„Das Wahlrecht ist das Problem“

Interview mit Erdal Aslan und Jahangir Khalaj Hedayati zur Wahl des Ausländerbeirats

Am 10. November wird in Kiel erstmalig ein Ausländerbeirat gewählt, eine sog. Interessenvertretung. Wählen dürfen alle Einwanderer ohne deutschen Paß. Nicht wahlberechtigt sind all jene Flüchtlinge, die noch im Asylverfahren stecken oder nur eine Duldung haben. Fünf Listen stehen zur Wahl. Wir sprachen mit Erdal Aslan und Jahangir Khalaj Hedayati, die auf Platz zwei und drei der Demokratischen Liste kandidieren. Die Fragen stellte wop.

Ihr kandidiert auf der Demokratischen Liste zu den Ausländerbeiratswahlen. Wer macht sonst noch mit?

Erdal: An der Liste beteiligen sich verschiedene Gruppen: Die Deutsch-Kurdische Gesellschaft, der Alevitische Kulturverein, türkische Demokraten (DIDEF), ein iranischer Verein (POYA). Auch der Internationale Freundschafts- und Solidaritätsverein (in dem sich linke Immigranten und Flüchtlinge aus der Türkei organisieren - Red.) unterstützt die Demokratische Liste.

Was habt ihr vor? Wie sieht euer Programm aus?

Jahangir: Unser Programm besteht aus verschiedenen Punkten. Z.B. fordern wir allgemein in der Ausländerpolitik das Wahlrecht für alle und die Abschaffung des Ausländergesetzes. Außerdem verlangen wir, daß die Einbürgerung erleichtert und die doppelte Staatsbürgerschaft zugelassen wird. Schließlich wollen wir, daß rassistische Organisationen und Ideologien bekämpft werden, egal ob deutsch oder ausländisch.
Für Kinder und Jugendliche der Immigranten und Flüchtlinge wollen wir eine bessere Ausbildung. Es müssen Kindergartenplätze für alle her und dort eine multikulturelle Erziehung stattfinden. Die Probleme mit der Schule, der Berufsausbildung und der Jugendarbeitslosigkeit müssen angegangen, Jugendprojekte müssen erhalten und ausgebaut werden, um Drogenmißbrauch und Jugendkriminalität vorzubeugen. Außerdem wollen wir muttersprachlichen Unterricht für alle Nationalitäten und auch entsprechende Rundfunkprogramme.

Stichwort muttersprachlicher Unterricht: Was ist darunter zu verstehen?

Jahangir: Wir haben da unterschiedliche Positionen. Ich denke, daß die Sprache wie eine Fremdsprache behandelt werden muß. Die Kinder müssen, um ihre Muttersprache kennenzulernen, entsprechenden Unterricht in der Schule bekommen. Ich stelle mir das so vor, daß sie eine Art Nachhilfeunterricht in Türkisch, Kurdisch, Persisch oder auch einer anderen Sprache bekommen, an dem vielleicht auch deutsche Kinder teilnehmen können. Was ich allerdings nicht unterstütze, sind Vorstellungen, wie sie von einigen Immigranten vertreten werden, nach denen alle Fächer in der Muttersprache unterrichtet werden sollen. Wenn man für eine multikulturelle Gesellschaft ist, heißt das, daß man miteinander auskommen muß. Wir wollen die Grenzen beseitigen, nicht neue errichten. Ich habe Verständnis für die Probleme der Kurden. Sie kämpfen für ihre Identität, gegen die jahrzehntelange Mißachtung. Aber wir dürfen keine neuen Grenzen zwischen den Menschen errichten. Aber natürlich ist die Demokratische Liste ein Bündnis, und da kann man selbstverständlich unterschiedlicher Meinung sein.

Erdal: Im Frauenbereich fordern wir, daß die Frauenprojekte stärker unterstützt werden. Die Probleme ausländischer Mädchen müssen öffentlich diskutiert werden.

Was ist damit gemeint?

Jahangir: Das ist ein Punkt, den der kurdische Verein eingebracht hat.

Erdal: Die ausländischen Mädchen leben hier in Deutschland in zwei Kulturen. Einmal in der Umwelt, zum anderen in der Familie. Daraus entstehen viele Probleme, die weder die Öffentlichkeit noch die Eltern sehen. Während die Jungen fast alles dürfen, dürfen die Mädchen nicht einmal ausgehen, in ein Café zum Beispiel.

Jahangir: Ich finde es wichtig, daß die ausländischen Mädchen das Recht bekommen, ihre Situation laut und deutlich auf den Tisch zu bringen, zu sagen, was sie bisher nicht haben sagen können.

D.h. ihr fordert mehr Freiheit für diese Mädchen und von den Eltern mehr Verständnis?

Erdal: Freiheit kann nicht heißen, daß die Mädchen nicht mehr nachhause kommen. Das Problem muß in den Familien gelöst werden. Wir haben es aufgegriffen, weil wir sehen, daß auf die Mädchen in den Familien ein großer Druck ausgeübt wird und sie dann mit achtzehn ausziehen, weglaufen, und keinen Kontakt mehr mit ihren Eltern haben. Im Endeffekt haben sie dadurch viele Probleme.

Jahangir: Ich sehe dieses Problem auch von einer anderen Seite. Ich denke nicht, daß nur die Gesellschaft verantwortlich ist. Die ausländischen Familien, die ich kenne, sind sehr streng mit den Mädchen. Deshalb sage ich ganz klar, die Mädchen müssen frei sein. Sie müssen die gleichen Rechte haben wie die Jungen. Ich kann es nicht akzeptieren, wenn es heißt, mit dem Begriff „Freiheit“ muß vorsichtig umgegangen werden. Die Menschenrechte müssen für alle gelten. In dieser Gesellschaft gibt es viele Ungerechtigkeiten, aber im Bereich der ausländischen Familien leiden viele Mädchen und Frauen unter der strengen Erziehung. Die Verantwortung hierfür liegt nicht nur bei der Gesellschaft.

Das ist ein Grund dafür, weshalb wir Unterstützung für Frauenprojekte möchten. Ich kenne z.B. eine Gruppe iranischer Frauen, die eine unabhängige Organisation nur für Frauen gründen wollen. Aber sie wissen nicht, wie sie anfangen sollen. Deshalb wollen wir finanzielle Hilfe vom Staat, damit solche Frauengruppen unabhängig von den Männern arbeiten können. Außerdem meine ich, daß wenn es solche Frauengruppen gibt, sie sich dann zu einer internationalen Organisation zusammenschließen sollten.

Habt ihr noch weitere Forderungen?

Erdal: Ja. Immigranten und Flüchtlinge haben Probleme, ihre Rechte auf den jeweiligen Ämtern wahrzunehmen. Wir wollen deshalb, daß ein mehrsprachiges Büro eingerichtet wird, das kostenlose Rechtsberatung anbietet. Außerdem brauchen wir kostenlose und effektive Sprachkurse durch erfahrene Lehrer, damit die Benachteiligung aufgrund von Sprachproblemen aufhört. Aber wir brauchen auch Informationen in unseren Sprachen, vor allem im Umweltschutz.
Was die Flüchtlinge angeht, fordern wir Abschiebestop und die korrekte Anwendung des Asylrechts. Der künftige Ausländerbeirat muß über die Unterbringung der Flüchtlinge in Kiel informiert werden. Weiter fordern wir, daß in Kiel Rentnerprojekte für Immigranten eingerichtet werden.

Wo seht ihr die größten Probleme für Einwanderer und Flüchtlinge in Kiel?

Erdal: Da sind zunächst die Probleme der Jugendlichen und Kinder. Dann ist es sehr schwierig, eine Wohnung zu finden, oder auch Säle, wenn man feiern will. Für große Feiern, eine Hochzeit z.B., ist in Kiel kein Raum zu bekommen, auch von der Stadt nicht. Viele suchen sich dann für solche Anlässe Säle im Umland, z.B. in Rendsburg oder Eckernförde.

Was sind die Probleme der Kinder und Jugendlichen?

Erdal: Die ausländischen Jugendlichen haben das Problem, daß sie zwischen zwei Kulturen stehen. Die Schwierigkeiten mit den Eltern spielen dabei auch eine Rolle. Hinzu kommt, daß die meisten keine feste Arbeit und keine Berufsausbildung haben. Manche werden dadurch kriminell, fangen an zu klauen oder mit Drogen zu dealen. Das ist eigentlich schon länger bekannt, gerade in Kiel. Man sieht die Leute arbeitslos auf der Straße rumhängen. Und das hat natürlich auch was mit den fehlenden Ausbildungsplätzen zu tun.

Jahangir: Man muß sagen, daß das ein gesellschaftliches Problem ist. Fangen wir bei den Kindern an. Sie bekommen nur dann einen Kindergartenplatz, wenn ihre Eltern einen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Dann die Jugendlichen: Die Ausgrenzung fängt schon in der Schule an. Ich kenne keinen ausländischen Jugendlichen, der in der Schule gleichberechtigt behandelt würde. Sie bleiben immer unter sich. Türken unter Türken, Kurden unter Kurden, Iraner unter Iranern, und allenfalls sind die ausländischen Jugendlichen mit anderen Jugendlichen zusammen, aber fast nie mit Deutschen. In 80% der Fälle ist das so.

Durch die Manipulation, die in der Gesellschaft herrscht, haben diese Jugendlichen falsche Vorbilder. Das hat auch damit zu tun, daß sie innerliche Probleme haben: Zuhause verstehen sie sich nicht mit ihren Eltern, diese haben selbst Schwierigkeiten mit dieser Gesellschaft und ihren Gesetzen klarzukommen, sie haben eine andere Weltanschauung, die Kinder sehen z.B., daß auf der Straße, in der Schule alles ganz anders läuft als zuhause. Alles kommt auf einmal.Für die Jugendlichen ist der einfachste Ausweg, aggressiv zu werden und mit Drogen anzufangen. Ich bin der Meinung, daß das kanalisiert wird. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber meistens läuft es so.

Kommen wir noch einmal zum Ausländerbeirat zurück. An dessen Satzung gibt es ja viel Kritik. Wie steht ihr zu dieser Kritik, und was, meint ihr, kann man trotzdem mit ihm bewirken?

Jahangir: Für uns ist natürlich klar, daß dieser Beirat keine reale Macht hat und daß es eine Art Scheindemokratie ist. Aber: Wir haben hier nach Jahren eine kleine Gelegenheit bekommen, die wir für uns nutzen wollen. Wir können die Wahl zumindest dazu nutzen, unsere Forderungen zu veröffentlichen. Ansonsten wird es sehr von der Zusammensetzung abhängen, was man machen kann. Ich für meine Person möchte, wenn ich gewählt werde, daß die Konflikte, die ihre Ursache nicht in diesem Land haben, in den Hintergrund treten. Ich will versuchen, alle davon zu überzeugen, daß es erstens am wichtigsten ist, unsere Probleme, die wir hier haben, bekanntzumachen, und zweitens sich alle zusammen um eine reale Lösung kümmern müssen.

Aber was ist schon ein Ausländerbeirat? Viele wissen immer noch nichts davon. Z.B. hat bei den Iranern die Mehrheit noch nichts von diesem Beirat gehört. Außerdem wird uns alles vorgeschrieben, an der Ausarbeitung der Satzung waren wir nicht beteiligt. Was uns z.B. nicht gefällt ist, daß von den 19 Beiratsmitgliedern ein Vorsitzender gewählt wird und nur dieser das Recht hat, an den Sitzungen der Ratsversammlung teilzunehmen, und nur er das Recht hat, dort zu sprechen. Das wird eine der ersten Fragen sein, die wir nach der Wahl angehen werden.

Zum Schluß möchte ich noch eins sagen: Ein wichtiger Punkt für uns ist das Wahlrecht. Wir sind der Meinung, daß, solange jemand nicht wählen, sich nicht beteiligen kann, er nicht als Mensch behandelt wird. Wir haben viele Probleme, aber unser Hauptproblem ist, daß wir nicht die gleichen Rechte haben. Wenn wir das Recht zu wählen und gewählt zu werden bekommen, werden damit auch viele der Probleme, von denen wir heute gesprochen haben, gelöst werden können.

Herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg.