„Clique von Pyromanen“

Streit um die Kieler Müllverbrennungsanlage

Gewöhnlich klagen PolitikerInnen über die ständig wachsenden Müllmengen. Nicht so in Kiel, da gibt‘s von dem lästigen Stoff zu wenig, wenigstens wenn man den nicht-grünen Ratsfraktionen und den Betreibern der Kieler Müllverbrennungsanlage (MVA) trauen dürfte.

Im November wird die Rundumerneuerung der Kieler MVA abgeschlossen. Zwei der drei Kessel wurden mit einem Aufwand von 230 Mio. DM modernisiert und gehen im Dezember in Betrieb. Die Genehmigung für den dritten Kessel, im Vergleich mit den beiden neuen eine Dreckschleuder, läuft Ende des Jahres aus. Mit den neuen Kesseln, so der Betreiber, die MVA GmbH, hat die MVA nunmehr, den dritten Kessel noch nicht einmal mitgerechnet, eine Kapazität von 120.000 t/Jahr. Doch da fangen die Probleme an. Durch die gelben, blauen und demnächst auch die braunen Kompost-Mülltonnen fällt immer weniger Müll an, der verbrannt statt recyclet werden soll, 1998 nur noch 80.000 t. Das rechnet sich nicht für eine privat-kapitalistisch betriebene MVA mit somit 40.000 t, bzw. bei Weiterbetrieb des Kessels 3 noch einmal 70.000 t Überkapazität. Was tun?, fragten sich Betreiber und Kieler Rat, Kessel 3 stillegen oder diesen nach provisorischer Erneuerung weiterbetreiben und zwecks Auslastung der MVA Müll aus den Randgemeinden und dem Kreis Schleswig-Flensburg importieren?

Seit Mitte diesen Jahres schwelt nicht nur der Müll in der MVA, sondern auch der Streit um die zwei Alternativen. Da der Betreiber bei Nicht-Auslastung der MVA mit bis zu 30% erhöhten Müllgebühren droht, entschieden sich die selbsternannten Anwälte für die Interessen des gebeutelten Gebührenzahlers, CDU und SUK (Stadt-Union-Kiel), für den Weiterbetrieb des 3. Kessels nach dessen Aufrüstung um einige Filterstufen und können nun sehr wahrscheinlich auch mit der Unterstützung der SPD-Ratsfraktion, namentlich des Umweltdezernenten Erich Schirmer, rechnen. Allein, der Kessel 3 wird wegen einer technisch bedingten kurzen Verweildauer der Verbrennungsgase im Kessel erhebliche Mengen hochgiftige Dioxine und Furane in die Kieler Luft blasen. Nicht nur deshalb sperren sich die Bündnisgrünen im Rat vehement gegen einen Weiterbetrieb des 3. Kessels. Auch ökonomisch sei bei sinkenden Müllmengen der Kessel 3 unrentabel, es sei denn man nehme Mülltourismus und die Verbrennung mechanisch-biologisch verwertbarer Abfälle in Kauf. Überhaupt sind die Grünen aus gutem Grund gegen Müllverbrennung schlechthin, weil diese Form der Müllentsorgung ökologisch und ökonomisch die ungünstigste Lösung darstellt.

Indes feuert Bonn die Kessel der Müllverbrenner kräftig an. Im neuen „Kreislaufwirtschaftsgesetz“, das eigentlich das umfangreiche Recycling von Abfall regeln soll, wird die Müllverbrennung als „thermische Verwertung“ festgeschrieben und begünstigt. Seit langem ist dagegen die Müllverbrennung in Verruf geraten. Auf einer Pressekonferenz der grünen Ratsfraktion führte der Kieler Toxikologe Prof. Otmar Wassermann diverse Fälle von erhöhtem Gifteintrag in die Atmosphäre an. Bei der Kieler MVA sei den Toxikologen erst nach dem Regierungswechsel im Land überhaupt gestattet worden, den Schadstoffausstoß zu messen. Die Erhebung von Immissionswerten für Dioxine erfolge nur nach Voranmeldung bei der MVA. Es sei für diese also ein Leichtes, zum betreffenden Termin weniger dioxin-erzeugenden Müll zu verbrennen. Zudem könnten die Werte durch Messungen im Abluftstrom des Schornsteins und Einblasen von Luft künstlich niedrig gehalten werden. Bei der Kieler MVA, so Wassermann, sei eine „Clique von Pyromanen“ am Werk, die „aus Gewinnsucht“ die Kieler Bevölkerung durch die Androhung erhöhter Müllgebühren „räuberisch erpresse“. Der grüne Ratsherr Schreiber vermutete, daß v.a. das Interesse von Gewerbetreibenden an der billigen Verbrennung ihres Mülls eine starke Lobby für die Müllverbrennung sei und ökologisch und ökonomisch sinnvollere Verfahren wie die mechanisch-biologische Aufbereitung und anschließende Deponierung verhindere. Auf den Deponien, so Schreiber, bestünden bis zum Jahr 2030 Kapazitäten, die nicht ausreichend genutzt würden.

Die Auseinandersetzung um die Kieler MVA könnte sich zum handfesten Streit in der rosa-grünen Koalition des Kieler Rats auswachsen. Schreiber wiegelte zwar auf Nachfrage ab, man wolle keinen Rundumschlag gegen die SPD führen. Ob aber die „sachfragenorientierte“ Diskussion zwischen SPD und Grünen zum Ziel führt, bleibt offen. Die Grünen wollen abwarten und Tee trinken, bis sich 1998 möglicherweise die Mehrheitsverhältnisse in Bonn ändern und damit, so Martin Hentschel, Mitglied der grünen Landtagsfraktion, auch das die Müllverbrennung begünstigende „Kreislaufwirtschaftsgesetz“ gekippt und damit vielleicht Müllverbrennung an sich ad acta gelegt werden kann. (jm)