit Jahren in der Verwaltung und den einzelnen Heimen diskutiert wird. Seitdem die Stadt Kiel nämlich versucht, alles und jeden zu privatisieren, um die eigenen Haushaltslücken zu kaschieren, sind auch die städtischen Alten- und Pflegeheime von diesem Ausverkauf bedroht.

Nach fehlgeschlagenen Verhandlungen über den Verkauf der gesamten städtischen Alten- und Pflegeheime wurden diese Anfang 1995 in einen Eigenbetrieb, Betreuungs- und Pflegedienste der Stadt Kiel, umgewandelt. Das Pflegeniveau sollte gehalten werden und die Arbeitsplätze gesichert bleiben. Diese Versprechungen wurden den MitarbeiterInnen in den letzten zwei Jahren sowohl von der Betriebsleitung als auch von den Gewerkschaften gemacht. Die MitarbeiterInnen wähnten sich in Sicherheit, obwohl bestimmte Maßnahmen der Betriebsleitung, z.B. Einstellungsstop, keine Neubesetzung frei gewordener Planstellen, statt dessen nur Zeitvertragsangebote, zu Irritationen unter den Angestellten führten. Eine trügerische Sicherheit, wie spätestens seit der Bekanntgabe des Wirtschaftsplans 1996 der Betreuungs- und Pflegedienste und der Veröffentlichung des 6,5 Mio. DM-Defizits klar wurde.

Wie konnte es überhaupt zu diesem Millionen-Defizit kommen?

Um verständlich zu machen, warum die städtischen Alten- und Pflegeheime heute solche großen finanziellen Probleme haben, müssen wir einen Blick zurückwerfen. Schließlich arbeiteten die städtischen Heime bis in die 90er nicht mit Verlust, sondern größtenteils mit Gewinn.

Entscheidend für die jetzigen Probleme sind hauptsächlich zwei Faktoren. Zum einen die Umstrukturierung des Gesundheitssystems, damit sind die von der Bundesregierung durchgeführten „Gesundheitsreformen“ gemeint. Zum anderen die Einführung der Pflegeversicherung. Ersteres wird auf langer Sicht zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft im Gesundheitssystem führen. Konkret spüren vor allem die stationären Einrichtungen schon jetzt diese Veränderungen. Eine ganzheitliche Pflege wird heute nicht mehr gewährleistet, statt dessen werden nur noch konkrete medizinische Versorgungen bezahlt.

Aber vor allem durch die Einführung der Pflegeversicherung werden finanzielle Probleme für die stationäre Altenarbeit offenbar. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Herr M., 63 Jahre alt, wohnt seit sieben Jahren im Kieler Altenheim X. Herr M. ist manisch-depressiv. Er muß Medikamente nehmen, woran man ihn erinnern muß, sonst würde er es vergessen. Auch an die tägliche Körperpflege muß man ihn erinnern, ihm wär‘s einfach egal. Die Pflegekräfte reden viel mit ihm, damit ihn seine Krankheit nicht zu sehr behindert. Gearbeitet hat Herr M. schon seit 20 Jahren nicht mehr, er bekommt also nur eine kleine Rente, der Rest wird bisher vom Sozialamt bezahlt.

Jetzt sollen die Kosten für Herrn M.‘s Aufenthalt im Altenheim X von der Pflegeversicherung geregelt werden, dafür kommt ein von den Krankenkassen autorisierter Arzt ins Haus. Er spricht mit Herrn M. und untersucht ihn. Dann entscheidet er, daß Herr M. Geld für die Unterkunft sowie für Essen und Trinken bekommt. Für die Pflege gibt es kein Geld, schließlich kann Herr M. sich allein waschen und anziehen. Er braucht auch keine Verbände oder sonstige medizinische Versorgung, also bekommt Herr M. auch hierfür kein Geld aus der Pflegeversicherung. So oder ähnlich sieht momentan die Praxis aus. Selbst im günstigsten Fall zahlt die Pflegeversicherung nur 2.800 DM, bei durchschnittlichen 6.000 DM Kosten pro Pflegeheimplatz wird das wohl kaum reichen.

Schnell geklärt also, wie das Millionenloch der Kieler Heime entsteht, bleibt die Frage, warum nicht schon vor Jahren auf diese sich abzeichnende Entwicklung reagiert wurde. Statt dessen wurde diffusen Privatisierungsgelüsten nachgegeben, was heute zu einem Horrorszenario in der städtischen Altenarbeit führt. Momentan sieht der Plan der Betriebsleitung so aus, daß die Altenheime „Haus Elsterkoppel“, „Haus Tannenberg“ und das Pflegeheim Ost sowie die gesamte Kurzzeitpflege dichtgemacht werden. Für viele Beschäftigte bedeutet dies eine existentielle Gefahr. Diese Menschen arbeiten seit Jahren in den Häusern, sind oftmals schlecht ausgebildet oder nur angelernt. Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind daher gleich null. Wieder einmal sind es also die Beschäftigten, die ausbaden müssen, was Dummheit und Konzeptionslosigkeit in der Verwaltung ihnen eingebrockt hat.

Für die BewohnerInnen der städtischen Alten- und Pflegeheime wird nur eine Notversorgung übrigbleiben. Der im Gespräch befindliche Pflegeschlüssel von 1:4,5 wird in der Praxis bedeuten, daß jede Pflegekraft zwischen 15 und 20 Schwerstpflegefälle betreuen muß, denn die bekommen am meisten Geld aus der Pflegeversicherung. Wie so eine Pflege aussehen wird, kann sich wohl jeder denken. Ein Fiasko für die städtische Altenarbeit!

Es gibt übrigens seit einigen Wochen eine Arbeitsgruppe, die sich mit diesem und anderen Bereichen der städtischen Privatisierungspläne auseinandersetzt. Wer also Interesse hat, ist eingeladen, vorbeizuschauen. Wir treffen uns 14-tägig im Arbeitslosenladen, Iltisstr. 34, 19 Uhr. Unser nächstes Treffen findet am 13.11. statt. (och)